Interview // Keinerbleibtallein e.V. Wie aus einem Hashtag ein Tool zur Einsamkeitsbekämpfung wurde

An Weihnachten allein sein – darauf haben die wenigsten Bock. Als Christian Fein in genau diesem Dilemma steckte, hat er den Hashtag #keinertwittertalleine erfunden. Und der ging so ab, dass jetzt die nächste Stufe gezündet ist.

Von: Nina Lenz

Stand: 04.05.2018 | Archiv

Grafik: Zwei Hände umgreifen ein Hashtag  | Bild: BR

PULS: Christian, mit dem Hashtag #keinertwittertallein bist du ganz schön durch die Decke gegangen – wie bist du eigentlich auf die Idee zu dem Hashtag gekommen?

Christian Fein: Die Idee dazu hatte ich, als ich an Weihnachten alleine war und dann einfach wusste, ich muss mir in irgendeiner Form sinnvoll die Zeit vertreiben, damit ich mich nicht mit belastenden Gedanken auseinandersetze. Ich habe dann beschlossen, dass ich alle anderen Menschen auf Twitter, die sich ebenso einsam fühlen, gewissermaßen mit mir feiern lasse. Und das haben wir dann auch ganz gut hinbekommen. Die Aktion gab es dann an Weihnachten und Silvester 2016 und 2017, und in beiden Fällen haben viele Menschen mit agiert. Wir haben mit dem Hashtag sogar Helene Fischer überholen können, die normalerweise immer in den Trends ist, wenn sie Konzerte gibt. Und wir waren dann auch für zwei oder drei Tage ständig auf Platz eins - weil jeder von der Aktion und diesem gewissen Füreinander begeistert war. Man nimmt ja mittlerweile die steigende Anzahl an psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft wahr und deswegen hat es mich nicht überrascht, dass Einsamkeit für viele Menschen ein Thema ist.

Du hast gesagt, dass du auch einsam warst und dass das der Ursprung dieser ganzen Idee ist. Woraus bestand denn konkret deine Einsamkeit?

Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich gerade von meiner langjährigen Partnerin getrennt.  Das war ausgerechnet zur Weihnachtszeit und ich hab dann dementsprechend gewusst: An Heiligabend werde ich alleine sein. Dann habe ich mir Gedanken dazu gemacht, wie ich am besten damit umgehen kann. Daraus kam die Idee, diese Aktion letzten Endes zu starten. Wirklich einsam war ich realistisch gesehen nur zwei bis drei Tage, aber zumindest kenne ich das Ganze eben auch aus eigener Erfahrung.

Du gehst ja jetzt noch einen Schritt weiter: Aus der Twitteraktion ist jetzt ein Verein entstanden. Wie funktioniert der?

Der Verein funktioniert so ähnlich wie #keinertwittertallein, nur mit dem Unterschied, dass wir uns noch auf Facebook ausweiten, weil wir davon überzeugt sind, dass einsame Menschen sich nicht nur auf Twitter befinden. Außerdem erreichen wir auf Facebook tendenziell das zehnmal größere Publikum - und auch da sind viele sehr einsame Menschen unterwegs. Für die kann unser Angebot dann sehr attraktiv sein. Es funktioniert so, dass Leute uns eine Nachricht schicken, in der sie schreiben, ob sie uns unterstützen wollen oder Gesellschaft suchen oder anbieten. Wir notieren uns dann den Nutzernamen und die Stadt, in der sich derjenige befindet und versuchen zeitnah jemanden zu finden, zum Beispiel durch Postings. Mithilfe der Community versuchen wir dann jemanden zu finden, der an diesem Ort für denjenigen da sein kann. Eine realistische Reaktionszeit sind 72 Stunden. Und sobald sich jemand gefunden hat, stellen wir die beiden Kontakte einander vor. Die beiden können sich dann per Facebook oder Twitter Nachrichten schreiben und so feststellen, ob sie überhaupt zueinander passen. Das überlassen wir an der Stelle den Vermittelnden selbst.

In anderen Ländern hat das Thema Einsamkeit mittlerweile andere Dimensionen angenommen als hier in Deutschland. In Großbritannien gibt’s in Zukunft ein Ministerium für Einsamkeit. Wäre so eine politische Lösung nicht auch eine Idee für Deutschland?

Eine politische Lösung sehe ich nur darin, dass man uns oder anderen Vereinen wie zum Beispiel "Wege aus der Einsamkeit" oder "Freunde fürs Leben" zuarbeitet. Denn die sind in der Lage, mit einzelnen Menschen besser umzugehen, weil sie die Thematik besser kennen. Es gibt ganz unterschiedliche politische Motivationen, warum die Politik die Einsamkeit bekämpfen möchte. Ich sehe aber ehrlich gesagt bei der Politik keinen sozialen Aspekt dahinter und bin da skeptisch.  

Siehst du in sozialen Medien und dem Internet eine Chance, Ansprechpartner für junge Menschen zu sein, die sich einsam fühlen?

Sehe ich absolut so. Das sind Medien, die man gut handhaben kann. Manche Leute sind eben nicht in der Lage, eine E-Mail zu schreiben oder die richtige Telefonnummer herauszusuchen - einfach weil die Welt verdammt kompliziert geworden ist. Weil die Netzwerke so einfach zu bedienen sind, ist es auch einfach für die Betroffenen, Kontakt darüber aufzunehmen. Jeder ist in der Lage, eine Nachricht zu schreiben und damit auch in der Lage, mit uns zu kommunizieren. Für junge Menschen ist Einsamkeit auch ein Tabuthema. Die stehen unter großem Druck, weil sie ja eigentlich „in Gesellschaft sein sollten“. Aber die Realität ist dann ganz anders, als die, die in den sozialen Netzwerken dargestellt wird.

Sendung: Filter vom 04. Mai 2018 ab 15.00 Uhr