Meinung Warum Yung Hurn sexistischen Deutschrap macht – und man das endlich sagen muss

Yung Hurn ist das Gesicht von Cloud-Rap. Seit "Nein" überschlägt sich die Popkritik mit Superlativen für den Wiener "Punk" und "Dadaisten". Aber warum eigentlich? Unser Autor findet: Heute macht er sexistischen Deutschrap wie alle anderen.

Von: Stefan Sommer

Stand: 31.10.2019 | Archiv

Yung Hurn 2019 | Bild: picture-alliance/dpa

Eine junge Frau in Satinnachthemd und Cowboyhut reitet einen elektrischen Bullen. In schnellen Schnitten wechselt der Softporno zu Yung Hurns neuer Single "Ponny" zwischen ihrem verschwitzten Körper beim Rodeo und dem Wiener Rapper, der sugardaddyhaft in die Kamera haucht: "Kleine Bitch ist mein Pony, sie macht Sport, ja, sie hat gute Kondi." Während Cowgirl Benita Banu mit den Händen anschließend fest einen Lederriemen am Sattel packt, rappt er: "Sie hat Wichse auf ihrem G'sicht, sie braucht Zewa. Wisch weg, weil da klebt was."

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YUNG HURN - PONNY (PROD. MISTERSIR) OFFICIAL VIDEO | Bild: YUNG HURN OFFICIAL (via YouTube)

YUNG HURN - PONNY (PROD. MISTERSIR) OFFICIAL VIDEO

Das ist Yung Hurn 2019 – und es ist keine Überraschung, kein Ausrutscher, kein Missverständnis. Wenn man seine Arbeit über die Jahre verfolgt hat, ist das die logische Konsequenz. Zeilen wie "Ich bin so tief in ihr’m Hals, ja, Baby, sie schluckt, und sie lacht dann" aus "MHM" und "Deine Freundin trägt jetzt Pflaster, weil diese Pu ganze Nacht bei mir da war" aus "Bitch Tanz" könnten genauso in Songs von Fler, Capital Bra und Frauenarzt auftauchen – Rappern, deren sexistische Texte offen diskutiert und kritisiert werden. Warum passiert das aber nicht bei Yung Hurn?

"Bei manchen Künstlern – Künstlerinnen nicht mitgemeint – hat man das Gefühl, sie haben irgendwann eine magische Grenze überschritten, jenseits derer ihre Bewunderer ihnen jeden erdenklichen Fehler verzeihen: Witze auf Kosten von Minderheiten? Freiheit der Kunst, er kennt keine Tabus! Eklige Sprüche über Frauen? Herrlich verschroben, so kauzig!"

Margarete Stokowski - Spiegel Online

Freie Fahrt für freie Künstler

Margarete Stokowski hat in ihrer Kolumne bei Spiegel-Online über den Neu-Nobelpreisträger Peter Handke eine sehr schlaue Beobachtung aufgeschrieben: Künstlern verzeiht die Welt asoziales Verhalten leichter als dem Rest der Menschheit. Für Künstler gelten andere moralische Grundsätze, da sie scheinbar bis an die Schmerzgrenze des Sagbaren, Machbaren, Denkbaren gehen müssen, um große, bedeutende Kunst zu schaffen. Diesen Schutzmantel genießt auch Yung Hurn. Seine Musik gehöre, glaubt man deutschsprachigen Feuilletons, eher in den Louvre als auf rap.de.

"Er hat etwas Kompromissloses und Außerirdisches, das an den jungen Falco erinnert. Yung Hurn provoziert und polarisiert. Drogen und Sex stehen im Zentrum seiner Kunst. Kunst? Durchaus. Der Mann arbeitet mit System und Dogmen. Zeitgeist und Bauchgefühl sind dabei zentral."

Gregi Sigrist - SRF

Für diesen Ruf hat Yung Hurn einiges getan: Interviews bei ARTE, Auftritte bei Haute-Couture-Modeshows in Paris und Berlin, ein vermeintliches Kunststudium an der Akademie in Wien, die Freundschaft zum großen Shakespeare-Modernisierer Lars Eidinger und zu einem Künstlerguru wie Daniel Richter, der seine schützende Hand über ihn hält alles rückt Yung Hurn als öffentliche Figur in einen Kunstkontext. Das ist ironisch! Das meint der nicht so! Das ist Kunst!

Dada-Christ-Superstar

Alles was er tut, könnte also eine Performance sein alles was er tut, könnte Kunst sein und darf dann auch so bewertet werden. Plötzlich liest die Popkritik seine Texte als Dada-Poesie, seine Songs als "faszinierende Gegenwartsmusik". Ja-Ja-Ne-Ne-Interviews à la Joseph Beuys beim Frauenfeld Open Air, werden nicht als Unverschämtheit, sondern geniale Medienkritik verstanden Yung Hurn, der Meta-Meta-Superstar. Das Feuilleton der ZEIT vergleicht sein Werk sogar mit der Erfindung der Ready-Mades von Avantgardist Marcel Duchamp:

"Darin steckt eine Wucht, die es zumindest im deutschen Pop länger nicht mehr gegeben hat. Die gleiche Wucht, mit der sich Künstler früher selbst zu Künstlern erklärten und Pissoirs in Museen stellten."

Lars Weisbrod - Zeit Online

Ist ja auch am einfachsten für alle Beteiligten: Yung Hurn darf so machen, was er will, und eine breite Mehrheit der Popkritik sichert sich einen Platz ganz hinten im Bus bei den Coolen. Eine Win-Win-Situation: Yung Hurn bekommt maximale künstlerische Freiheit bei minimalstem Rechtfertigungsdruck, seine Beobachter dürfen sich als Entdecker und Förderer eines jungen Meisters loben lassen.

Jetzt mag man einwenden, dieser Text würde verkennen, dass Yung Hurn eine Kunstfigur ist, alles was er sagt und tut ein Witz über Deutschrap sein könnte, eine geniale Provokation des guten Geschmacks. Ja, kann sein. Der Meinung war ich auch lange. Ist aber auch scheißegal. Wer die Degradierung von Frauen, wer ihre sexuelle Objektivierung wie im Video zu "Ponny" befördert, sei es als ernstgemeinte Unmenschlichkeit oder eben als intellektuelles Spiel, reproduziert Codes und Zeichen, die eine gerechte Gesellschaft überwinden muss. Kurz um: Jemandem im Streit einen Stein auf den Kopf zu schlagen und es Happening zu nennen, ändert nichts an der Beule.

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Sendung: PULS am 04.11.2019 – ab 15 Uhr.