Facebook-Initiative #ichbinhier Hass ist krass. Anstand ist krasser.

Das Internet mit Fakten und Freundlichkeit zu fluten, klingt wenig wild, ist aber auf Facebook fast schon revolutionär. Nach Diskussionen, wie die Firmen gegen Hate-Speech vorgehen müssten, handeln die User jetzt einfach selbst.

Von: Katharina Kühn

Stand: 16.02.2017 | Archiv

ichbinhier | Bild: BR

"Ich bin traurig, dass so wenig Anteilnahme am Tod einer Frau genommen wird. All die, die ihren Hass gegen Menschen mit Migrationshintergrund und/oder Geflohene richten: ich wünsche euch von Herzen, dass ihr niemals in die Situation kommt, als Angehöriger trauern zu müssen. Und ich wünsche euch auch nie, dass ihr von Menschen in eine Schublade gesteckt werdet, weil andere Straftaten begehen. Hier nehmen sich Menschen das Recht heraus, zu verallgemeinern und Hass zu streuen. Anteilnahme wäre mehr angebracht!"

Kommentar unter einem Bild-Artikel

Dieser Kommentar unter einem Bild-Artikel auf der Facebook-Seite hat mehr als 820 Likes. Dabei sind es doch eigentlich die krassen Kommentare, die bei Facebook gut laufen - die Gruppe #ichbinhier ändert das. Die Intiative mischt in Diskussionen mit, in denen es mal wieder unterirdisch zugeht. Dann kommentieren einige von ihnen mit und versuchen dabei differenziert und sachlich zu sein, etwa nachzufragen, woher zum Beispiel die Behauptung kommt, dass Flüchtlinge krimineller seien als Deutsche. Andere Gruppenmitglieder liken die Kommentare, die mit #ichbinhier getaggt sind und machen sie so sichtbarer. Gegründet hat die Initiative Hannes Ley. Ursprünglich sollte hauptsächlich die Stimmung in den Diskussionen verändert werden, sagt er, aber mittlerweile sind neue Ziele hinzugekommen:

"Man merkt, dass unsere Gruppe ganz vielen Menschen dabei hilft, überhaupt zu partizipieren. Wir sehen das an der Gruppe, wie viele Leute hier jetzt einfach überhaupt einsteigen und ihren ersten Kommentar im Leben schreiben und vorher noch nie irgendwas in der Richtung gemacht haben."

Hannes Ley, #ichbinhier

Mehr als 18.000 Mitglieder hat die Gruppe schon, dabei ist sie gerade einmal zwei Monate online. Aber wie lange hält so eine Motivation an? Mit solchen Fragen beschäftigt sich auch Johannes Baldauf. Er hat schon 2008 auf studiVZ angefangen, Hass im Netz zu beobachten. Mittlerweile arbeitet er für die Amadeu-Antonio-Stiftung. Initiativen wie #ichbinhier hat er schon einige gesehen. Allerdings waren das entweder Pages, auf denen die User nicht interagieren konnten, sondern nur einen Like setzen, oder es waren kleine Gruppen oder einzelne Personen. Für kleine Initiativen ist das Anschreiben gegen den Hass oft zermürbend, "oder noch viel schlimmer, die werden dann halt selber irgendwie zum Angriffsziel", sagt Johannes Baldauf.

Aber diesmal könnte das anders laufen, weil die Gruppe #ichbinhier in so kurzer Zeit so groß geworden ist. Auch wenn die meisten Gruppenmitglieder nicht ständig kommentieren, helfen schon die Likes oder allein die Gruppenstärke, um zu zeigen, dass diejenigen, die gegen den Hass andiskutieren, nicht allein sind.

Trotzdem kriegen die #ichbinhier-Aktivisten den Hass von einigen Trollen ab. Einerseits wird ihnen dann Zensur vorgeworfen oder dass sie eine Meinungspolizei seien. Den Userinnern wird in Privatnachrichten gewünscht, sie würden vergewaltigt werden. Neulich haben Gruppenmitglieder versucht, unter einem Artikel über einen getöteten Flüchtling gegen den Fremdenhass anzuschreiben. Wenn die Hetze nicht einmal beim Tod aufhört, wird es auch mit der Gruppenstärke im Rücken nur schwer erträglich.

Wäre also Stillschweigen doch die bessere Option, nach der goldenen Internet-Maxime "Don’t feed the troll"? Johannes Baldauf wendet ein, dass diese Regel zwar früher sinnvoll war, in kleinen Foren, in denen die wenigen Trolle wieder abgezogen sind, wenn niemand auf sie reagiert hat. Auf Facebook mit Millionen Usern sei das aber anders. Johannes Baldauf rät zwar, den Trollen keine Aufmerksamkeit zu schenken, aber:

"Sie komplett zu ignorieren ist halt schwierig, weil es ja noch ganz viele Leute gibt, die ja still mitlesen. Wenn es dann keinen Widerspruch gibt, dann scheint das ja okay zu sein, was die da sagen."

Johannes Baldauf, #ichbinhier

Hannes Ley erwartet auch nicht, dass sie mit den Aktionen Trolle und echte Hater bekehren, aber vielleicht die stillen Mitleser zum Nachdenken anregen können. Denn wo vorher 100 schlimme Kommentare standen, gibt es nach der Aktion eventuell 300 Kommentare, von denen aber 200 gemäßigt und differenziert sind – das schafft ein anderes Gesamtbild, sagt Hannes Ley.

Es wird wohl so bleiben: haters gonna hate – aber mit der Initiative könnten Hannes und die anderen User zumindest dazu beitragen, dass es nicht noch mehr werden.