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Depressions-Tagebuch von Tobi Katze Wenn das Hirn beschließt, "Arschloch" zu schreien

Wer Depressionen hat, hat treue Begleiter. Essen, schlafen, Freunde treffen: Die trüben Gedanken sind immer dabei. Autor und Poetry Slammer Tobi Katze hat für PULS Tagebuch geführt - über seinen Alltag mit der Krankheit.

Von: Tobi Katze

Stand: 24.10.2014 | Archiv

Poetry Slammer Tobi Katze | Bild: Benjamin Mischke

Freitag

Heute ist alles still. Keine ruhige Stille, eine leere, stumme Stille, in der nichts Geräusche macht. Was für andere Gelegenheit ist, ist für mich Verpflichtung und Zwang. Schönes Wetter, zum Beispiel. In der Welt hinter meinem Fenster strahlt die Sonne, und ich weiß, dass ich da rausgehen MÜSSTE, aber rausgehen und Spaß haben sollen - das ist ein Druck, der mir alle Kraft entzieht. Und so sitze ich stumm und lautlos auf meiner Couch und hasse mich dafür, dass es mir schlecht geht. Schon erstaunlich, wie schnell acht Stunden rumgehen können, wenn man damit beschäftigt ist, sich selbst scheiße zu finden. Ist ein immergleicher Teufelskreis. Ich SOLLTE aufstehen, raus. Kann ich aber nicht. Mein Kopf sagt "Nein, du kannst das nicht, du darfst das nicht", und ich sage "Aber das würde mir bestimmt voll gut tun und so" und mein Kopf dann "Mag ja alles sein, aber ich will das nicht, und dafür darfst du dich jetzt doppelt scheiße finden", und das mache ich dann auch. Ich kann es selbst nicht erklären, das ist so ein bisschen Bestrafung dafür, dass man depressiv ist - einfach noch depressiver sein, weil man sich selbst nicht erlaubt, irgendwas dagegen zu unternehmen.

Gegen Abend schaffe ich es dann, die erste Tasse Kaffee des Tages tatsächlich auszutrinken. Und die fühlt sich so kalt und leer an wie meine Wohnung, in der ich zwar wohne, aber ganz, ganz sicher nicht lebe derzeit. Die Angst, dass ich für immer so bleiben könnte wie ich jetzt bin, so kraftlos müde und distanziert, diese Angst liegt abends neben mir im Bett und schreit stundenlang auf mich ein. Andere hören Hörspiele. Ich lausche meinen eigenen Gedanken, die mir sagen, dass ich meinen Tag mal wieder erfolgreich verschwendet habe.

Sonntag oder Montag. Irgendwas dazwischen. Keine Ahnung. Nachts jedenfalls.

Schlaflos wach, obwohl mein Körper einschläft. Gedankenkreisen nennt man das, aber, mal ganz ehrlich, der Begriff ist eine beschissene Verarsche. Kreisen ist lautlos, gleichförmig. Von elliptischer Eleganz, würde ich fast sagen, was richtig Beruhigendes. Was da in meinem Kopf grad passiert, hat damit ungefähr so viel gemein wie Kirmes mit Afghanistan. Vielleicht noch weniger. Das sind Sturzfluggedanken, die immer wieder gradlinig nach unten donnern, aufprallen, explodieren, um dann wieder magisch in der Luft zu sein, nur damit sie erneut abstürzen können. Das ist ganz schön abgefahrene Scheiße. Wäre ja alles cool und schön wenn das wenigstens große, existenzielle Gedanken wären.

"Was bin ich?" "Wo komme ich her?" "Wo gehe ich hin?" Sowas in der Art. Sind sie leider nicht. Das sind völlig beschissene Arschlochgedanken, die mir meine Hirnchemie da zurechtzimmert, so Sachen wie "Warum hast du heute deine Wohnung aufgeräumt?" Eigentlich ja ne coole Sache, aufräumen. Gibt's ja nix zu beschweren. Aber dann denkt da was in meinem Kopf sofort hinterher "Warum räumst du denn dann nicht öfter auf? Ging ja heute auch?"

Keine Ahnung. Es scheint fast so, als suche mein Kopf ganz verzweifelt nach den Dingen, die grad nicht rund laufen. Zwanghaft. Und wer was sucht, der findet das auch.

Mittwoch

Fetzige Info: Ich habe noch zwei Stunden, bevor ich mich mit einer guten Freundin auf einen Kaffee treffen soll. Da der Gedanke daran natürlich ganz schön furchteinflößend ist – sich mit einem netten Menschen, der einem nix Böses will, nett auf einen Kaffee treffen, was für ein todesverachtender Teufelskerl muss man eigentlich sein? – habe ich den Tag bisher lethargisch im Bett verbracht. Nur mal so als Hausnummer.

Aber warum eigentlich? Naja, Ich verfüge über die äußerst unnütze Fähigkeit, kontraproduktive Untertitel in beliebige Gespräche gegen meinen Willen einblenden zu können. Jemand sagt zur Begrüßung, "Schön, dass du da bist". Aber ich habe ja zum Glück noch meine Untertitel aus der Hölle, und in denen steht: "Schön, dass du da bist – dann können wir früher anfangen, hab ich das schneller hinter mir." Ja, ich weiß. Is anstrengend. Ich bin eben ein Meister darin geworden, mir meine Lebenswelt so zu bauen, dass darin alles und jeder, wirklich jeder gegen mich spielt. Fakt ist: Es ist nicht einfach, mit mir befreundet zu sein, weil ich mich in schlechten Phasen nur ganz selten vor die Tür und unter Menschen traue. Weil mir diese Untertitel mein Herz lahmlegen und verunsichern.

