Ruft mich NICHT an! Mit dem Handy sollte man alles machen - nur nicht telefonieren

Mit dem Handy zu telefonieren ist, als würde man Google Maps ausdrucken: Vollkommener Schwachsinn. Telefonieren ist ein Relikt aus uralten Zeiten, also hört endlich auf damit!

Von: Daniela Woytewicz

Stand: 07.12.2017 | Archiv

Ruf mich nicht an  | Bild: BR

Ich liebe mein Smartphone. Wirklich! Es ist Liebe.

Ich pflege eine fast schon ungesund persönliche Beziehung zu meinem Handy. Es bewahrt meine schönsten Erinnerungen auf und ich vertraue ihm alles an. Es weiß, wen ich bei Instagram heimlich stalke, welche Filme ich mag und welche Musik ich wann am liebsten höre. Es weiß sogar, wenn auch nur im Privatmodus, welche Vampir-Anime-Serie ich heimlich schaue. Es gibt wirklich nur einen Zustand, in dem mir mein Handy so gar nicht gefällt.

Folgendes Szenario: Ich google gerade fröhlich nach - sagen wir mal - "Können Fische pupsen?" als plötzlich alles zusammenbricht. Völliger Shutdown. Schwarzer Bildschirm, nur ein Name erscheint oder eine unbekannte Nummer oder, Gott bewahre, ein "Anonym". Das ist ein Zustand, in dem mein sonst an Ideen und Möglichkeiten reiches Handy mir nur drei Alternativen anbietet: rangehen (Horror!), wegdrücken (unhöflich) oder abwarten (auch unhöflich).

Kurz: Ich hasse es, angerufen zu werden. Bitte hört endlich damit auf. Mich bringen schon die ersten zwei Sekunden meines Klingeltons zur Weißglut. Dieser Blick auf den Bildschirm, der mich unbeirrt anschreit: "Hallooooo, gehst du wohl gefälligst ran?". Wenn ich wegschaue, sehe ich es aus den Augenwinkeln: "Hey, siehst du nicht - es klingelt, ich rufe an!". "Hey, hey, hey, ich klingel immer noch!". Mit zitternden Fingern schiebe ich das Handy von mir weg, gefährlich nah an die Tischkante, die mir plötzlich wie ein guter Freund erscheint.

Leute, das ist Stress! Vollkommen unnötiger Stress.

Anrufer sind Wichtigtuer

Der Mensch, der mich gerade zu erreichen versucht, hat doch in den meisten Fällen nicht den blassesten Schimmer davon, was ich gerade mache und ob ich gerade überhaupt telefonieren kann. Vielleicht macht gerade mein Freund mit mir Schluss. Vielleicht schleppe ich gerade einen fünf Kilo schweren Einkaufskorb in den 4. Stock. Oder ich mache gerade DAS ultimative Foto von einem süßen, scheuen Eichhörnchen, das jeden Moment abhauen könnte. Oder ich habe gerade Sex. Wie unsensibel!

Trotzdem ruft dieser Wichtigtuer an und nimmt null Rücksicht auf meinen Gemütszustand. Denn sein Anruf ist viel wichtiger als meine momentane IRL-Situation und ich soll bitteschön alles stehen und liegen lassen und endlich rangehen. Wenn das nicht unhöflich ist, dann weiß ich auch nicht?! Verdammt! Das Bild vom Eichhörnchen hätte mir viele Likes auf Insta gebracht. 

Manche Anrufer fragen dann auch noch: "Äh, störe ich gerade?". Was ich denke: "Ja aber jetzt ist es schon zu spät". Was ich sage: "Naja vielleicht ein bisschen - aber was gibt es denn?" Neugier war schon immer meine Achillesferse. Natürlich könnte ich auch einfach mein Telefon ausschalten, wenn ich nicht angerufen werden will - aber dann kann ich ja auch nicht mehr nach pupsenden Fischen googeln.

Ich will antworten, wann ich will

Manchmal warte ich wirklich bis das Klingeln aufhört. Ich ignoriere es, bis das Display endlich wieder seinen Normalzustand erreicht hat und schicke schnell eine WhatsApp-Nachricht: "Sry, kann gerade nicht so gut telefonieren."

Nicht falsch verstehen! Ich kommuniziere liebend gern mit dem Handy. Aber das Telefonieren ist ein Relikt aus uralten Zeiten. Ich kann auf so viele und stressfreie Weisen mit anderen Menschen kommunizieren:

  • Um zu sagen, wie toll die Urlaubsbilder der Freundin aussehen: Instagram DMs.
  • Abstimmen, zu welcher Party man als nächstes geht: Facebook Messenger.
  • Um im Gruppenchat das Geschenk für die Schwester zu finden: WhatsApp.
  • Anhören, wie das verpatzte Tinder-Date vom Kumpel war: Sprachnachricht.
  • Lustige und sinnlose Filtervideos zum Zeitvertreib verschicken: Snapchat.
  • Für längeres Hin und Her mit Behörden, Versicherung oder Bank: E-Mail.

All diese Kommunikationswege haben eine Sache gemeinsam: Ich kann antworten, wann ich will. Mein Gesprächspartner oder -partnerin übrigens auch. Denen schreibe ich ja auch nicht vor, wann sie meine Sachen zu beantworten haben. So weit sind wir doch im Jahr 2017 gekommen: Ich kann mir doch auch verdammt nochmal “Mindhunter” bei Netflix anschauen, wann ich will und muss nicht Punkt 20:15 Uhr am Sonntagabend vor der Röhre sitzen.

Die Hölle: Mit unterdrückter Rufnummer angerufen werden

Unangekündigte Telefonanrufe haben außerdem immer einen fahlen Beigeschmack: Wer anruft scheint irgendetwas von mir zu wollen, das komplizierter ist. Etwas, das man nicht einfach in einer WhatsApp-Nachricht schreiben kann oder vielleicht nicht will? Oder langer Absprachen bedarf. Es raubt Zeit. Klingelt mein Handy, denke ich oft als Erstes: "Okay, was ist passiert? Was ist los?". Mein Bauch krampft, ich fühle mich schlecht. Da ist es doch leicht, den Anruf beiseite zu schieben.

Die wahren Folterknechte sind Leute, die mit unterdrückter Nummer anrufen oder auf die Mailbox sprechen. Ich habe drei Monate versucht, die Mailbox abzuschalten - vergeblich. Jedes Mal wenn eine neue Nachricht in der Mailbox liegt, ärgere ich mich wieder, dass ich die Mailbox nicht abgeschaltet habe. Dann nehme ich mir das immer wieder vor - aber dafür müsste ich ja den Kundenservice anrufen, denn - hallo Ironie - anders geht das bei meinem Anbieter nicht. Und ich hasse es, mit meinem Handy zu telefonieren.

Die Lösung: Ein Telefondate

Die einzige Lösung für dieses Dilemma ist das verabredete Telefonat. Dann kann ich mich darauf einstellen, kurzzeitig vom Rest der Funktionswelt meines Handys abgeschnitten zu sein. Das ist okay: Es kommt nicht plötzlich, nicht unerwartet. Es ist sowas wie ein limitiertes, nostalgisches Rendezvous. Ein Hauch 90er! Yeah!

Sendung: Filter am 06.12.2017 ab 15 Uhr