Bayern 2 - Zündfunk

Ja, Panik! im Interview "Erst mal findet man so eine anarche Haltung toll. Dann schaut man ein zweites Mal hin"

Ja, Panik! steuert auf ihr 20-jähriges Jubiläum zu und auch sonst immer weiter: aus dem Burgenland über Wien nach Berlin. Und jetzt auch Argentinien. Ein Talk über den panikschen Language-Switch, den argentinischen Anarcho-Präsidenten Javier Milei und ein Thema, was die nächsten Jahre bestimmen wird.

Von: Tobias Ruhland

Stand: 12.04.2024

Ja, Panik - Don't Play With The Rich Kids | Bild: Luca Celine

Tobias Ruhland: Ladies und Gentlemen, meine Damen und Herren, hier ist die Gruppe Ja, Panik! in Menschengestalt. Let's talk with Andi Spechtl. Hope, dass es euch gefällt. Andreas Spechtl, herzlich willkommen beim Zündfunk!

Andreas Spechtl: Hallo. Grüß euch.

Das mit dem Language-Switch in der Ansprache, das haben wir uns von dir und deiner Platte abgeschaut.

Sehr schön. Es sprechen mich relativ viele Leute darauf an. Ich weiß ja nicht gar nicht genau, wieso, aber auf der Platte habe ich ein bisschen ärgeren österreichischen Einschlag. Es sind jetzt fast drei Sprachen geworden oder vier, wenn man die paar spanischen Brocken noch mitnimmt.

Erstmal zu eurer neuen Single "USHUAIA". Das ist jetzt nicht irgendein Fantasiewort oder die Abkürzung fürs nächste Ja, Panik! -Album. Nein, das ist die südlichste Stadt der Welt und liegt in Argentinien, wo es dich momentan hin verschlagen hat. Was ist da los?

Die südlichste Stadt der Welt, Ushuaia.

Meine Partnerin hat da einen Job für den deutsch-akademischen Austauschdienst und da sind wir fünf Jahre im Ganzen, jetzt schon fast zwei Jahre.

Und bist du da wirklich die ganze Zeit?

Wenn ich nichts zu tun habe, ja. Ich war jetzt daheim für die Staatsakt-, dann für die Ja, Panik! -Aufnahmen und jetzt bin ich für die Ja, Panik! -Tour da. Aber ein paar Tage nachdem die Tour vorbei ist, fliege ich wieder. Das ist gerade schon mein Lebensmittelpunkt.

Und wo dort in Argentinien?

In Cordoba, das ist die zweitgrößte Stadt. Wir sind aber auch ganz viel in Buenos Aires, weil Laura da viel auf der Uni zu tun hat. Wir pendeln ein bisschen hin und her.

Taugt es dir, also könntest du dir das länger vorstellen?

Ich find's total gut. Gerade so lange, finde ich, dass man ankommen kann, aber dass man auch nicht das Gefühl hat, man ist total ausgewandert.

Kriegst du auch den neuen Präsidenten mit?

Ach, hör auf.

Willst du nicht darüber plaudern?

Argentiniens Präsident Javier Milei und Vize-Präsidentin Victoria Villarruel.

Es ist halt einfach total verrückt, was da passiert. Man versteht natürlich irgendwie die Verzweiflung. Also, wenn man irgendwas daran verstehen mag: Javier Milei wurde hauptsächlich gewählt, weil es oft so ist, wie es ist, wenn die totale Verdrossenheit herrscht ist. Wenn jahrelang Leute, die eigentlich nicht genuin aus der Politik kommend, links und rechts der etablierten politischen Parteien das Land nicht weitergebracht haben: Dann wird halt jetzt so ein kompletter Weirdo gewählt, der eigentlich aus der Privatwirtschaft kommt. Wie bei Bolsonaro in Brasilien, Trump in den USA oder – das Paradebeispiel für diese neue Art von Politikertypus – jemand wie Berlusconi in Italien. In die Richtung geht das halt.

