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Herren Interview Tyron Ricketts

Stand: 29.12.2020

Sucht sich selbst: Ezequiel (Tyron Ricketts). | Bild: ARTE/BR/cinemanegro Filmproduktion /kineo Filmproduktion /Frédéric Batier

1. "Herren" ist eine Großstadtkomödie, bei der man die HauptdarstellerInnen durch den Alltag begleitet. Was hat Ihnen an diesem Buch gefallen?

Das Drehbuch von "Herren" hat mir gefallen, da es in diesem Film um die Leben von Schwarzen Menschen in Deutschland geht. Die Figuren werden in ihrer komplexen Mehrdimensionalität erzählt und bleiben nicht, wie so oft, nur beim Klischee vom "Schwarzen Mann". Ich kann mich an keinen anderen Film aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen erinnern, in dem Ähnliches erzählt wurde. Es macht mich ein wenig traurig zu sagen, dass die Vielschichtigkeit der Figuren und deren Darstellung als Schwarze Menschen in der deutschen Film- und TV-Landschaft leider immer noch ihresgleichen sucht. Und das, obwohl die Hauptfiguren in "Herren" auch auf ihre Art am Rande der Gesellschaft leben und Toiletten saubermachen.

2. Ezequiel befindet sich am Anfang des Films in einer Identitätskrise. Wie würden Sie sein Problem beschreiben?

Ezequiel leidet in dem Film darunter, dass er als Schwarzer Mann nicht als valider Teil dieser Gesellschaft gesehen wird. Er fühlt sich ungerecht behandelt. In seiner Verzweiflung vermischt er allerdings viele der Gründe für seine Misere und muss im Laufe des Films Ordnung in sein Leben und seine Sichtweise darauf bringen.

3. Wie findet Ezequiel im Laufe des Films zu sich selbst?

Mit Hilfe seiner beiden neuen Freunde Reynaldo und Jason bekommt Ezequiel im Laufe des Films einen klareren Blick darauf, was er akzeptieren muss und was er selber ändern kann. Auch die Konfrontation mit seiner Frau und seinem Sohn, die im Gegensatz zu ihm ganz klar wissen, was sie wollen, helfen ihm dabei, sich selbst zu reflektieren und am Ende eine gute Lösung zu finden

4. Was ist für Sie der Kern von "Herren"?

Zu lernen was man akzeptieren muss, weil man es nicht ändern kann und was man ändern kann, wenn man es nicht akzeptieren will. Dazu kommt, dass kein Mensch eine Insel ist und es immer hilft, wenn man sich mit anderen austauschen kann, die es gut mit dir meinen.

5. Am Anfang des Films sieht man Beispiele von Alltagsrassismus, z.B. wird Ezequiel eine Münze in seinen leeren Kaffeebecher geworfen. Aber darum geht es im Weiteren nicht in erster Linie. Welche Rolle spielt Hautfarbe in diesem Film?

Hautfarbe spielt eine große Rolle in diesem Film. Natürlich gelten viele Elemente aus unserem Film universal für alle Menschen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es für viele Menschen nach wie vor unterschiedliche Wertigkeiten im Zusammenhang mit der Hautfarbe gibt. "Herren" ist ein Versuch zu zeigen, welche unterschiedlichen Strategien es in der Schwarzen Community in Deutschland gibt, um mit dieser nach wie vor herrschenden Ungerechtigkeit umzugehen. "Herren" ist ein Film über Schwarze Menschen in Deutschland. Daher spielt natürlich auch die Hautfarbe eine Rolle.

6. Ezequiel fühlt sich als Person of Color unsichtbar in Deutschland. Welche Bilder findet der Film für diese Erfahrung?

Unsichtbar bedeutet in diesem Zusammenhang ja nicht, dass man tatsächlich nicht gesehen wird sondern, dass man nicht als valider Teil dieser Gesellschaft betrachtet wird. Man gehört nicht zu Deutschland. Ist nicht Teil des deutschen Selbstverständnisses. So gesehen leben alle der Figuren in unserem Film am Rande unserer Gesellschaft und erbringen nachts und wenig sichtbar ihren Beitrag. Einzig Steve, der Sohn von Ezequiel, will einen anderen, neuen Weg gehen.

7. Ist das Gefühl des Unsichtbarseins eine Erfahrung, die Sie selbst auch gemacht haben?

Jedes Jahr ertrinken Tausende auf ihrer Flucht in ein besseres Leben im Mittelmeer. Kentert jedoch eine Fähre mit europäischen Touristen vor Norwegen fliegen Tag und Nacht Hubschrauber, um jeden einzelnen zu retten. Sehen Sie den Unterschied zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren?

 8. "Herren" wurde gedreht als die "Black Lives Matter-Bewegung" noch kein großes Medienthema war. Sie engagieren sich seit Jahren gegen Rassismus. Über welche Fortschritte freuen Sie sich? Und wo hat Deutschland Ihrer Meinung nach Nachholbedarf?

Ich sehe einen großen Fortschritt in der Tatsache, dass wir in Deutschland in diesem Jahr verstanden haben, dass es durchaus möglich ist, rassistisch zu handeln, ohne die Intention dazu zu haben. In der Vergangenheit galt das nur für antisemitische Handlungen und Aussagen oder wenn man die Nazis wählte. Mit diesem Bewusstseinswandel geht auch einher, dass die Diskussion offener werden kann und weiße Menschen nicht automatisch in eine Abwehrhaltung verfallen, wenn ihnen gesagt wird, dass eine Aussage oder eine Tat vielleicht rassistisch ist. Wir verstehen langsam, was struktureller Rassismus und strukturelle Ungerechtigkeiten sind und merken, wie wir alle gemeinsam darunter leiden und es nur wenige gibt, die davon profitieren. Ich habe große Hoffnung, dass diese Veränderung zu vielen weiteren positiven Veränderung in der Zukunft führen wird.

9. Wie haben Ihre Eltern auf Ihren künstlerischen Berufswunsch reagiert?

Mein Berufswunsch war es, Design zu studieren, was ich auch gemacht habe. Für meine Eltern waren alle meine Ideen, was ich mit meinem Leben anstellen will, ok – solange ich mir meine Optionen einer guten Ausbildung durch mein Abitur nicht verbaue. Damit bin ich sehr gut gefahren, weil mir meine Optionen immer eine angenehme Sicherheit gegeben haben, alles auszuprobieren was ich wollte. Dass ich am Ende Schauspieler und Produzent werden würde, war nicht abzusehen.


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