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"Pudels Kern" Rocko Schamoni schreibt 20 Jahre nach "Dorfpunks" endlich eine Fortsetzung

Im Bestseller "Dorfpunks" erzählt Rocko Schamoni von seiner Dorfjugend in Schleswig-Holstein, von der Enge und seiner Flucht davor. 20 Jahre später erscheint Teil zwei seiner Biografie: "Pudels Kern" über sein Leben im Hamburg der 80er-Jahre.

Von: Sandra Limoncini

Stand: 16.04.2024

Der Autor und Musiker Rocko Schamoni | Bild: Dorle Bahlburg

"Pudels Kern" lautet der Titel des Buches. Ist das hier etwa "Faust"? In der Tragödie verbirgt sich im schwarzen Pudel Mephisto. Wir sind hier aber nicht bei Johann Wolfgang von Goethe. Sondern bei Rocko Schamoni. Und der hat was übrig für den Pudel, für die Metapher. Auch er will ans Tageslicht zerren, was bis dahin verborgen blieb: "Der Pudel hat ja verschiedene Ebenen und ich freu mich immer, wenn man durch verschiedene Ebenen durchwandern kann, weil eindimensional kann man schon häufig genug sein", erklärt er im Gespräch.

Rocko Schamonis Kampf mit sich selbst

Und so ist Mehrdimensionalität Programm in "Pudels Kern". Rocko Schamoni erzählt darin einen weiteren Teil seiner Lebensgeschichte – quasi der Tragödie zweiter Teil – anhand der Karriereschritte, die er macht. Und er beschreibt seinen Kampf mit sich selbst, denn er zweifelt und verzweifelt an sich und seiner Kunst. Auf Basis alter Tagebücher, Kalender und Notizen rekonstruiert er minutiös sein Leben im Hamburg der 80er-Jahre.

Damals war Hamburg noch nicht die kernseifige hanseatische Metropole, eher eine zwielichtige Hafenstadt mit einigen heruntergekommenen Vierteln. Allen voran St. Pauli. Rocko verliert dort den Boden unter den Füßen, will Musiker sein, und lebt doch eher wie ein Obdachloser, nur mit festem Schlafplatz. Rocko Schamoni sagt über diese prägenden Jahre: "Das war in meinem Wesen vergraben, da reinzugehen in diese Schächte. Und ich bin da auch viel zu tief reingegangen. So weit, dass die Depression dann auch wirklich raumfüllend wurde. Gleichzeitig habe ich auch begriffen, dass mir das etwas Berichtenswertes mit auf den Weg gibt, nämlich die Einsicht in diese Kellerräume meiner Seele und meines Lebens."

Von den Hosen bis zu den Goldenen Zitronen 

Und Berichtenswertes gibt es einiges: Sehr schnell lernt er gefühlt die gesamte deutsche Subkultur-Szene kennen, geht mit den Toten Hosen und den Goldenen Zitronen auf Tour, verschafft Helge Schneider seinen ersten öffentlichen Auftritt, lernt die Einstürzenden Neubauten, die Ärzte, Frank Spilker von den Sternen und den Künstler Daniel Richter kennen. Er spielt Billiard mit Peter Maffay und lernt von Michael Holm, wie man singt und wird Betreiber des legendären Pudel Clubs – da ist er wieder, der Pudel.

Kurz vor dem totalen Absturz

Trotz allem fühlt er sich oft einsam und ausgeschlossen. Trinkt zu viel, isst nichts, haut sich die Nächte um die Ohren und steht dauernd kurz vor dem totalen Absturz. Macht dann verrückte Dinge, wie einen Bierkrug auf seinem Kopf zerschmettern, um eine Frau zu beeindrucken. Im Krankenhaus lässt er seinen zerschnittenen, blutenden Kopf dann ohne Betäubung nähen.

Heute schaut er kritisch auf seine junges Ich: "Jemand der so etwas macht, der muss entweder völlig vernagelt sein – oder wirklich verzweifelt. Vielleicht war ich auch beides. Ich kann das kaum nachvollziehen, wie ich so weit gehen konnte, dass ich da über eine Grenze gegangen bin. Aber in dem Moment hat das eine Selbstverständlichkeit gehabt, ich musste mich scheinbar so verletzten."

Von der völligen Auflösung bis zum geachteten Künstler

Rocko Schamoni nähert sich in seinem Buch und seinem Leben immer wieder der völligen Auflösung – und wird gleichzeitig ein geachteter Künstler. Seine Angst davor, sauber, erfolgreich, zukunftsorientiert, eloquent und zielstrebig zu werden, hat ihn jahrelang verfolgt. Er wollte lange alles, aber kein normaler Bürger sein: "In meinem Fall war das so, dass ich mich von meinen Eltern distanzieren wollte, weil ich unterbewusst meinte, nicht die Liebe von ihnen zu bekommen, die ich gebraucht hätte. Und insofern waren meine Eltern für mich 'die Gesellschaft' und 'die Normalität'. Und ich musste das alles hinter mir lassen und eine neue Familie gründen mit meiner Punkrock-Gang. Und mich dabei selbst erfinden."

"Pudels Kern": Manchmal schmerzhaft, immer mitreißend

Am Ende schafft er genau das: Sich selbst neu zu erfinden und ganz nebenbei Nukleus der musikalischen Subkultur, die wir heute Hamburger Schule nennen, zu werden. "Pudels Kern" ist die buchgewordene Doppeldeutigkeit, popkulturelle Chronik einer Musikszene und Selbsterfahrungsbericht eines zweifelnden Künstlers. Manchmal schmerzhaft zu lesen, aber dabei wahnsinnig unterhaltsam und mitreißend.

"Pudels Kern" von Rocko Schamoni ist im Hanser Verlag erschienen.