Ich werde jetzt mal sehen, ob ich diese Verabredung unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand abgesagt bekomme. Manchmal wäre das schon cool, einfach so sagen zu können: Du, meine Depression lässt mich nicht. Aber das – würde ich mir in dieser Häufigkeit selbst nicht glauben.

Freitag

Verkehrt. Das Gefühl, immer am falschen Ort zu sein. Ein Fremdkörper. Das trifft es vielleicht ganz gut. Fremdkörperangst. Sogar fremd in mir selbst, wenn sonst keiner da ist. Sitze allein mit mir auf der Couch und habe Angst vor mir und meinen Gefühlen, bin fern von mir und dennoch so unfassbar nah an mir dran. Hab Angst, dass die Gefühle die Oberhand gewinnen und den Geist mit einer Mauer aus Panik umgeben. Mein Körper sitzt ganz vorne in der Achterbahn, ohne Gurt, und wir verlangsamen nur die Fahrt, wenn wir kopfüber stehen, und ich muss mich krampfhaft an meinem eigenen Atem festhalten, um nicht aus dem Wagen zu stürzen.

Keine Minute vergeht, in der ich nicht einen Fluchtplan aus jeder Situation parat habe. Oder an ihm feile. Da machst du nix anderes mehr. Manchmal hätte ich gern zwei Prozessoren in mir. Einen für den absurden Panikscheiß und die Ausreden. Und einen für das Leben, welches so irgendwie viel zu häufig in den Downtime-Lücken zwischengelebt wird. In der Angst bin ich Plastik. Habe mir ein Puppenlächeln aufgesetzt und die beste Laune draufgemalt. Damit wirklich niemand sieht, wie alles in mir zittert und vor Angst nichts mehr sieht außer den Fluchtweg. Und der ist gepflastert mit Lügen und Ausreden.

Manchmal reicht schon der Gedanke an die Panik, um Panik auszulösen. Ich bin sehr genügsam, was das angeht. Ich kriege das auch mit den rudimentärsten Bauteilen wunderbar zurechtgezimmert. Man muss sich eben nur zu helfen wissen.

Montag

"Was soll ich denn machen?", fragen sie mich. Alle. Was sie machen sollen mit mir, wegen mir. Gar nichts sollen sie machen, mich einfach machen lassen. Jemandem mit Depressionen kannst du nicht helfen. Klingt jetzt scheiße, is aber leider nun mal wahr. Du kannst nicht helfen. Du kannst mir nicht helfen. Nur unterstützen. Niemand kann mir meine Gefühle abnehmen, keiner meine Zweifel atomisieren, damit sie sich im Wind zerstreuen, niemand kann irgendwas.

Aber es ist so furchtbar anstrengend, sowas zu kommunizieren. Will man ja auch nicht. Man will ja den Leuten auch ein gutes Gefühl geben, so rings um sich herum. Die sollen sich ja nicht so nutzlos fühlen wie ich selbst - das wäre ja doppelt hart und völlig unnötig.

Ich sag mal so: Wenn ich einen Wunsch hätte, nur einen einzigen, wenn es mir so richtig beschissen geht, wenn die Zimmerwände näher kommen und mir die Welt im Weg steht - dann würde ich mir wünschen, dass ihr mit mir zusammen eine Höhle baut. Eine, in die nur ich darf. Vor der ihr nicht warten müsst. Wo ich rein und rauskriechen kann, wenn mir danach ist - in der ich mich sicher fühle, weil ihr sie mit mir zusammen gebaut habt. Das kann nur ein Bettlaken sein. Oder eine Tür zu meinem Schlafzimmer, die ich mit eurer Erlaubnis schließen darf, während ich noch durch den Spalt euer Lächeln kurz aufblitzen sehen kann. Hinter der ich euch weiß, wenn ich sie wieder öffne. Ihr müsst dort nicht warten. Ihr müsstet nur irgendwo dahinter sein, irgendwo, irgendwann. Das wäre an Tagen wie diesen ganz, ganz wundervoll.

Dienstag

Auch wenn ich immer meine Scherze mache: Depressionen sind ne ernste Sache. Hätte jetzt keiner mit gerechnet. Aber man muss es ja mal sagen. Spaß beiseite – oder eben grad nicht: Wenn ich mein Leben zu einer einzigen Überzeugung kondensieren sollte – ich wäre der festen Ansicht, dass man auch ernsten Dingen mit Humor begegnen kann. Sollte. Müsste. Nicht mit Witzchen – sondern Humor. Denn daraus folgt dann Akzeptanz.

Ich habe lange mit mir gerungen, mit dem wie und was ich war. Mich dagegen gewehrt, so zu sein, aber es hilft ja nix. Manchmal is einfach scheiße, wie man bei uns im Ruhrgebiet so schön sagt. Und es is was dran.

Wenn nix mehr geht – geht nur noch Akzeptanz. Damit meine ich jetzt nicht ein "sich ergeben", sondern das einfache Eingeständnis, dass man eben grad so ist, wie man ist – und dass das jetzt nicht unbedingt "in Ordnung", aber immerhin vielleicht "ok" ist. Denn ab diesem Moment, diesem Moment der Akzeptanz so zu sein, wie man wirklich ist, diese beschissene Krankheit als genau das anzuerkennen, als etwas, mit dem man mit etwas Glück nur ne Zeit, aber so oder so leben muss – ab da kann man anfangen, dieser Krankheit gehörig in den Arsch zu treten.

So wie ich das mache. Mit Humor. Und jedem anderen Mittel, was irgendwie funktioniert. So bescheuert es auch sein mag.


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