Interview // Brauchen wir noch den CSD? "Heteros können sich nur schwer vorstellen, wie die Zustände in Deutschland sind"

Weltweit wird zwischen Mai und September der Christopher Street Day gefeiert. Was einst als kleine Demo begann, ist mittlerweile eine riesige Parade. Aber braucht es den CSD überhaupt noch? Die Antwort der Münchner CSD-Sprecherin Julia Bomsdorf ist eindeutig.

Von: Miriam Harner

Stand: 19.06.2019 | Archiv

Julia Bomsdorf, Pressesprecherin des Münchner CSD | Bild: Michael Trammer

Love is love is love! Um das zu feiern, finden deutschlandweit und rund um den Globus Pride Parades wie zum Christopher Street Day statt, in München zum Beispiel am 13. und 14. Juli unter dem Motto "50 Jahre Stonewall – Celebrate diversity! Fight for equality!" Julia Bomsdorf ist die Pressesprecherin des Münchner CSD. Wir wollten von ihr wissen, welche Bedeutung die Großdemo noch für die Gesellschaft hat.

Es gibt die Ehe für alle, in immer mehr Ländern wird Homosexualität legalisiert – allgemein sieht die Lage für queere Menschen doch recht gut aus, vor allem in Deutschland. Braucht es da überhaupt noch einen CSD?

Julia Bomsdorf: Man muss natürlich unterscheiden zwischen der Situation in Deutschland und der im Rest der Welt. Selbs wenn sich etwas zum Positiven ändert, steht in mehr als siebzig Ländern Homosexualität unter Strafe, in zwölf davon sogar unter Todesstrafe. Auch in Deutschland gibt es Gruppierungen die versuchen, die schon gemachten Fortschritte wieder umzukehren. Auch wenn eine rechtliche Gleichstellung gegeben ist, schützt es eben lange noch nicht vor Diskriminierung, Übergriffen und Hass, der queeren Menschen entgegenschlägt. Statistiken und Befragungen zeigen, dass mindestens 80 Prozent aller nicht heterosexuell lebenden Menschen Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Ein Großteil davon hat körperliche und verbale Gewalt erfahren. Die "Ehe für alle" wurde ja als großer Erfolg gefeiert – viele Menschen haben gesagt, ihr könnt doch jetzt heiraten, was wollt ihr denn noch. Aber nicht jede homosexuelle Person will heiraten, das ist also nur für einen bestimmten Teil der Bevölkerung relevant.

Oder nehmen wir den neuen Entwurf des sogenannten "Transsexuellengesetzes" in Deutschland. Das war wieder so eine Art Verschlimmbesserung. Die Weltgesundheitsorganisation hat Transgender zwar ganz offiziell als Krankheit gestrichen, aber trotzdem müssen in Deutschland noch extrem viele Gutachten und psychologische Gutachten und Tests gemacht werden, um vor Gericht seinen Geschlechtseintrag ändern lassen zu können. Insgesamt hat sich also vieles an der Situation queerer Personen verbessert, aber gut ist es trotzdem noch überhaupt nicht.

Wurdest du auch schon diskriminiert, weil du lesbisch bist?

Ich habe Glück, meine Familie ist sehr offen und akzeptierend, auch mit meiner Arbeitsstelle gibt’s keine Probleme. Aber wenn ich nachts mit meiner Freundin unterwegs bin, sind dumme Kommentare oder Anmachversuche an der Tagesordnung. Ich wurde auch körperlich angegriffen, nachdem ich zu einem sehr penetranten Mann gesagt habe: "Nein, bitte fass' mich nicht an." Das konnte er nicht akzeptieren. Zum Glück ist es nicht die Mehrheit, die so agiert. Aber oft können sich Heteros nur schwer vorstellen, wie die Zustände in Deutschland und München noch immer sind, einfach, weil sie nicht damit konfrontiert sind.

Also ist der CSD – obwohl er wie eine knallbunte Party aussieht – immer noch eine politische Veranstaltung?

Klar, die Kamera wird immer gerne auf die schwulen Paradiesvögel gerichtet. Und natürlich sind die sehr wichtig beim CSD. Dahinter steht aber eigentlich eine politische Demonstration. Angefangen hat es ja vor genau 50 Jahren in New York, wo die sogenannten Stonewall Riots stattgefunden haben (Anm.d.Red.: Eine Serie von gewalttätigen Konflikten zwischen Homo- sowie Transsexuellen und Polizeibeamten in New York). Wir wollen daran erinnern und die Menschen ehren, die für uns und für die Situation gekämpft haben, in der wir uns heute befinden. Auf der anderen Seite ist der Blick in die Zukunft und der Kampf für vollständige Gleichberechtigung und Gleichstellung. Beim CSD kommen all diese verschiedenen Thematiken zusammen und die gesamte Community geht gemeinsam laut an die Öffentlichkeit und sagt: Wir sind hier!

Wie hat sich der CSD im Lauf der Zeit verändert?

München hatte seinen ersten CSD 1980, da sind unter Polizeischutz ziemlich genau 150 Leute gelaufen. Heute nehmen mehr als 175.000 Menschen daran teil. 1980 gab es immer noch den Paragraf 175, der Homosexualität unter Strafe gestellt hat. Heute ist der abgeschafft und die Münchner Politik stark in den CSD eingebunden, zum Beispiel feiern wir jetzt auch im Rathaus. Und auch das Spektrum der Teilnehmenden ist im Laufe der Jahre sehr viel breiter geworden, besonders die transgeschlechtliche Community ist immer mehr zu sehen. Ganz grundsätzlich sind die Menschen jünger geworden. Und während es anfangs wirklich nur eine rein politische Demonstration war, kam mit der Zeit auch immer mehr feiern und Spaß haben dazu.

Beim CSD sind ja inzwischen immer mehr Wägen von großen Unternehmen dabei, zum Beispiel Supermarktketten oder in München Disney. Wie siehst du das, ist das ein positiver Trend oder nur billige Werbung?

Das lässt sich nicht so eindeutig beantworten, weil unterschiedliche Unternehmen auch unterschiedlich mit dem Thema LGBTQI umgehen. Wenn sie sich auch in ihrer Unternehmenskultur um Gleichstellung bemühen, ist das nicht nur bunt angemalter Kapitalismus. Und natürlich ist das Geld von Sponsoren notwendig, um eine so wichtige Veranstaltung wie den CSD auf die Beine zu stellen. Da können wir uns nicht komplett distanzieren, aber wir schauen bei der Auswahl auch genau hin. Wenn eine politische Message gar nicht zu uns passt, gibt es eben keine Kooperation.

Sendung: PULS am 22.06.2019 - ab 14 Uhr