"Toosie Slide" & Co. Wie Songs zu Hits werden, bevor sie überhaupt veröffentlicht sind

Drake zeigt mit "Toosie Slide", wie auch aus einem eher mittelmäßigen Song ein Nummer-1-Hit werden kann – wenn man TikTok verstanden hat.

Von: Miriam Fendt

Stand: 15.04.2020

Screenshot aus dem Musikvideo von "Toosie Slide" von Drake | Bild: YouTube

Schon kurz nach Veröffentlichung landete "Toosie Slide" an der Spitze der US-Charts. Das ist für Lieder von Drake eigentlich keine Besonderheit mehr – entscheidend für den schnellen Erfolg dieses Songs war aber ein absolut ausgecheckter Marketing-Move. Weit vor der eigentlichen Song-Veröffentlichung sendete der Rapper den Song nämlich an das HipHop-Duo Ayo & Teo und den Tänzer Toosie – der dann auch Namensgeber des Songs wurde. Anbei war noch die Bitte, eine Choreo für den Song zu entwerfen und diese dann zu posten.

Bevor der Song also überhaupt auf den Streaming-Plattformen landete, war er erstmal in den Videos von ein paar ziemlich reichweitenstarken Insta-Kanälen zu hören. Zu sehen gibt es die passenden Schritte zu den ziemlich eindeutigen Tanz-Anweisungen im Text:

"It go, right foot up, left foot slide
Left foot up, right foot slide
Basically, I'm saying Either way, we 'bout to slide, ayy Can't let this one slide, ayy"

Drake - Toosie Slide

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toosie - Montag, 30. März 2020, 00:00 Uhr
#ToosieSlide around the house 🕺🏾💨 @champagnepapi

#ToosieSlide around the house 🕺🏾💨 @champagnepapi | Bild: toosie (via Instagram)

Natürlich zieht das Video mit dem Songausschnitt und der Choreografie seine Kreise. Gefühlt schneller als Drizzy "Hotline Bling" sagen kann, landen die ersten Videos von Teenagern, die sich an den Tanzschritten versuchen, auch auf TikTok und verbreiten sich um die Welt. Das nennt man dann wohl kluges Influencer-Marketing.

Bloß nichts dem Zufall überlassen

Der Song erfüllt vom Prinzip her nämlich alle Bedingungen, um auf der Videoplattform erfolgreich zu sein: Lyrics, die so direkt sind, dass sie eine absolute Steilvorlage für die Interaktion zwischen User*in und Song bilden. Dazu dann auch noch die reale Vorlage von einflussreichen Kids, bei denen das ganze dann auch noch super stylisch aussieht.

Auftritt Drake. Mit dem darauffolgenden Single- und Musikvideo-Release hatten alle auch den offiziellen Song und die offizielle Bezeichnung "Toosie Slide", um ihre Hashtags und Posts zu aktualisieren. Und der Master himself tanzte dann eben auch zu dem Song durch die marmorverzierte Eingangshalle seines Hauses.

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Drake - Toosie Slide | Bild: DrakeVEVO (via YouTube)

Drake - Toosie Slide

Was in der Vergangenheit bei Songs wie "Hotline Bling" oder "Nonstop" eher zufällig passiert ist, hat Drake mit dem "Toosie Slide" ganz bewusst provoziert. Meme > Song. Drake hat mit dieser Aktion offensichtlicher denn je den Mechanismus eines Internet-Hypes für sich genutzt und gleichzeitig auch entlarvt. Die Erkenntnis: Für einen TikTok-Hit und den daran gekoppelten Chart-Erfolg muss ein Song eigentlich gar kein richtiger Song mehr sein. Solange es eine etwa 15-sekündige Stelle gibt, um die herum ein Video kreiert werden kann, reicht das scheinbar aus.

