Tracks der Woche #39/18 Mall Girl, Parcels, Jugo Ürdens feat. EINFACHSO, The 1975, AnnenMayKantereit

Die Tracks der Woche bringen den Beweis: Norwegen ist eine Indie-Fundgrube, Disco kommt zurück, Fifa ist immer noch ein geiles Game, Aufrichtigkeit lohnt sich und eine gute Stimme überlebt alles.

Von: Sophie Kernbichl

Stand: 19.09.2018 | Archiv

Tracks der Woche 39/18 | Bild: Lars S Jacobsen, Jugo Ürdens, Privat, Facebook

Mall Girl – Slay Queen

Norwegen ist nicht nur für seine malerischen Fjorde bekannt, die skandinavische Halbinsel ist auch eine wahre Fundgrube, wenn es um aufregende, neue Indie-Acts geht. Einige davon – Sängerin Aurora zum Beispiel – haben es bereits zu internationaler Bekanntheit gebracht. Andere stehen noch ganz am Anfang. So auch die Newcomer Mall Girl, die gerade ihre Debüt-Single "Slay Queen" veröffentlicht haben. Diesem ersten Hinweis zufolge erwartet uns bei Mall Girl tanzbarer Indie-Pop, der bereichert wird von Funk-Einflüssen und auch nicht zurückschreckt vor laut schrammelnden Rock-Gitarren. "Slay Queen" klingt sehr ungezwungen und mühelos – als würde die Musik ganz spontan aus der Band herausprudeln. Was nach Zufall klingt, ist in Wahrheit aber durchaus wohl überlegt. Schon die Klamottenwahl der Band zeigt, dass da ein Konzept verfolgt wird: Das Markenzeichen der Norweger ist die Farbe Rosa – in all ihren Facetten.

Parcels – Lightenup

Parcels sind tatsächlich ein Gesamtpaket: Der Look der fünf Australier ist absolut makellos, der Sound mindestens so Retro wie ihre Klamotten, die Live-Shows so schillernd wie eine Disko-Kugel. Und dabei haben die Parcels bisher gerade mal eine EP und eine Hand voll Singles rausgehauen. Aber Nachschub ist schon auf dem Weg: Das Debüt-Album wird bereits im Oktober kommen. Und die neue Single "Lightenup" mit funky Disco-Vibe und herausragendem Flöteneinsatz macht richtig Bock auf die neue Platte. Besonders bezaubernd: der Stimmeinsatz. Bei den Parcels gibt es nicht nur einen Sänger, sondern vier: Die beiden Keyboarder, der Gitarrist und der Bassist stehen gleichzeitig hinterm Mikro, was den verträumten Vocals die gewisse Tiefe und Abwechslung gibt. Dass der Track stellenweise an Daft Punk erinnert, ist übrigens kein Zufall. Parcels haben bereits letztes Jahr einen Song mit dem französischen Duo aufgenommen.

Jugo Ürdens feat. Einfachso – Läuft

Dass Rapper Jugo Ürdens ausgesprochen hübsche Gesichtszüge hat, dürfte sich bereits rumgesprochen haben. Noch spannender ist aber, dass der Wiener musikalisch gleich zwei Gesichter hat: Einerseits besitzt er einen ausgeprägten Sinn für Selbstironie, wenn er auf trappigen Beats von seiner Liebe zu alten Schrottkarren und dem Adidas-Trainingsanzug als Ostblock-Uniform rappt. Andererseits kann er aber auch durchaus ernstere Töne anschlagen, wenn es wie aktuell auf "Läuft" um den eigenen Ausverkauf und die damit verbundene Langeweile geht. Auch der Beat spricht eine deutliche Sprache und dazu haut Kollege EINFACHSO einen schleppenden, eingängigen Refrain raus. Während EINFACHSO schon länger rappt, ist Judo Ürgens ursprünglich übers Beat-Basteln zum Hip-Hop gekommen. Die beiden sind mittlerweile ein eingespieltes Team – im wahrsten Sinne des Wortes: neben der Musik verbindet sie ihre Leidenschaft für exzessives Fifa-Zocken.

The 1975 – Sincerity is Scary

"And this is how it starts”, lautet die erste Zeile des Songs "Sex” aus dem Jahr 2013. Ein Track, der einen Platz in der Hall of Fame des Indie verdient hätte. Und passenderweise war "Sex" auch der Startschuss der Karriere von The 1975. Mit diesem Song im Ohr muss man bei der neuen Single "Sincerity Is Scary" schon zweimal hinhören, um zu erkennen, dass es sich hier um die gleiche Band handelt. Langsame Drums, ein geschmeidiges Saxophon und Piano erschaffen eine ungewöhnlich entschleunigte Atmosphäre. Die Stimme von Healy klingt um einiges softer und erwachsener als auf den früheren Songs. Und der im Refrain einsetzende Chor kommt definitiv unerwartet. In den letzten Jahren hat sich klangtechnisch viel getan bei den Briten. Aber auch bei "Sincerity is Scary" ist wieder die erste Textzeile wegweisend: "And irony is okay, I suppose, culture is to blame". Der neue Ansatz geht also weg von der ironischen Indie-Witzelei und verspricht dafür mehr Aufrichtigkeit.

AnnenMayKantereit – Marie

Wenn in jedem Artikel über deine Band – selbst im zweiten Satz auf der Wikipedia-Bandseite – deine markante Reibeisen-Stimme erwähnt wird, dann ist dein Name vermutlich Henning May. 2016 gelang dem Sänger mit seiner Band AnnenMayKantereit der Durchbruch – plötzlich waren die Kölner überall. Ein Riesenhype, auf den eine wohl verdiente Erholungspause folgte. Als aber vor einigen Monaten eine Tour für 2019 angekündigt wurde, war klar: Da muss bald was Neues kommen. Aktuell nehmen die Jungs ihr nächstes Album auf. "Marie" heißt die erste Kostprobe daraus, ein melancholisches Liebeslied, wie es nur AnnenMayKantereit hinbekommen. Zu Beginn hat man das Gefühl, Henning versucht seine Stimme noch ein bisschen zu zügeln, aber es dauert nicht lange, bis sie dann doch mit voller Wucht über uns hereinbricht. Die musikalische Begleitung erinnert zurück an die Tage, als die Jungs noch unbekannte Straßenmusiker waren.

Sendung: Freundeskreis, 24.09.2018 - ab 10.00 Uhr