Influencer*innen in der Krise Corona wird zum Reality Check für Influencer*innen

Authentizität – das Zauberwort aller Influencer*innen reicht in Zeiten von Corona nicht mehr aus, um die Follower zu begeistern. Was jetzt zählt ist Integrität, sonst hagelt es harsche Kritik.

Von: Katharina Geschier

Stand: 28.04.2020 | Archiv

Corona Virus in Instagram Symbol | Bild: BR

Auch Influencer*innen stecken in der Krise. Sie bekommen weniger Werbe-Deals, obwohl wir mehr Zeit denn je online verbringen. Zu groß die Angst der üblichen Markenkunden, genau jetzt für Reisen oder Luxushandtaschen zu werben, obwohl wirklich niemand damit etwas anfangen kann.

"Wir dürfen uns nicht beschweren, gerade Online-Angebote laufen noch richtig gut - aber richtig große Sachen, wo zum Beispiel Events dabei sind, die sind jetzt erstmal pausiert", so Marie Walowsky, Campaign Managerin bei lookfamed. Das stellt vor allem die Influencer*innen, deren Hauptcontent aus solchen Events und Produktvorstellungen bestand, jetzt vor ein Problem: Welchen Content mache ich denn jetzt?

Krise vs. Content

Oğuz Yılmaz ist Mitgründer der Künstler*innenmanagementagentur Yilmazhummel und vertritt zum Beispiel Madeline Alizadeh alias @dariadaria oder Mirella Precek (@mirellativegal). Er sieht das nüchtern:

"Wenn Influencer*innen jetzt merken, dass sie schon sehr abhängig davon sind, anderen einfach nur Sachen zu zeigen, und selbst können sie anscheinend gar nicht so viel erschaffen, lustig sein, unterhalten oder informieren, haben die jetzt einfach Pech."

Oğuz Yılmaz

Authentisch sein alleine reicht nicht (mehr)

In dieser Situation versuchen viele, authentisch zu sein. Jogginghose, ungewaschene Haare, Netflix-Binge, #fürmehrrealitätaufinstagram und sowas. Aber in Zeiten von Corona zeigt sich, dass das nicht mehr länger ausreicht. Authentizität gilt nicht mehr, wenn das bedeutet, andere zu gefährden.

Oğuz Yılmaz

Das musste in den letzten Wochen zum Beispiel auch die amerikanische Influencerin Arielle Charnas lernen. Während die USA momentan mit der höchsten Anzahl an Infizierten und Todesopfern zu kämpfen hat und in New York Menschen für Coronatests Schlange stehen mussten, nutzte Charnas ihre Connections und wurde gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Nanny positiv auf Covid-19 getestet. Nach der positiven Diagnose zog sie dann auch noch mit der ganzen Familie trotz strikter Ausgangssperre in ihr Sommerhaus in den Hamptons, einem beliebten Urlaubsgebiet für reiche New Yorker. Nicht die klügste Idee. Noch weniger klug war es, das komplette Prozedere mit ihren Followern auf Instagram zu teilen.

Auch Marie Walowsky sieht diese "Ehrlichkeit" mancher Influencer*innen kritisch: "Wenn man so privilegiert ist und das jetzt auch noch so mit anderen teilt, dann hat da einfach eine ganze Menge Fingerspitzengefühl und Verantwortung gefehlt." Charnas entschuldigte sich erst nach viel Kritik in einem wortreichen Posting. Oğuz Yılmaz fasst den Fall Charnas so zusammen und geht noch weiter:

"Es ist halt einfach leider so, dass Influencer*innen sehr oft kritikfrei durchs Leben gehen, unantastbar sind und eine große Menge an Fans haben, die einfach alles hinnehmen. Und die haben jetzt einen Realitätscheck bekommen."

Oğuz Yılmaz

Influencer*innen sind Kritik nicht gewöhnt

Marie Walowsky

Ein Realitätscheck, der vor allem davon kommt, dass sich in dieser außergewöhnlichen Situation auf einmal alle einschränken müssen und Angst um ihre Freunde aus der Risikogruppe haben. Denn einer Influencerin mit über 1,3 Millionen Followern dabei zuzuschauen, wie sie zuerst Beziehungen nutzt, um das schwächelnde Gesundheitssystem der USA zu umgehen und sich dann über die allgemeinen Bestimmungen hinwegsetzt, macht Follower*innen wütend. Vor allem, weil sonst das Gefühl vermittelt werden soll, dass doch alle im selben Boot sitzen.

Privilegien existieren aber weiter, in Coronazeiten ist es schon ein Privileg, nicht von Kurzarbeit oder Jobverlust betroffen zu sein, von zu Hause zu arbeiten oder sich sogar eine Nanny leisten zu können. Für Marie Walowsky stellt sich die Situation so dar:

"Die Follower sind in einer anderen Situation als die Influencer*innen und wünschen sich da einfach ein bisschen Verständnis."

Marie Walowsky

Dieses Verständnis fehlt noch einigen. Der Shitstorm, den Charnas erntete, zeigt, dass Authentizität allein nicht mehr ausreicht, um Follower*innen eine Identifikationsfläche zu bieten. Wir befinden uns vielleicht in der ersten Situation, in der von Influencer*innen endlich auch Integrität verlangt wird - also auch das zu tun, was sie ihren Follower*innen predigen, ohne fadenscheinige Ausrede. Diese Integrität ist in der Vergangenheit noch nie in einem solchen Maß verlangt worden wie in der gegenwärtigen Situation.

Endlich geht’s um Integrität

Das ist gut. Denn es bedeutet, Menschen mit Reichweite und Privilegien zur Verantwortungen ziehen zu können, für ihre Worte und für ihr Handeln. Wer den Hashtag #stayathome nutzt, sich dann aber mit Freund*innen zum Picknick trifft, dem kann man unterstellen, dass er die aktuelle Situation ausnutzt, um eine größere Reichweite und ein positiveres Bild von sich zu generieren - ohne aber den Ernst der Lage und die Notwendigkeit, das eigene Leben einzuschränken, anzuerkennen. Die aktuelle Situation bietet denjenigen Influencer*innen eine Chance, denen es wirklich darum geht, ihre Follower*innen zu inspirieren und ihnen mit ihrem Profil einen Ort zur Ablenkung zu geben. Reine Selbstdarstellung hat im Moment einfach keinen Platz, wenn die ganze Welt für andere zu Hause bleibt.

"Vielleicht trennt sich da jetzt auch die Spreu vom Weizen, weil man sieht, wer wirklich Spaß und Bock drauf hat, auch wenn man jetzt ein paar Euro weniger verdient."

Oğuz Yılmaz

Und wenn wir jetzt wollen, dass sich Influencer*innen richtig verhalten, dann müssen wir uns auch selbst hinterfragen: Warum stört mich diese Doppelmoral eigentlich erst, wenn ich persönlich davon eingeschränkt werde?

Sendung: PULS am 27.04.2020 - ab 15.00 Uhr