Alice Merton im Interview "Kein Land der Welt ist meine Heimat"

In Kanada aufgewachsen, in München zur Schule gegangen, in England den Abschluss gemacht: Nach 11 Umzügen in vier Ländern erzählt Alice Merton in ihrem Song "No Roots" aus einem Leben auf Wanderschaft.

Von: Ann-Kathrin Mittelstraß

Stand: 18.07.2017 | Archiv

Alice Merton | Bild: Paper Plane Records

Alice Merton hat die Welt bereist. Schon als Kind ist die Sängerin elf Mal umgezogen und hat in Kanada, England und München gelebt. Jetzt wohnt sie in Berlin und hat ihre Debüt-Single "No Roots" veröffentlicht. Mit PULS hat die Newcomerin über Heimat, Heimatlosigkeit und die musikalische Inspirationen einer Weltbürgerin gesprochen.

PULS: Warst du nervös, als "No Roots" rausgekommen ist? Jetzt kann das ja jeder hören...

Alice Merton: Ich fühle mich total erleichtert. Am Tag vom Release selbst, geht's mir immer sehr schlecht. Ich versuche mein Handy auszumachen - man will zwar sehen, wie die Leute reagieren - aber an so einem Tag bin ich echt zu durch.

Und danach? Bist du so kritisch, dass dich im Sound auch Kleinigkeiten ärgern?

Tatsächlich, ich bin sehr perfektionistisch und man entdeckt da immer noch Stellen, die man neu machen möchte. Aber ich versuche das auszublenden. Ich versuche zu sagen: "Hey, wir haben ein Jahr lang an diesen Songs gearbeitet, der ganze Prozess war lang und wir sind zufrieden."

Du warst auf der Popakademie in Mannheim, wie zum Beispiel auch Kontantin Gropper von Get Well Soon. Du hast da Popmusik-Design studiert. Was war dein Ziel? 

Ich wollte da nicht zum Popstar gemacht werden. Mein Ziel war es, immer diejenige zu sein, die ihre eigenen Songs selbst singt. Ich wollte schlicht, dass die Leute meine Songs hören und meine Songs gerne hören. Mein Wunsch war es immer, dass sie zu meinen Konzerten kommen und mich kennenlernen - da die Songs auch sehr autobiographisch sind. Das habe ich auch dort gelernt.

"No Roots" ist ein Song, der ganz schön steil geht in iTunes: Wo und wann ist die Musik dazu entstanden?

Die erste Idee hatte ich 2015 in England am Strand als ich meine Eltern besucht habe. Mir wurde klar, dass es auf der Welt einfach keinen Ort gibt, von dem ich sagen könnte "Das ist mein zuhause". Schnell hatte ich dann ein, zwei Sätze dazu im Kopf und bin schon bald damit ins Studio gegangen. Das war der erste Song, den wir aufgenommen haben. Melodie und Lyrics kamen ganz schnell und nach einem Tag hatten wir den Song fertig. Es kam einfach raus.

Wie wichtig ist es für dich, diese "Roots" zu suchen?

Mein Vater kommt aus Irland, meine Mutter kommt ursprünglich aus Deutschland, hat aber auch eine Zeit in Frankreich gelebt. Wo sind meine Wurzeln? Ich könnte sagen, meine Wurzeln liegen in Irland, Kanada, Deutschland, Frankreich. Aber ich weiß es nicht. Ich fühle einfach, dass ich kein Land habe, dass meine Heimat ist, wo meine Wurzeln sind. Kein Land der Welt ist meine Heimat.

Du hast selbst lange in Kanada gelebt als Kind. Wie hast du denn Deutsch gelernt?

Als wir nach München gezogen sind, als ich 13 Jahre alt war, habe ich wirklich Deutsch gelernt. Ich konnte mich dann zum ersten Mal mit meiner deutschen Oma unterhalten. Als Kind habe ich meine Oma einmal im Jahr gesehen, da sie eben auf der anderen Seite der Welt wohnte. Da hatte ich keine richtige Verbindung zu ihr. Jetzt, da ich sie verstehen kann, ist es sehr schön. Ich habe schon das Gefühl, dass ich da lange etwas verpasst habe. 

Wo fühlst du dich denn am wohlsten?

Ich fühle mich am wohlsten bei den Menschen, die mir wirklich am Herzen liegen. Menschen, die ein Teil von mir sind: Meine Eltern in England, meine beste Freundin in München - und auch eben in Berlin, wo ich arbeite. Berlin ist seit langer Zeit, die erste Stadt in der ich mir vorstellen könnte, auch längere Zeit da zu wohnen. Mein Producer und mein Manager wohnen mittlerweile auch da und ich fühle mich dort wohl. Aber ob es mein Zuhause ist? Weiß ich nicht. 

In nächster Zeit stehen für dich einige Konzerte an. Planst du auch ein Album?

Ja, wir arbeiten schon daran. Wir sammeln schon Lieder, ich bin da sehr wählerisch. Ich denke, heutzutage hat man in der Musikindustrie nicht viele Chancen zu zeigen, was man kann. Wenn ich beobachte, wie man mit Künstlern auf Majorlabels umgeht und dass das erste Album immer ein Hit sein muss, habe ich auch sehr hohe Ansprüche und Erwartungen an mich. Ich hätte genug Songs für ein Album, aber ich will die Allerbesten dafür wählen!