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Aktivismus gegen Rechtsextremismus „Ich hoffe, dass alle verstanden haben, dass man wirklich nochmal auf die Straße muss“

Vor zwei Monaten standen Hunderttausende gegen Rechts auf der Straße. Und jetzt? Hört man kaum noch etwas von den Protesten gegen die AfD und den Rechtsruck in der Gesellschaft. Doch ein genauerer Blick zeigt: Die Bewegung ist nicht verschwunden.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 11.04.2024

Zwischen 100.000 und 300.000 Leute waren im Januar in München au die Straße gegangen, um gegen rechte Positionen zu demonstrieren. Und jetzt? | Bild: Sachelle Babbar/picture alliance/ZUMAPRESS

Am präsentesten ist der Kampf gegen rechts derzeit beim Tramfahren. Auf dem Info-Bildschirm oben an der Decke hat die Stadt München eine Anzeige geschaltet. Da steht: „Sei ein Mensch“, #gegenrechtsextremismus. Zu sehen ist eine Strichmännchenkette vor der Münchner Frauenkirche. „Ich finde es ein bisschen plakativ“, sagt die Münchner Aktivistin Sophie dazu. Auch sie engagiert sich gegen rechts und findet: „Es steckt manchmal ein bisschen wenig Inhalt dahinter.“ Trotzdem sei das Zeichen wichtig. Anders als die Stadt geht Sophie allerdings auch auf die Straße.

Der Streit um die Schwangerschaftsabbrüche

Der Marsch fürs Leben in München im Jahr 2021

„Also am Samstag ist der sogenannte Marsch fürs Leben. Das ist eine Demonstration von christlichen Fundamentalistinnen gegen Abtreibungen“, erzählt sie. Im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung organisiert Sophie die Demonstration gegen den christlichen Marsch fürs Leben mit. Die dieses Jahr mutmaßlich größer wird als sonst, zumindest ist die Mobilisierung viel breiter als sonst. Mit über 3.000 Teilnehmer*innen rechnet das Organisationsteam – auch, weil dieses Jahr das Münchner „Bündnis gegen rechts“ mithilft. Der Grund laut Sophie: „Die AfD macht sehr viel Werbung für diesen Marsch fürs Leben. Und gerade das Thema Abtreibung ist etwas, was von Rechten sehr gerne instrumentalisiert wird.“ Wie konkret, könne man an anderen Ländern sehen, beispielsweise in den USA oder Polen, wo Abtreibungen verboten oder Frauenrechte wieder eingeschränkt würden.

Neue Strategien der Aktivisten gegen Rechts

Die aktuelle Strategie der Aktivist*innen gegen rechts ist also politisch konkreter zu werden. Auch, weil man nicht jedes Wochenende 100.000 Menschen mobilisieren kann. Dafür will man aber mit kleinerer Zahl kontinuierlich präsent sein. Immer dann, wenn es um Themen geht, die auch die Rechten auf der Agenda haben. Zum Beispiel Abtreibung. Eine Expertenkommission empfiehlt hier, das Abtreibungsrecht zu liberalisieren. Die AfD dagegen, will Schwangerschaftsabbrüche einschränken. Sophie erklärt, dass gerade das Thema Abtreibung gesellschaftlich sehr brisant ist und deshalb von Rechten vereinnahmt werde. „Da geht es darum, die Frau kleinzuhalten“, sagt die Aktivistin. Denn gerade hier lasse sich ein politisches Streitthema mit scheinbar traditionellen Werten verbinden. Die Frau solle zuhause bleiben, die Familie so bleiben, wie sie immer schon war.

Protestexperte Friedemann Karig zieht positives Zwischenfazit

Buchautor und Protestbeobachter Friedemann Karig

Laut Protestbeobachter Friedemann Karig, der dieses Jahr ein Buch zum Thema Protest geschrieben hat, ist es ganz normal, dass die Bewegung derzeit keine Massen auf die Straße bringt. Denn Karig zufolge gehe es nicht immer nur um große Zahlen oder die großen Bilder in den Nachrichten. „Es geht um eine Verstetigung im Inneren. Um eine Organisation, eine Institutionalisierung, eine Verantwortlichkeit“, sagt Karig. Sein neues Buch heißt „Was ihr wollt: Wie Protest wirklich wirkt“. Darin beschreibt er auch, dass Menschen oft ein irreführendes Verständnis von Protest haben. Karig sagt: „Wir denken zu demokratisch, plebiszitär. Wir tun so, als bräuchte man die Mehrheit, um Politik zu verändern oder zu verhindern. Das stimmt überhaupt nicht.“

Warum Protest in Wellen kommt

Ein Beispiel: Das Tempolimit. Obwohl eine Mehrheit dafür ist, gibt es das in Deutschland immer noch nicht, weil niemand dafür streitet. Und die großen Demos kommen laut Karig ohnehin nur in Wellen. Entscheidend sei aber der Zeitpunkt der nächsten Welle. „Der Tag der Abrechnung ist der Wahltag. Und ich hoffe, dass alle verstanden haben, wenn es in Richtung der Wahlen geht, dass man dann wirklich nochmal auf die Straße muss“, fordert Friedemann Karig. Die Studienlage spreche für sich: Mit Massenprotest könne man zum richtigen Zeitpunkt Wahlergebnisse beeinflussen. „Insofern kam der Aufstand der Anständigen, den wir uns wirklich erträumt und ersehnt haben, eine Art zu spät und zu früh gleichzeitig“, sagt der Autor.

Kampf gegen rechts auch in der Musikszene

Viele Demos haben auch auf dem Land stattgefunden wie hier in Eckental

Ein Umdenken hat der Protest trotzdem schon bewirkt, findet Friedemann Karig. Das zeigen auch andere Bereiche als der Aktivismus – zum Beispiel die Musikszene. Im Muffatwerk in München findet am 12.04. das „So Not Right“ Festival statt. Veranstalter Christopher Geyer erklärt die Doppeldeutigkeit des Namens: „‘So Not Right‘ steht für ‚So nicht rechts‘, aber gleichzeitig auch für ‚So nicht richtig‘“.

19 Bands spielen im auf drei Bühnen gegen den Rechtsruck. Zum Beispiel Rapper Keno oder die Band „The Whiskey Foundation“. Christopher Geyer erhofft damit, das rechte Gedankengut, dass bei vielen Menschen leider vorhanden sei, einzudämmen. Er wolle außerdem Aufmerksamkeit erregen für politische Fragen: „Eigentlich haben wir ein übergeordnetes Ziel in dieser Gesellschaft: den Klimawandel einzudämmen. Das schaffen wir nur gemeinsam und nicht, indem wir uns ablenken lassen durch rassistisches Gedankengut.

Was kann ein Festival in München bewirken?

Der aktivistische Kern seines Festivals neben den Inhalten: Die Einnahmen aus dem Ticketverkauf werden an politische Organisationen wie das Kulturzentrum Bellevue di Monaco oder die Seenotrettungsorganisation Sea Watch gespendet. Für Chris Geyer ist das der sinnvollste Weg, einen politischen Beitrag zu leisten. Denn ihm ist klar: Ein Festival gegen rechts in München wird AfD-Wähler in Thüringen genauso wenig umstimmen wie ein Plakat in der Tram.