Gesell*innen auf Wanderschaft Wie es ist, als Handwerker auf Walz zu gehen

Drei Jahre weg von Zuhause, ohne Handy und Geld fürs Reisen. Mit strengen Regeln und Arbeitskleidung gehen junge Gesell*innen wie Maël auf die Walz. Im Interview erklärt er, wie es sich auf der Wanderschaft lebt.

Von: Max Büch

Stand: 11.07.2019 | Archiv

Mael auf der Wanderschaft  | Bild: alicewanderlands.com

Es ist ein seltsames Bild: In der Kurve einer staubigen Schotterpiste an der Küste von Marokko steht ein Wandergeselle in voller Montur in the middle of nowhere von Nordafrika: schwarze Kordhose, schwarzes Kordjacket, schwarzer Schlapphut auf dem Kopf – bei 30 Grad im Schatten. Aber nach seiner Lehre zum Zimmerer hatte Maël das Fernweh gepackt - und er seine Sachen, um auf Wanderschaft zu gehen. Auf der "Walz" oder der "Tippelei", wie es auch genannt wird. Wandergesell*innen reisen nach einer Jahrhunderte alten Tradition umher, lernen für ihr Handwerk und das Leben dazu, müssen dabei aber auch einige Regeln befolgen. Sie dürfen sich während der ganzen Zeit zum Beispiel ihrer Heimatstadt nicht weiter als 50 Kilometer nähern, dem sogenannten "Bannkreis". Mittlerweile ist Maël seit dreieinhalb Jahren in Europa und Afrika unterwegs.

PULS: Du warst seit über drei Jahren schon nicht mehr zu Hause. War das eine schwierige Entscheidung?

Maël: Als ich mich dazu entschlossen hatte, kam es mir gar nicht schwierig vor. Ich hatte Lust darauf, kein Handy zu haben und frei zu sein. Und ich hatte nicht das Bedürfnis, unbedingt nach Hause zu müssen: Die Welt ist groß und es gibt viele schöne Orte.

Dafür musst du dich aber an einige Regeln halten. Welche sind das?

Wandergesellen gehen in der Zeit nicht nach Hause, reisen in ihrer jeweiligen Kluft und haben keine modernen Kommunikationsmittel. Man bezahlt nicht für die Unterkunft und fürs Reisen. Das sind die großen Regeln, die jeder befolgt. Ansonsten gibt es noch alle möglichen Verhaltensregeln – wie eine Art Knigge für Wandergesellen – zum Beispiel die Selbstverpflichtung zur Gewaltlosigkeit und dass man sich generell so verhält, dass alle künftigen Gesellen willkommen sind.

Aber telefonieren darfst du schon?

Ich darf Telefone benutzen, aber kein eigenes haben. Das löst einen davon, jederzeit erreichbar zu sein. Man schaut nicht auf sein Smartphone, wenn man den Weg nicht kennt, sondern muss die Leute ansprechen. Gerade in unbekannten Gegenden ist das schön, weil man dadurch viel schneller Kontakt zu den Leuten aufbaut.

Was passiert, wenn sich Wandergesell*innen nicht an die Regeln halten?

Man sagt, dass Wandergesellen der Ohrring herausgezogen wird, wenn sie sich wirklich danebenbenehmen. Daher stammt auch das Schimpfwort "Schlitzohr". Aber ich habe noch von keinem konkreten Fall gehört, wo das passiert wäre. Meistens wird mit der Person erstmal geredet und man schaut, ob derjenige wieder zur Vernunft zu bringen ist und wie man sich einigen kann. Und wenn er wirklich nicht dazu taugt, wird er in Begleitung von Wandergesellen – zur Not auch mit Zwang – nach Hause gebracht. Außerdem wird ihm sein Wanderbuch weggenommen, sein offizielles Dokument sozusagen.

Hattest du anfangs konkrete Pläne, wo du überall hinreisen möchtest?