Und wie ist die Situation mit Milei gerade?

Es fängt an, wirklich brenzlig zu werden.

Wir haben Präsident Milei mit seiner Kettensägenaktion und so weiter schon auch hier mitgekriegt. Dieses Anarchische, dieses "dem Establishment den Kampf ansagen", das der auch verkörpert – gibt es da irgendwas positives, das du dem als Musiker und Teil von Ja, Panik! was abgewinnen kannst?

Erst mal findet man so eine anarche Haltung und so ein Punk-Ding natürlich toll, dieses "Ich scheiß auf alles und ich möchte alles zerschlagen". Aber dann schaut man ein zweites Mal hin und fragt sich, was der eigentlich zerschlagen mag: einen arg funktionierenden Sozialstaat, obwohl Argentinien in einer krassen Krise ist, mit das beste Bildungssystem von Lateinamerika, eine starke Frauenbewegung. So etwas wie gleichgeschlechtliche Ehe gibt es in Argentinien auch schon, da haben die Leute in Deutschland noch nicht mal drüber geredet. Das Abtreibungsrecht, das jahrelang erkämpft worden ist.

Insofern man muss halt immer schauen, wo die Zerstörungswut landet. Das Krasse ist: Auch die Leute, die wir kennen, quasi die Mittelschicht, leben gerade total von ihren Ersparnissen. Das geht grad noch. Wenn die Ersparnisse in ein paar Monaten aber weg sind, das sagen auch alle, dann wird es politisch wirklich interessant. Und dann kann man mal gucken, was passiert mit Aufstand, Demonstrationen und was weiß ich was.

Und das sind wir wieder bei "Angst and the Money". Auch so ein Lieblingsthema von der Gruppe Ja, Panik!. "Don't Play With The Rich Kids" heißt euer aktuelles Album. Das ist im Februar rausgekommen. Auf einen Satz runtergebrochen geht es da um das Motto "Man muss es sich ja als junger Mensch fast schon leisten können, Musik machen zu können, davon leben zu können". Dieses Wissen, privilegiert zu sein, also "Wir wissen ganz genau, was wir daran haben, dass wir einfach Musik machen können." Ist das gut auf den Punkt gebracht?

Das ist total gut. Wenn man das länger macht und so ein bisschen draufschaut, wie schwieriger es gerade wird, Musik oder Kunst im Generellen zu machen. Umso mehr einem da auch gerade der ökonomische Boden weggezogen wird, umso schwieriger schafft man es, mit seiner Kunst, mit seiner Musik oder ihrer Musik auch Geld zu machen. Umso mehr bleibt das in den Händen von denen, die sich das leisten können. Also den "Rich Kids" im Endeffekt. Das ist jetzt auch nicht per se schlecht, aber ich finde es interessant darüber zu sprechen und einen Schritt weiter zu denken.

Ja, Panik | Bild: Luca Celine zum Artikel „Don´t Play With The Rich Kids“ Ja, Panik über Klassenkampf in Kunst & Pop

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Ich glaube eins der großen Themen der nächsten Jahre wird Erbschaft sein, wie Vermögen vermacht wird. Gerade wenn die Leute immer weniger Kinder bekommen und sich das Vermögen immer mehr auf eine kleine Schicht konzentriert. Es wird immer interessanter und problematischer werden, dass man eigentlich für das, was man hat, nicht hat arbeiten müssen, sondern dass einem das zugefallen ist und man gleichzeitig nicht mal was an die Gesellschaft zurückgibt.

In Österreich ist grad der Waffenhersteller Glock gestorben, ein Milliardär. Aber kein Cent ist an den österreichischen Staat gegangen. Der hat seine Kinder einfach zu Milliardären gemacht mit einem Waffengeschäft, dadurch, dass er das auslagert. Und solche Sachen wird es die nächsten Jahre immer mehr geben, das wird glaube ich immer wichtiger sein: Verteilung, Steuer, etc. Und das finde ich total interessant, weit über Musik und Kunst hinaus.