Wenn man sich den vierminütigen "Toosie Slide" in voller Länge anhört, klingt er nämlich gar nicht nach typischem Hit. Vergleicht man ihn zum Beispiel mit The Weeknd’s "Blinding Lights", dem Song, den "Toosie Slide" von Platz 1 der US-Charts verdrängt hat, fällt ein deutlicher Unterschied auf. Keine prägnante Hook, kein überraschender Drop, auf den der Song hinarbeitet, eigentlich überhaupt keine Songstruktur im klassischen Sinn. Stattdessen steckt in Drakes reduziertem, fast gelangweilt klingenden Rap und OZ’s nüchternen Beats eine Stimmung, die ziemlich gut zur aktuellen Zeit rund um Isolation und Quarantäne passt.

Die Musikindustrie zählt auf TikTok

In letzter Zeit haben auch schon andere Rapper den Einfluss von TikTok in ihre Songproduktion einfließen lassen. Rapper Tyga zum Beispiel sampelt in seinem Song "Bored In The House" das TikTok-Video von Influencer Curtis Roach. Weit davor hatte Tyga, wie zig andere TikTok-User*innen, auf das "Bored In The House"-Video von Curtis Roach reagiert und ein Lipsynch-Video hochgeladen. Der Rapper wollte dann genau um dieses virale TikTok einen Song kreieren, schrieb Curtis Roach an, schickte Beats rum und brachte schließlich zusammen mit dem Influencer diesen Quarantäne-Hit raus:

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Tyga x Curtis Roach - Bored In The House (Official Video) | Bild: Tyga (via YouTube)

Tyga x Curtis Roach - Bored In The House (Official Video)

Der australische Rapper The Kid LAROI hat zwar noch nicht die Reichweite, um selbst virale Trends zu erzeugen – trotzdem setzt er TikTok ziemlich clever ein, indem er Songideen hochlädt und gewissermaßen vorab checkt, wie seine Ideen ankommen. Ende März hat er ein Snippet veröffentlicht, in dem er die TikTokerin Addison Rae in einer seiner Lines erwähnt hat. Die Influencerin, die auf TikTok über 33 Millionen Follower hat, wurde darauf aufmerksam, machte ein Video und schrieb den Rapper an, ob es sich dabei wirklich um einen richtigen Song handle. Ja, sagte The Kid LAROI und machte dann auch wirklich einen Song draus.

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The Kid LAROI - Addison Rae (Official Audio) | Bild: TheKidLAROIVEVO (via YouTube)

The Kid LAROI - Addison Rae (Official Audio)

Musikalisches Genie oder Marketingexperte?

Was bei Tyga und The Kid LAROI noch eher als kreative Spielerei zur Langeweile-Bewältigung durchgeht, ist bei Drake schon echt fortgeschrittenes Marketinglevel. Mit seinem "Toosie Slide" zeigt er, dass virale Hits planbar sind. Auch wenn Social-Media-Trends von Algorithmus und User*innen-Verhalten abhängig sind, können die Grenzen solcher Plattformen anscheinend übergangen werden. Zumindest von jemandem wie Drake.

Die Frage ist nur, ob es nicht auch irgendwann unbequem wird, mit Songs nur dann so richtig erfolgreich zu werden, wenn sie an eine virale Tanz-Choreo oder ein Meme gekoppelt sind. Wenn der musikalische Anspruch zugunsten der viralen Umsetzung in den Hintergrund rückt, ist es am Ende eben nicht automatisch ein guter Song, sondern doch nur ein gutes Meme. Und ein Rapper eben auch nicht mehr musikalisches Genie, sondern Marketingstratege.

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Saturday Night Live - SNL - Sonntag, 12. April 2020, 06:06 Uhr
This is a Drake song. #SNLAtHome https://t.co/jbfKJR6aIN

This is a Drake song.
#SNLAtHome https://t.co/jbfKJR6aIN | Bild: nbcsnl (via Twitter)

Sendung: PULS am 15.04.2020 – ab 19.00 Uhr