Nicht wirklich. Ich hatte die Idee, nach Sibirien und Asien zu gehen. Im Endeffekt ist es mehr Afrika geworden und ich habe während der Walz eher geschaut, wo es mich gerade hinzieht. Ich bin mehr mit dem Fluss geschwommen sozusagen.

Und wo hat dich dieser Fluss überall hingetragen?

Maël auf Wanderschaft

In Europa war ich vor allem in Deutschland unterwegs, aber auch in der Schweiz, Italien und Südfrankreich. Eine lange Zeit war ich auch in Portugal und Marokko. Es war aber auch total schön, Deutschland kennenzulernen. Gerade Mecklenburg-Vorpommern und die ganze Ostseeküste haben mir super gut gefallen. Und es war spannend, wie unterschiedlich die Leute tatsächlich von Region zu Region sind – selbst innerhalb von Deutschland – nicht nur die Sprache, sondern auch die Gewohnheiten.

Keine modernen Kommunikationsmittel, kein Geld fürs Reisen oder die Unterkunft ausgeben – das hört sich ein bisschen nach Aussteigen auf Zeit an.  

Das ist ein bisschen personenabhängig. Viele wissen: In den drei Jahren sind sie unterwegs und danach machen sie eine Zimmerei auf oder kehren zurück zur Familie und führen dann wieder ein normales Leben. Es gibt aber auch einige, die währenddessen merken: Wieder ein normales Leben, 40 Stunden die Woche, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen. Für die ist es dann vielleicht ein erster Schritt in das Aussteiger-Dasein.

Und für dich?

Was dazwischen vielleicht.

Du hast dich dazu entschieden, deine Walz bald zu beenden. Warum?

Ich merke das zum Beispiel an den Klamotten: Ich will einfach wieder meine Sachen anziehen, mit denen ich mich gerade wohlfühle, nicht immer die schwere Kluft, in der man auch sehr auffällt. Sie ist zwar sehr robust, aber nicht unbedingt praktisch – im Sommer viel zu heiß und im Winter viel zu kalt. Und mir fehlt auch der Kontakt zu meinen Freunden. Dass ich nicht einfach mal nach Hause gehen kann, das ist ein großes Ding.

Gibt es noch andere Dinge, auf die du dich freust?

Ich war lange kein großer Handy-Fan, ich habe meins vor der Walz eigentlich kaum benutzt. Auf der Wanderschaft habe ich aber gemerkt, dass es viele Vorteile hat, zum Beispiel den Zugang zu Informationen. Ich muss dafür im Moment extra in eine Bibliothek gehen und in anderen Ländern ist das teilweise gar nicht so einfach. Auch Rucksäcke sind schon etwas sehr Praktisches. Wir tragen ja nur Bündel, die wir zusammenschnüren - und das ist für den Rücken auf Dauer nicht so angenehm.

Die Walz ist eine sehr alte Tradition, die es seit dem Spätmittelalter gibt und die 2015 von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt wurde. Wieviel machen das denn heutzutage überhaupt noch?

Grundsätzlich können ja alle traditionellen Handwerksberufe auf Wanderschaft gehen – dafür sind es eigentlich nicht so viele. Aber ich habe den Eindruck, es werden immer mehr. Als ich losgegangen bin, war die Zahl, die ich von den Leuten gehört hab, die gerade unterwegs sind, ungefähr 500. Mittlerweile sollen es schon 600 bis 700 sein. Aber das sind nur ungefähre Schätzungen, weil die Gesellen nicht zentral erfasst werden und es kein Melderegister oder ähnliches dafür gibt.

Ist die Walz noch zeitgemäß?

Es ist auf jeden Fall etwas, was dieser Zeit sehr gut tut. Es bringt Leute dazu, mal rauszukommen – vor allem auch aus dieser Internetabhängigkeit.

PULS am 19.07.2019 - ab 15.00 Uhr.