Live-Trend: Alben in voller Länge Warum Bands ihre Vergangenheit feiern dürfen

Interpol touren demnächst mit ihrem Debütalbum von 2002. U2 performen ihren Klassiker "The Joshua Tree" in voller Länge. Einfallslose Bands spielen Konzerte für Nostalgie-Fetischisten, sagen manche. Stimmt nicht, sagt unser Autor.

Von: Matthias Scherer

Stand: 25.01.2017 | Archiv

Grafik: Das Cover eines Pink Floyd-Albums steht auf einer Showbühne | Bild: BR

"Wenn es für sowas schon Jubiläums-Touren gibt, sind wir dem Untergang geweiht. Wer kommt als nächstes – The Hives?"

Kommentar bei Stereogum

So lautet einer der ersten Kommentare eines Users unter der Meldung, die der Blog Stereogum am Montagabend abgesetzt hat: Die New Yorker Indie/Post-Punk Band Interpol zelebrieren den 15. Geburtstag ihres Debütalbums "Turn On The Bright Lights" – indem sie auf Tour gehen und bei jedem Konzert dieses Album vom ersten bis zum letzten Song runterspielen.

Ein paar Wochen vorher hatten U2, eine der erfolgreichsten Rockbands überhaupt, angekündigt, dass auch sie auf ihrer nächsten Tour ein spezifisches Album in den Vordergrund stellen würden: "The Joshua Tree" aus dem Jahr 1987, das im März 30 Jahre alt wird.

Beide Bands haben außer diesen anstehenden Jubiläums-Touren noch etwas gemeinsam: ihre kreativen und kommerziellen Höhepunkte liegen mehr als zehn Jahre zurück. Die letzten neuen Interpol- und U2-Platten haben außer eingefleischten Fans niemanden wirklich interessiert, und diese Touren sind - so sagen viele - ein Zeichen dafür, dass die Bands das mittlerweile auch gecheckt haben.

"Einfallslose Nostalgie-Orgien"

Die Masche, erfolgreiche Alben aus der Vergangenheit in voller Länge aufzuführen, ist seit Anfang der 10er Jahre immer beliebter geworden. Nas hat’s mit „Illmatic“ (1994) gemacht, Kanye West mit „808s & Heartbreak“ (2008), und, äh, Linkin Park mit „Hybrid Theory“ (2000).

Aber viele Musikfans und Musiker halten diese Konzerte, bei denen ältere Alben so werkgetreu zelebiert werden, für einfallslose Nostalgie-Orgien und ein Eingeständnis der eigenen Irrelevanz. Nach dem Motto: es interessiert sich eh keiner mehr für uns, die einzige Art und Weise wie wir noch Kohle machen können, ist, olle Kamellen nicht nur aufzuwärmen, sondern zum Hauptgang zu machen. Dave Grohl von den Foo Fighters sagte 2014 zu dem Thema:

"I don’t like it when a band’s tour is just to play one past record. I fucking hate that. It’s lazy."

Dave Grohl im Interview mit dem NME

Die erfolgreichsten Alben in voller Länge zu spielen, hat aber auch Vorteile: Als Fan kann man sich, wenn einem das Album ans Herz gewachsen ist, der eigenen Nostalgie hingeben und mit seinen Spezis die alten Hits feiern. Oder, wenn man die Band und das Album erst Jahre nach der Erstveröffentlichung entdeckt hat, die Songs zum ersten Mal live erleben.

Nur die wenigsten Künstler sind mehr als ein paar Jahre relevant

Klar: Konzerte leben auch von der Ungewissheit, was als nächstes kommt. Aber einen Meilenstein der Musikgeschichte in voller Länge dargeboten zu bekommen, von Musikern, die vielleicht nicht mehr 18 Jahre alt sind, aber immer noch aus ihrer Musik etwas Ungehörtes herauszaubern können, ist ein ziemlich fettes Erlebnis.  

Außerdem ist es nicht ganz fair, Bands vorzuwerfen, ihre bekanntesten Alben so eventmäßig zu präsentieren. Die allerwenigsten Künstler machen mehr als eine oder zwei Platten, die innovativ UND erfolgreich sind. Warum sollten sie diese dann nicht öfter in voller Länge durchspielen? Wir schauen uns ja auch oft Filmklassiker an, obwohl wir sie schon kennen.

Manche Alben werden die Menschen immer wieder neu bewegen – "Turn On The Bright Lights" und "The Joshua Tree" gehören dazu – und solange die Musiker einen Zugang zu diesen alten Songs finden, wird es sich auch lohnen, für diese Jubiläums-Konzerte Karten zu kaufen.