Jetzt Ace Noname feat. Saba & Smino

Info Noname ist keine gewöhnliche Rapperin: Sie gibt kaum Interviews, ist ein Social-Media-Muffel und dreht nie Musikvideos. Jedem Plattenlabel hat sie einen Korb gegeben. Ihr Album "Room 25" (2018) ist mit Live-Auftritten finanziert.

Interview // Alligatoah "Für mich gibt es keine Guilty Pleasures!"

"Schlaftabletten und Rotwein V" heißt das neue Album von Alligatoah und der Titel verspricht eine selbstzerstörerische Reise durch alle Klischees, die die Gesellschaft gerade beschäftigen. Wir haben ihn zum Interview getroffen.

Von: Nina Lenz

Stand: 22.09.2018 | Archiv

Alligatoah live auf dem Deichbrand Festival 2018 auf dem Seeflughafen Cuxhaven/Nordholz. Wurster Nordseeküste, 22.07.2018 | Bild: picture-alliance/dpa

PULS: Dein neues Album ist zur Abwechslung mal kein Mixtape – wo liegt für dich der Unterschied zwischen Mixtape und Album?

Alligatoah: Ich glaub da gab‘s ein bisschen Verwirrung, ob man das jetzt Mixtape oder Album nennt. "Schlaftabletten und Rotwein" war eigentlich traditionell eine Mixtape-Reihe, aber ich habe diesen Begriff glaub ich falsch verwendet - damals war mir das auch nicht ganz klar, was das eigentlich ist. Und deswegen waren auch die ersten "Schlaftabletten und Rotwein"-Teile eigentlich Alben, weil ich habe da ja auch nicht auf Ami-Beats gerappt oder halt das gemacht, was man auf Mixtapes macht. Sondern ich habe Alben gemacht mit dem Unterschied, dass es nicht um ein übergeordnetes Thema ging.

Wie ist der Prozess bei so einem Album bei dir? Ist das eine Qual oder nimmst du dir einfach zu viel Zeit, dass es keine Qual werden kann?

Es wird teilweise zur Qual und ich finde das auch gut. Ich glaube, wenn es nicht auch irgendwo mal wehtun würde oder anstrengend wäre, so ein Werk zu erschaffen, dann würde man es ja auch nicht Leidenschaft nennen. Da steckt ja auch das Wort "leiden" drin. Das gehört auch dazu, wenn man an irgendwas sitzt und man findet einfach die passende Zeile nicht, dass man sich auch verrückt macht und dass man auch nicht so schöne Gefühle damit verbindet. Dann ist es aber umso schöner und umso erleichternder, wenn man irgendwann nach Wochen die passende Zeile oder den passenden Reim findet.

Beim Albumtitel und den Titeln auf der Platte kommen mir zwei Themen in den Kopf: Es geht um Klischees und um Selbstzerstörung. Kann man das so sagen?

Man kann "Schlaftabletten und Rotwein" als Titel natürlich vielseitig interpretieren, so nach dem Motto "Hat er sich jetzt nur cool klingende Worte ausgesucht oder haben die eine Bedeutung?", aber Selbstzerstörung und Klischees trifft das ganze sehr gut. Als Mischung und in einer Überdosis sind Schlaftabletten und Rotwein natürlich tödlich. Deswegen ist es irgendwie auch die Selbstzerstörung, die man damit betreibt. Es war ziemlich klar von vorneherein, dass ich mal wieder so eine Art von Album mache, weil meine anderen Alben sind eigentlich alles Konzeptalben. Aber ich wollte gerne mal wieder ein bisschen wilder in alle verschiedenen Richtungen schießen, den Wahnsinn wieder ein bisschen mehr zelebrieren.

Du bist jemand, der in seinen Texten eher subtil Kritik übt. Im Zuge der Geschehnisse um Chemnitz wurde bemängelt, dass bekannte Musiker sich zu wenig öffentlich positionieren. Wie findest du, kann man das als Künstler sinnvoll tun? 

Ich glaube, man kann als Künstler nur so kritisieren, wie es auch in dem eigenen Charakter und Wesen liegt. Nur dann kann man ja auch authentisch und glaubwürdig als Künstler sein, wenn man sich so verhält, wie man eben drauf ist. Ich bin eben der Typ, der Sachen etwas subtiler anspricht und aus vielen Perspektiven sieht und auch versucht, den Leuten viele Perspektiven zu zeigen und zum Blickwinkelwechsel einzuladen. Wenn andere Künstler mehr in ihrem Charakter fühlen, klare Worte für sowas zu wählen, dann ist das absolut geil.

Es wird ja vor allem kritisiert, dass viele sich gar nicht geäußert haben.

Ja, da wird viel, laut und oft geschrien, dass sich Leute doch auf jeden Fall immer positionieren und eine Meinung haben müssen und das ist auch richtig. Ich denke aber auch, dass sich dadurch auch viele Leute äußern, auf deren Meinung man vielleicht auch hätte verzichten können. Weil du kannst natürlich auch den politisch desorientierten jungen Menschen dazu triezen, dass er sich jetzt endlich mal äußert und dann sagt er vielleicht, dass er rechts-außen wählt und dann ist das auch nicht so geil. Ich würde eher dafür plädieren, dass man dann seine Stimme erhebt und sich äußert, wenn man der Meinung ist, man hat über die Sache nachgedacht und man hat sich von allen Seiten ein Bild gemacht.

