Interview // Chemical Brothers "Unsere Konzerte sind kontrollierter Extremismus."

2019 feiern die Chemical Brothers ihren 30. Geburtstag, aufhören wollen sie aber noch lange nicht. Im Interview erzählt Ed, wie sie ihre Shows über die Jahre perfektioniert haben und warum Leute dabei auch mal Todesangst bekommen.

Von: Malte Borgmann

Stand: 13.08.2018 | Archiv

Chemical Brothers Pressebild 2018 | Bild: Target Concerts

PULS: Unser Musikchef hat euch mal beim "Rock Am Ring" gesehen und erzählt, dass es in eurem Set einen Sound gab, nur für einen paar Sekunden, der bei ihm Todesangst ausgelöst hat. Hat er sich das eingebildet?

Ed Simons: Ouh, ich weiß schon, was er meint. Und ich denke, genau darum geht es auch bei unseren Konzerten: Man ist zwar in einer großen Menge von Menschen, hat aber trotzdem seine ganz persönlichen Empfindungen bei der Musik. Es geht darum, die Musik zu fühlen, sich davon mitnehmen zu lassen, auch von den Visuals und der Lautstärke - und von den verschiedenen Sounds und Frequenzen. Es ist eine intensive Erfahrung, bei der man sich selbst sehr nahe kommt - aber zusammen mit ganz vielen anderen Leuten. Das ist eine der schönsten Eigenschaften der elektronischen Musik, der ganz individuelle Effekt, wenn der Typ neben dir in totale Ekstase ausbricht.

Wir haben gehört, dass ihr deswegen auch immer ein paar Änderungen in der Location haben wollt, gerade was die Akustik betrifft. Stimmt das?

Ja, das kommt wohl von unserem Tontechniker, der für unsere Shows zuständig ist. Wir schauen natürlich immer, dass es gut klingt. Es ist wichtig, dass die Leute die Musik auch so hören, wie wir sie uns ausgedacht haben. Wir wollen auf jeden Fall eine ordentliche Bass-Präsenz haben und soundtechnisch so viel wie möglich rausholen. Live zu spielen finden wir immer großartig, aber wir wollen eine Umgebung schaffen, in der unsere Musik auch wirklich aufgehen kann. Auf Festivals hat man diese Kontrolle nicht, aber wenn wir eigene Konzerte spielen schon. Deswegen haben wir einen erfahrenen Soundtechniker, der seinen Jobs genauso ernst nimmt, wie wir auch.

Wenn ihr mit Sounds und Lautstärken spielt - ist es schon mal vorgekommen, dass ihr dachtet: Hey das ist jetzt ein bisschen zu krass, das geht echt über die Schmerzgrenze?

Wir wollen das Ganze auf keinen Fall schmerzhaft werden lassen, aber wir benutzen in unserer Musik ziemlich viele analoge Sounds, haben auch Elemente aus der Rock-Musik drin, es gibt viele Bässe - man könnte von einem kontrollierten Extremismus sprechen. Wir wollen die Leute nicht in Todesangst versetzen - aber sie durchaus mit etwas lauteren Sachen konfrontieren.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil eurer Shows sind die Visuals. Wann habt ihr angefangen, die in euer Set miteinzubinden?

Wir sind früher oft in den "Cybersonics" Club gegangen, ein ziemlich dreckiger, düsterer Schuppen. Dieser Typ, Adam Smith, hat dort die Visuals gemacht - damals noch ziemlich fundamental, also verrückte Formen und Farben, ich kann mich an Propeller und verschiedene Wörter erinnern. Wir hatten ein paar gemeinsame Freunde und so lernten wir uns kennen. Wir waren immer schon der Meinung, dass zwei etwas merkwürdige Typen und ihre Maschinen einfach nicht genug sind. Also haben wir ihn gefragt, ob er Visuals zu unserem Gig machen kann, etwas auf uns projizieren - ein bisschen wie bei The Velvet Underground. Und das hat sofort funktioniert, wir sind dann gleich ein Team geworden und er ist mit uns auf Tour gegangen. Das war 1994, also alles noch ziemlich reduziert, wir hatten nur ein paar Super 8 Filmprojektoren. Aber von da an hat es sich stetig weiterentwickelt.

