Interview // Sarah Lesch "Du willst Menschen retten und wirst dafür beschuldigt"

Sarah Lesch aus Leipzig hat ihren Song "Der Kapitän" neu aufgenommen – als Zeichen der Solidarität mit dem Flüchtlingshelfer Claus-Peter Reisch und seiner Rettungsmission "Lifeline". Wir haben mit ihr über die Aktion gesprochen.

Von: Malte Borgmann

Stand: 03.07.2018 | Archiv

Musikerin Sarah Lesch im Interview | Bild: Markus Mlynek

Claus-Peter Reisch, der deutsche Kapitän des Rettungsschiffes "Lifeline", ist mittlerweile gegen Kaution auf freiem Fuß, darf Malta aber nicht verlassen, weil dort weiterhin ein Verfahren gegen ihn läuft. Die Behörden werfen dem Flüchtlingshelfer vor, sich Anweisungen widersetzt und gegen internationales Recht verstoßen zu haben. In der vergangenen Woche hatte die "Lifeline" vor der libyschen Küste 234 Flüchtlinge gerettet, danach war das Schiff tagelang über das Mittelmeer geirrt, weil Italien und Malta ein Anlegen verweigert hatten. Nach sechs Tagen durfte die "Lifeline" schließlich den Hafen von Valletta auf Malta anlaufen – das Schiff befindet sich seitdem in Gewahrsam von Maltas Polizei und darf das Land nicht verlassen.

Die Liedermacherin Sarah Lesch aus Leipzig ist darüber entsetzt – als Zeichen der Solidarität mit den Flüchtlingshelfern hat sie ihren alten Song "Der Kapitän" neu aufgenommen und zusammen mit einem wütenden Statement online gestellt. Das Video der Liveperformance wurde innerhalb von zwei Tagen mehrere hunderttausend Mal aufgerufen und mehrere tausend Mal geteilt. 

Größere Bekanntheit erlangte Lesch bereits 2016, als sie mit ihrem Song "Testament" den Protestsongcontest des Österreichischen Radiosenders fm4 und den Udo-Lindenberg-Panikpreis gewann. Wir haben mit der Liedermacherin über ihre Musik und ihr Engagement gesprochen.

PULS: Dein Song "Der Kapitän", den du jetzt in einer Liveversion online gestellt hast, ist bereits ein paar Jahre alt. Angeblich ist er sogar der erste Song, den du jemals geschrieben hast. Stimmt das?

Sarah Lesch: Ja, das ist richtig. Ich habe schon immer gedacht: Mensch, wenn ich irgendwann mal Musik machen sollte, dann will ich auch wahre Geschichten erzählen - so wie meine großen Vorbilder Gerhard Schöne oder Reinhard Mey. Und dann gab es da eben diese Geschichte mit meinem damaligen Schwiegerpapa, Stefan Schmidt, der eben 2004 das Gleiche erlebt hat, wie jetzt der Kapitän Reisch.

Stefan Schmidt hat 2004 als Kapitän des Schiffs "Cap Anamur" zwischen Malta und Lampedusa 37 Personen aus Seenot gerettet – und wurde dafür von den italienischen Behörden wegen Schleusung angeklagt. Erst fünf Jahre später wurde er freigesprochen.

Und während er noch angeklagt war, hat er in Deutschland einen Menschenrechtspreis bekommen. Ich war damals dabei auf der Preisverleihung. Auf der Heimfahrt haben wir ganz viel darüber geredet, wie irre das eigentlich ist. Dass man gleichzeitig beweihräuchert wird und angeklagt ist – für etwas, das eigentlich einfach nur selbstverständlich ist. Und da habe ich eben das Lied "Der Kapitän" geschrieben, so ging das bei mir mit dem Schreiben los. Und leider ist das Lied immer noch sehr aktuell.

Wie ist es jetzt zur Neuauflage des Songs gekommen?

Gorden Isler hat bei mir angerufen, der sitzt im Vorstand von Sea-Eye [ebenfalls eine Hilfsorganisation, die geflüchtete Menschen in Seenot rettet, Anm. d. Red.], und der hat mir erzählt, dass die Helfer nachts auf den Schiffen immer das Lied anhören. Und, dass es gerade eben echt krass ist, weil sie nicht helfen können, weil die Schiffe nicht auslaufen dürfen [neben der "Lifeline" wurde auch das Schiff "Sea-Watch 3“ von den maltesischen Behörden festgesetzt, Anm. d. Red.]. Das ist für die Helfer ganz furchtbar, zermürbend – du willst Menschen retten und wirst dafür beschuldigt und angegriffen. Das ist unglaublich.

