Gleichberechtigung auf Wikipedia Wie sich diese Münchnerin für ein geschlechtergerechtes Wikipedia einsetzt

Wikipedia ist nicht demokratisch und vielfältig genug, sagt Wikipedia-Autorin Theresa Hannig. Also hat sie eine Petition gestartet. Wie die Gleichberechtigung auch in der Netz-Enzyklopädie ankommen kann, erklärt Theresa im Interview.

Von: Robin Köhler

Stand: 02.04.2019 | Archiv

Theresa Hannig frontal vor einer Bücherwand | Bild: Privat

Lesen kann Wikipedia jeder und viele von uns tun das auch täglich. Wer aber mitschreiben will, muss sich an Richtlinien der Community halten. Das beinhaltet momentan auch die Verwendung des generischen Maskulinums. Das heißt zum Beispiel, dass in den Texten zwingend "Bürger" steht - und nicht etwa "Bürgerinnen und Bürger" oder gar das gegenderte "Bürger*innen". Wikipedia-Autorin Theresa Hannig will das mittels einer Petition ändern. Außerdem fordert sie mehr Demokratie auf Wikipedia.

PULS: Theresa, warum möchtest Du das generische Maskulinum auf Wikipedia abschaffen?

Theresa Hannig: Im Moment reden wir auf Wikipedia immer von Lehrern, Politikern und Piloten. Dabei sind Frauen mitgemeint, viele Studien zeigen aber, dass die meisten eben nur an Männer denken. Ein simples Beispiel: "Im alten Griechenland durften alle Bürger wählen." Was heißt das jetzt? Sind wirklich alle Bürgerinnen und Bürger oder nur die männlichen Bürger gemeint? Daran sieht man ganz leicht, dass das generische Maskulinum in die Irre führt. Und das Problem haben wir nicht nur in der Sprache, sondern auch in der IT.

Inwiefern?

Gerade wenn man nach Listen sucht, also von Politiker*innen, Schauspieler*innen oder Autor*innen, dann sind die Überschriften im generischen Maskulinum verfasst. Dadurch sind Frauen schwerer zu finden. Denn wer bei Google nach Autorinnen oder Schauspielerinnen sucht, erhält oft gar kein Ergebnis. Die Suchmaschine weißt gar nicht, dass von unserem jetzigen Sprachverständnis "Autorinnen" eine Unterkategorie des generischen Maskulinums "Autor" ist.

Also sind Frauen auf Wikipedia zu wenig sichtbar?

Wikipedia hat sogar ein doppeltes Sichtbarkeitsproblem. Erstmal schreiben sehr wenige Frauen mit: Nach deren Statistik sind 90 Prozent der Wikipedia-Autor*innen Männer, ein Prozent nicht-binär und eben neun Prozent Frauen. Zudem sind von den Artikeln über Personen, die in den letzten hundert Jahren geboren wurden, nur 20 Prozent über Frauen. Die reine Masse zeigt, dass viel mehr Männer über Männer schreiben als Männer über Frauen oder gar Frauen über Frauen.

Warum ist das problematisch?

Wenn du nicht sichtbar bist, wirst du nicht wahrgenommen. Und wenn du nicht wahrgenommen wirst, wirst du nicht als bedeutend erachtet. Und wenn du nicht als bedeutend erachtet wirst, gibt es keinen Grund, dich sichtbar zu machen und so beißt sich die Katze in den Schwanz. Dieses Problem müssen wir durchbrechen, damit Frauen und nicht-binäre Menschen endlich sichtbar werden - in der Wikipedia und in unserer Gesellschaft.

Wie genau entscheidet die Wikipedia-Community über ihre Richtlinien?

Mit sogenannten Meinungsbildern nimmt die Community Änderungen an den Richtlinien vor. Das sind demokratische Abstimmungen, an denen nur bestimme Wikipedia-Autor*innen teilnehmen können. Dafür muss man zwei Monate dabei sein und mindestens 200 Artikel-Bearbeitungen vorgenommen haben, davon 50 in den letzten zwölf Monaten. Das ist also der harte Kern der Wikipedia-Community, weshalb wir auch zweigleisig mit unser Aktion verfahren: Einerseits haben wir ein Meinungsbild erstellt, um Wikipedia-intern eine Veränderung herbeizuführen. Gleichzeitig machen wir die Petition, in der wir alle anderen Leser*innen zum Mitmachen aufrufen, die wie wir sagen: Die Welt besteht aus mehr als nur dem generischen Maskulinum, bitte verfasst eure Artikel so, dass wir uns alle wiederfinden.

Ist Wikipedia nicht demokratisch genug?

Die Meinungsbilder laufen tatsächlich sehr demokratisch ab. Aber bei der Qualitätssicherung der Artikel funktioniert das nicht wirklich. Es gibt [demokratisch gewählte, Anm. der Redaktion] Administrator*innen, die sich für verschiedene Gebiete interessieren und schauen, was für neue Artikel angelegt werden. Das hat auch sein Gutes, damit nicht irgendwelche Leute "irgendwas" eintragen können.

Aber?

Wenn man was eintragen will, was nicht dem gängigen Geschlechterverständnis der Admins entspricht, bekommt man extreme Schwierigkeiten. So ist die ganze Aktion entstanden: Ich habe eine Liste deutschsprachiger Science-Fiction-Autorinnen angelegt, weil es sowas nicht gab. Das hat leider nicht so geklappt, schon am Abend hatte ich den ersten Löschantrag von einem Wikipedia-Admin. Dann entbrannte ein langer Streit, in deren Verlauf eine überwältigende Mehrheit für das Behalten der Liste war. Am Ende kam aber ein Admin, der meinte: "Die Argumente der Gegner überzeugen mich mehr, deshalb lösche ich die Liste." Da sehe ich schon ein ziemliches Demokratie-Defizit.

Wie kann man das besser lösen?

Ich würde befürworten, dass man diese Lösch-Macht der einzelnen Admins beschränkt. Über die wirkliche Löschung muss von drei oder fünf Admins abgestimmt werden und die Mehrheit entscheidet dann. Auch eine komplett basisdemokratische Entscheidung macht keinen Sinn, da es möglich ist, irgendwelche Leute zu akquirieren, die sich anmelden und ein Thema durchdrücken. Das ist natürlich auch nicht Sinn der Sache.

Wen versucht ihr mit eurer Petition zu erreichen?

Wir richten uns an alle Wikipedia-Autor*innen, die Wikimedia-Deutschland e.V. und an alle, denen Wikipedia am Herzen liegt. So gesehen ist das auch eine etwas schwierige Petition, weil es normalerweise einen konkreten Adressaten gibt. Den haben wir in unserem Fall nicht, weil Wikipedia eben ein Community-Projekt ist. Wir möchten einfach möglichst viele Menschen daran beteiligen und Leute ermuntern, selber Teil der Wikipedia-Community zu werden. Wir wünschen uns, dass Wikipedia weiblicher, diverser und gerechter wird.

Sendung: PULS vom 02.04.2019 ab 15 Uhr