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Netzlexikon U wie Unbundling

Früher war man gezwungen, ganze Alben zu kaufen - heute kann man die Songs auch einzeln haben. Die Strategie, Inhalte einzeln anzubieten, nehmen sich jetzt auch andere Branchen zum Vorbild. Das hat Vor- und Nachteile.

Von: Frank Seibert

Stand: 16.09.2015 | Archiv

Unbundling | Bild: BR

Was versteht man eigentlich unter "Unbundling"?

Unbundling nennt man das Verfahren, dass einzelne Medieninhalte aus einer Einheit herausgelöst werden, also "entbündelt" werden, obwohl das so vielleicht gar nicht geplant war. Ein gutes Beispiel ist die Musikindustrie: Mitte der 90er gab es so gut wie keine Möglichkeit, Tracks einzeln zu kaufen - ohne gleich elf weitere Songs des Albums dazu zu bekommen. Ob man die wollte oder nicht. Okay: Es gab Maxi-CDs. Aber erstens gab es nicht jeden Track als Singleauskopplung, zweitens waren die fast so teuer wie das ganze Album, und drittens hatten sie oft seltsame Liveversionen oder unbrauchbare Remixe als B-Seite - keine richtige Alternative.

Wie kam es dann dazu, dass die Bündel aufgeschnürt wurden?

Erst kam das Netz, dann die MP3 - und schließlich Musikportale wie iTunes. Durch die Digitalisierung wurde es easy, die Songs auch einzeln zu vertreiben. Und dann wurden die Bündel getrennt. Anfangs fanden das die Plattenfirmen nicht so toll. Aber: im Vergleich zu massenhaft genutzten illegalen Downloadportalen war Unbundling das kleinere Übel.

Also war das "Unbundling" in dem Fall gar nicht ganz freiwillig?

Nein. Die Musikindustrie wurde eher von den Konsumenten zum Umdenken gezwungen. Und die Musikbranche war erst der Anfang. Auch in anderen Bereichen der Medienwelt ist Unbundling inzwischen normal geworden. Beispielsweise im Fernsehbusiness. Viele Menschen schauen nicht mehr ganze Sendungen an, in den Mediatheken findet man oft jeden Beitrag einzeln.

Was könnte man denn noch entbündeln?

Blendle-Gründer Marten Blankesteijn und Alexander Klopping | Bild: picture-alliance/dpa/Robin Van Lonkhuijsen zum Artikel "Blendle"-Start Kostenloses Lesen mit Gewissensbissen

Das iTunes für Journalismus ist da: Blendle ist in Deutschland gestartet. Hier kann der Nutzer einzelne Artikel kaufen - und praktischerweise nach dem Lesen wieder zurückgeben. Für unseren Autor ein Dilemma. [mehr]


Gerade steht die nächste Unbundling-Welle an: bei den Zeitungen und Zeitschriften. Und wieder sind die Produzenten wenig begeistert. Aber auch hier müssen sie sich den Kundenwünschen beugen. Die Abozahlen gehen seit Jahren zurück - deshalb lassen sich auch die Zeitungsverlage auf das Experiment der entbündelten Inhalte ein. Beim niederländischen Startup Blendle können Nutzer für kleines Geld Artikel aus dutzenden deutschen Zeitungen einzeln kaufen. Und sich so ihre eigene Informationsdosis zusammenstellen. Denn, so die Überlegung: Wozu eine ganze Zeitung kaufen, wenn Wirtschaft, Feuilleton oder Sport sowieso in der Papiertonne landen?

Klingt doch super, wenn jeder nur das zahlt, worauf er auch Bock hat, oder?

Im Prinzip ja. Aber auch Gegner des Unbundlings haben gute Argumente: Die meisten großen Platten der Musikgeschichte haben eine eigene Dramaturgie, die Reihenfolge der Songs ist wichtig. Wer von einem Album nur einzelne Songs hört, der verpasst das Gesamtkunstwerk. Auch bei Fernsehsendungen wie den Tagesthemen machen sich Redakteure jeden Tag Gedanken über den Aufbau der Sendung. Nutzer, die davon nur einen Beitrag in der Mediathek sehen, bekommen davon natürlich nichts mit. Genauso bei den Zeitungen: Wer den Politikteil einer Zeitung komplett gelesen hatte, der durfte sich rundum gut informiert fühlen. Wer nur noch einen provokant geschriebenen Kommentar zu einem kontroversen Thema liest, der verpasst leicht gute Argumente. Ob bei Musik, Fernsehen oder Zeitung: Mit Unbundling wird der Kontext unsichtbar. Und: Wer sich nur kauft, ansieht oder anhört, was ihm sowieso gefällt, stößt niemals zufällig auf etwas Interessantes oder Neues. Es lohnt also, sich hin und wieder auch mal ein ganzes Bündel zu leisten.


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