Auch, dass gesagt wird: "Wenn diese Rettungsschiffe nicht da wären, dann würden die ganzen Leute nicht kommen." Das ist wirklich Wahnsinn! Die Schiffe sind ja da, weil die Leute kommen! Und da hat Gorden Isler mich eben gebeten, dieses Lied nochmal aufzunehmen und zu posten und mich zu positionieren. Und eigentlich hatte ich in den letzten Jahren die Einstellung: Es ist wichtig, seine Positionen diplomatisch zu vertreten in dem Sinne, dass man darauf achtet, die Menschen auch abzuholen. Aber mittlerweile bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich sage: Ey, bei aller Liebe, bei allem Verständnis für die Probleme und die Ängste der Leute, aber jetzt ist einfach Schluss. Es ist nicht mehr zu verantworten, nichts dagegen zu sagen, was hier abgeht.

Du schreibst in deinem Statement auch: "Ich steh auf und stell mich entgegen. Unerschrocken und von mir aus ‚weltfremd‘"… Wird dir das oft vorgeworfen, dass du weltfremd bist?

Ja, oft. Ich glaube, umso älter man wird, desto mehr Grenzen und Schranken hat man im Kopf und glaubt: Ah, das geht so nicht, so können wir das nicht machen, weil man das vielleicht schon so oft gehört hat, durch die Medien oder das Umfeld. Aber das ist total schade, weil eigentlich gibt’s keine Grenzen, außer die, die man sich selber im Kopf schafft. Und ich glaube, es gibt immer noch einen anderen Weg, aber man kann halt nicht sein, was man nicht sehen kann. Und deshalb ist es gerade jetzt superwichtig, dass wir uns da gegenseitig inspirieren.

Corinna Krome zum Beispiel, die in der neuen Version von "Der Kapitän" Klavier spielt, hat in Lüneburg ein wundervolles Begegnungshaus gegründet. In Augsburg gibt es das Grand Hotel Cosmopolis, eine Begegnungsstätte und Hostel und Unterkunft für Geflüchtete… Es gibt da ganz viele tolle Ideen und Projekte, die zeigen, wie es eben auch gehen kann. Man darf sich da nicht entmutigen lassen.

Trotzdem ist es heute oft gar nicht so einfach, genau zu durchblicken, was richtig und falsch ist – weil die Verhältnisse so komplex sind. Gleichzeitig besteht die Gefahr, missverstanden zu werden. Dir ist das mit deinem Song "Testament" passiert, der von fm4 ausgezeichnet wurde, aber auch von Neurechten und Verschwörungstheoretikern geteilt und gefeiert wurde. Erschwert dass das Schreiben von politischen Liedern ?

Ich glaube, das war schon immer schwer. Die Vorstellung ist sehr beängstigend, dass man Dinge sagt, die vielleicht nicht genug Sachhintergrund haben, oder dass einen Leute falsch verstehen. Seitdem das mit "Testament" passiert ist, muss ich ganz ehrlich sagen, denke ich noch viel genauer darüber nach, was ich sage. Das liegt auch daran, dass mir mittlerweile viel mehr Leute zuhören, als noch vor fünf Jahren. Damit habe ich natürlich auch eine viel größere Verantwortung. Das ist natürlich eine Horrorvorstellung, dass jemand mein Lied nimmt, um damit wieder Hetze zu betreiben gegen andere Menschen oder Minderheiten. Ich will auf keinen Fall, dass so etwas nochmal passiert. Aber das ist kein Grund für mich, nichts zu sagen zu diesen Dingen. Im Gegenteil. Das reizt mich eigentlich, die Dinge vielleicht noch klarer zu sagen als vorher.

Und wenn du jetzt morgen früh unseren Innenminister Horst Seehofer beim Bäcker treffen würdest – was würdest du ihm sagen?

Ich glaube, ich würde ihn fragen, ob er denkt, dass die Menschen, die da draußen im Mittelmeer elendig verrecken und ertrinken, während wir hier gerade Semmeln kaufen, ob er der Meinung ist, dass das auch Menschen sind. Und dann wär ich sehr gespannt auf die Antwort. Weil, wenn er dazu ja sagt – dann ist eigentlich alles gesagt.

Sendung: Filter, 03.07.2018 - ab 15.00 Uhr