Auf der Zusatz-CD zum Album sind nur Coversongs und sie ist sehr Gitarren-lastig. Warum hast du gerade jetzt preisgegeben, dass du großer Gitarrenmusikfan bist?

Ich hab das ja immer schon ein bisschen preisgegeben, dass ich zum Beispiel von der Nu-Metal-Ära und von Bands wie Slipknot oder System Of A Down sehr beeinflusst worden bin und gelernt habe. Aber ich wollte auch einfach ein Statement setzen, dass ich diesen Begriff "Guilty Pleasure" ablehne. Ich wurde nämlich öfter mal gefragt, ob ich Musik habe, die ich nur heimlich höre und ich dachte mir immer wieder: Nein! Ich habe eine Menge Songs, die anderen vielleicht peinlich wären. Aber ich möchte zu allem stehen, was ich höre. Dieses Identifizieren mit nur einer Musikrichtung, das gehört auch irgendwie in eine jugendliche Phase, wo man gerade Identität sucht und sich irgendwie platzieren muss. Aber später hat man dann Gott sei Dank irgendwann den Moment, wo man alle anderen möglichen Musikrichtungen annehmen kann.

Du hast ein Feature mit Felix von Kraftklub auf deinem Album – wie kam das und warum gerade beim Song "Beinebrechen"?

Ich weiß gar nicht, ob der Song inhaltlich so unser gemeinsames Ding ist, aber das ist natürlich ein Thema, das alle kennen. Aber ich habe jetzt nicht wegen des Themas und wegen Beinebrechen an Felix gedacht, auch wenn er vielleicht ein harter Typ sein kann, der auch Leuten die Beine bricht - weiß man nicht! Aber ich habe ihn angerufen, weil ich ihn schätzte als den Frontsänger einer Rockband und mein Album hat ja auch ein bisschen mehr rockige Einflüsse, als meine vorherigen Alben. Deswegen war das naheliegend. 

Du sagst: Rap braucht wieder einen Märchenerzähler – gabs den schon mal?

Ja, auf meinem letzten Album. Aber ich will mich auch nicht hinstellen und erzählen, ich wäre der Einzige, der schon mal was Theatralisches gemacht hat oder Rollen gespielt hat in seiner Musik – das gab‘s sicherlich auch schon mal im Rap. Aber in dieser Konsequenz, in der ich das mache, habe ich glaube ich eine Nische geschaffen, die nicht jeder cool findet, aber manche eben schon.

Märchen sind ja tendenziell was Schönes, aber leider oft einfach nicht wahr.

Aber Märchen haben oft auch eine sehr politische Komponente – das vergessen viele immer! Wenn man sich zum Beispiel die Märchen der Gebrüder Grimm anguckt, dann steckt da auch vieles drin, was sie damals nicht sagen durften zu der Zeit und was dann in Metaphern eingebaut werden konnte. Das ist vielleicht auch eine spannende Verbindung zu mir.

Was findest du braucht Rap generell?

Ich glaube Rap braucht eigentlich Vielfalt. Ich habe diese Vielfalt zwar immer schon gesehen und die ist auch sehr gewachsen in der Zeit, in der ich auch gewachsen und in diese Szene gekommen bin. Es ist auch parallel ganz viel passiert und es gab unterschiedlichste Rapper, die auch in unterschiedlichsten Musikrichtungen Sprechgesang gemacht haben und ich fand das alles ganz toll. Aber jetzt sehe ich so ein bisschen, dass fast alle nur noch den selben Beat haben und nur noch auf diese Trapmusik rappen, was eine geile Musikrichtung ist, ich höre die auch gerne und feiere die. Aber da geht ein bisschen Vielfalt verloren und deswegen will ich gerne junge Leute dazu anhalten, mal was zu machen, was es lange nicht gab: Reggae-Rap vielleicht!

Willst du eigentlich, dass sich deine Fans explizit mit den Texten auseinandersetzen?

Ich verlange das natürlich nicht, um Gottes Willen, ich würde das nie fordern oder mir wünschen. Ich freue mich darüber, wenn sich Leute da langsam zu einer Gruppe gebildet haben, die sich wirklich mit Zettel und Stift hinsetzen, die Sachen rausarbeiten und bei jeder Metapher drum streiten und in den Kommentaren drüber diskutieren, was hinter den Sprachbildern steht. Da denke ich manchmal: "Okay, die Interpretation habe ich selbst noch nie gehört, das ist mir neu." Das finde ich alles toll, aber das muss von selbst entstehen.

Du führst bei deinen Musikvideos eigentlich immer selbst Regie – wie wichtig ist dir das Visuelle zu deiner Musik? 

Ich versuche natürlich, dass sie Sprachbilder so stark sind, dass sie sich im Kopf schon ergeben. Zu meiner ersten Single hatte ich zum Beispiel einen schwarzen Bildschirm als Musikvideo und das war eben auch eine Einladung dazu, selbst die Gedanken spielen zu lassen und Bilder entstehen zu lassen. Das darf nicht verloren gehen. Genauso setze ich mich eben nach dem fertigen Album nochmal hin und höre die Songs mit frischen Ohren neu. Ich versuche dann an ganz andere Dinge zu denken, als an die Bilder an die ich gedacht habe, als ich das geschrieben habe. Dann denke ich mir neue Bilder dazu aus und entwerfe ein Musikvideo.

Sendung: Plattenbau, 20.09.2018 - ab 19.00 Uhr