Ihr steckt da wirklich viel Arbeit rein...

Ja, es ist viel Arbeit, aber es steckt auch viel Liebe darin. Wir machen das, weil wir den Leuten ein wirklich einzigartiges Erlebnis liefern wollen, ein psychedelisches Erlebnis. Jeder hat da seine eigene Herangehensweise, Kraftwerk machen das etwas zeitgenössischer als wir, Underworld sind auch wirklich stark. Und wir haben eben auch unsere eigene Art und Weise. Wir bilden zum Beispiel gern tanzende Körper via Stop-Motion Technik ab oder verstecken easter eggs in den Visuals, also kleine Erinnerungen an vergangene Shows. Es ist wirklich fantastisch, wenn man sieht, wie so eine Idee dann funktioniert.

Ihr habt in letzter Zeit öfter auch wieder in kleineren Clubs gespielt. Liam Gallagher hat mal gesagt, dass er nur noch in Stadien spielen will, weil er es mittlerweile mag, wenn das Publikum eine Meile von ihm weg ist. Wie seht ihr das?

Ich glaube die Mischung macht’s. Wir spielen ja keine Konzerte in Stadien, aber ja, auf den Festivals fühlt man sich manchmal ein bisschen abseitig auf der Bühne. Das ist aber auch verständlich, wenn man sich mal die Entwicklung mancher Festivals anschaut: Es liegt ein großer Schwerpunkt auf der Sicherheit. Deswegen ist die Menge mittlerweile auch noch ein Stück weiter weg, als früher. Bei normalen Konzerten sind wir schon näher dran und wenn wir in Clubs auflegen, dann hängen manche Leute wirklich über dem DJ Pult. Das ist teilweise einfach nur chaotisch. Man hat kaum noch Platz, seine Platte auzuflegen, manchmal haben uns auch Leute in den Haaren rumgewuschelt und geschrien. Aber es hat auch Spaß gemacht, diese feierwütige Stimmung tut uns auch mal gut.

Auf Wikipedia steht, dass ihr 1989 angefangen habt, aufzulegen. Nächstes Jahr steht also Euer 30. Geburtstag an. Was habt Ihr Euch dafür vorgenommen?

Wir haben uns tatsächlich in unserer Studienzeit kennengelernt, 1989 an der Universität. Aber unser erstes Album haben wir erst 1992 herausgebracht. Wir sind schon stolz auf das, was wir so gemacht haben, aber wir versuchen uns nicht zu viel Stress zu machen, das zu feiern. Dafür bleibt dann noch genügend Zeit, wenn wir mal keine Musik mehr machen, keine neuen Alben mehr rausbringen. Ich denke eben auch daran, dass wir nächstes Jahr beide seit 30 Jahren in unseren jeweiligen Freundeskreisen sind - und das ist doch wunderschön. Das steht für uns über allem anderen, diese Freundschaften zu halten und zu pflegen, ist für uns beide auf jeden Fall sehr wichtig.

Letzte Frage: Irgendwelche Infos zum neuen Album?

Alle, die momentan auf unsere Konzerte kommen, werden mindestens vier Songs hören, die definitiv auch auf dem neuen Album sein werden. Die Single wird "Free Yourself" heißen und vermutlich im September rauskommen. Das Album dann nächstes Jahr.  Wir werden jetzt erstmal die Konzerte im September spielen, dann ein bisschen Zeit im Studio verbringen und ja, wir sind auch schon gespannt. Es wird auf jeden Fall tanzbar!

Sendung: Plattenbau, 13.08.2018 - ab 19.00 Uhr