Bayern 2 - Zündfunk

Jochen Distelmeyer über Musik in Krisenzeiten "Ich weiß nicht mehr, wer die linke Künstler-Community ist"

Wie verarbeiten Künstler Gefühle in der aktuellen Weltlage? Der Liedermacher Jochen Distelmeyer im Zündfunk-Interview über Gefühle in der Musik und warum Freund-Feind Bilder zu einfach sind.

Von: Sandra Limoncini

Stand: 13.11.2023

Jochen Distermeyer schaut in die Ferne, er trägt ein blau, geld, weiß gestreiftes Held mit beigem Blazer. Der Hintergrund ist verschwommen.  | Bild: Picture Alliance /dpa, Britta Pedersen

Jochen Distelmeyer, Songwriter, Schriftsteller und Gründer der legendären Band Blumfeld, ist mit einer Akustiktour gerade in Deutschland unterwegs. Der Zündfunk hat ihn zu seiner Musik und wie er aktuelle Krisen verarbeitet, interviewt.

Zündfunk: Viele Menschen leben gerade in Angst. Der Gaza Konflikt, der Ukraine Krieg, was macht das mit Dir als Künstler?

Jochen Distelmeyer: Es überrascht mich nicht sonderlich. Einige Songs auf der Platte, die ich schon viele Jahre vor der Corona-Pandemie gemacht habe, handelten genau davon. Nicht immer auf Ängste bezogen, aber auf alles, was man an Gefühlen und Unklarheiten auffangen und mitbekommen kann. Trauer, Wut, Sorgen, Ängste, Gefühl von Orientierungslosigkeit. Insofern überrascht es mich nicht. Ich sehe meine Aufgabe als Mensch und Künstler und Musiker darin, den Leuten Zugänge, angstfreie Zugänge zu ihren Emotionalitäten, Gefühlen, zu verschaffen, sie darin zu unterstützen und ihre Gefühle ernst zu nehmen.

Ist das dann so eine Art Reflex? "Ich muss das in ein Lied verwandeln"...

Nein, da gibt es keinen Reflex. Das sind Dinge, die mich selbst vorher beschäftigt haben. Sehr häufig Tendenzen. Oder ich habe eine Ahnung, wohin sich bestimmte Sachen gesellschaftspolitisch und kulturell vielleicht hinentwickeln könnten. Und auch um mich selbst darauf einzustimmen, oder Leute, die meine Musik hören vorzubereiten, weiter an sich zu glauben, an ihre intellektuelle, wie emotionale Mündigkeit, sich von niemandem Angst machen zu lassen oder sich Schuld einreden zu lassen. Die ganze Vielfalt ihres Empfindungsreichtums, der uns auszeichnet als Menschen, dem angstfrei zu begegnen und daraus Kompetenzen zu ziehen. Verstehst du das?

Verstehen tue ich das total. Aber Du verlangst den Leuten da viel ab.

Nein, ich mache nichts anderes als die Beatles oder andere Musiker und Musikerin vor mir. Ich öffne mit Musik meine eigene Emotionalität. Das habe ich bei anderen Musikern beim Hören gelernt: es tut gut, ist richtig und hilft.

Es gibt ja den Vorwurf, dass sich gerade Künstler und die linke Blase nicht entscheidend genug auf die Seite der Israelis oder gegen die Hamas positioniert positionieren. Dass, das oft so ein „ja aber“ ist. Denkst Du, dass die linke Künstler-Community sich mehr engagieren sollte oder müsste?

Ich weiß nicht mehr, wer die linke Künstler-Community ist. Ich habe Freunde und Freundinnen, die im Gespräch linke Argumente bringen. Aber was "linke Künstler-Community" sein soll, das sehe ich ehrlich gesagt nicht.

Denn Musik wird innerhalb einer bestimmten, linksliberalen Bubble gehört und innerhalb dieser Bubble gibt es mehr oder weniger so ein Konsens zu bestimmten Themen. Wie kann man denn als Künstler die Menschen erreichen, die anders denken? Oder will man die gar nicht erreichen?

Ich kann in die Köpfe meines Publikums nicht hineingucken. Ich vertraue darauf, dass meine Lieder und meine Art der Präsentation und Musik stark genug sind, dass auch Leute, die abwegige und mir nicht genehme Positionen haben, von meiner Musik überzeugt werden.

Wann wird denn aus einem Gefühl ein Lied? Ist das der langsamer Prozess oder eher Gefühl, das irgendwann so dringend wird, dass du daraus irgendwas machen musst?

Beides nicht, sondern es ist für mich immer schon da. Also Musik ist die ganze Zeit da. Meine Gefühle sind Musik. Es ist ein innerer Empfindungsreichtum, es kommt mir vor wie ein Orchester an Gefühlen, das wir alle haben und sind. Und das muss ich auch zu den Fragen vorhin sagen, ich reagiere nicht auf tagesaktuelle, zeitpolitische Entwicklung. Ich schreibe die Songs in der Regel zweieinhalb bis drei Jahre vorher oder manchmal noch früher, weil ich mich an das halte, was ich von Jean-Luc Godard gelernt habe, der mal gesagt hat, er mache Erfahrung mit dem, was in der Luft liegt.

Wenn Du dann merkst, dass du das vorweggenommen hast, gibt Dir das dann Gefühl von Zufriedenheit? In dem Moment, wo Du denkst: "Ich hab es ja gesagt". Oder löst das eigentlich nichts aus?

Ich fühle mich in meiner Kompetenz als Musiker bestätigt. Ich fühle mich bestätigt in der Art, wie ich auf meine eigenen Gedanken oder Gefühle vertrauen kann. Natürlich beunruhigt es mich in hohem Maße zu sehen, wie sich diese Prozesse politischer oder kultureller Art so verselbstständigen. Mir kam es manchmal vor, wie eine Gravitationswelle des Bösen, die da über den Erdball ging. Es fing an mit dem Aufploppen von so chauvinistischen, patriarchalen Figuren wie Orbán, Kaczyński, Trump, Bolsonaro und so weiter. Alles auch ambivalente Figuren und die manchmal sehr einhellige Kritik eines bestimmten politischen Milieus gegenüber diesen Figuren ist wiederum vielsagend bis verräterisch. Dieses sich von beiden Seiten aufbauende Freund-Feind Bild Schema, dieses schwarz-weiß Denken, also eigentlich ein abspaltender Prozess, ist etwas, was ich als Musiker ablehne. Man muss kein Populist sein, um mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.

Wie kam es zu dieser Akustiktour?

Weil ich gucken wollte, wie es sich anfühlt, die Lieder mit der Akustikgitarre zu spielen. Vielleicht auch, um die ein oder anderen Sachen noch mal in dieser Form aufzunehmen. Weil immer, wenn ich das dann allein gespielt habe, dachte: ja, das ist eigentlich schon alles auch drin.