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Zu viel Bergliebe? Wie wir unseren Bergkonsum ändern müssen, um die Alpen zu retten

Der Berg-Hype und unsere Sehnsucht nach den Alpen sind riesig: jede Woche auf einem anderen Gipfel, Mountainbiken, Wandern, Hüttenwochenende,... Blöd nur, dass wir mit unserem starken Konsum die Berge gleichzeitig kaputt machen.

Von: Claudia Gerauer

Stand: 12.05.2016 | Archiv

Alpenkonsum | Bild: BR

Die Outdoor-Industrie macht Rekordumsätze, der Alpenverein wird überrannt von neuen Mitgliedern und 120 Millionen Leuten machen jedes Jahr in den Alpen Urlaub – der Berg-Hype und unsere Sehnsucht nach einer Auszeit dort sind stärker denn je. Nicht nur zum Mountainbiken oder Freeriden, sondern auch zum Wandern. Lange konnte man mit den Bergen niemanden unter 50 aus der Stadt locken, jetzt sind sie unserer Lieblingsmotiv bei Instagram. Wir, die Generation Selbstverwirklichung, beziehungsunfähig, Y oder was auch immer, wir fahren plötzlich auf die Berge ab, als wär’s das Berghain oder 1000 Flaschen Mate for free. Denn am Berg kommen wir wirklich runter, viel besser als im Club: "Das ist eindeutig eine Gegenbewegung gegen immer mehr Internet, immer mehr Verfügbarkeit der ganzen Welt in virtueller Form, Reisemöglichkeiten, Globalisierung und Technisierung", sagt Jugendsoziologe Klaus Hurrelmann. Heißt also, wir wollen raus und suchen dort Ruhe und Beständigkeit.

Außerdem sind die Berge ein guter Gegenpol zu unseren wenig planbaren Lebensentwürfen zwischen 20 und 30. Wir haben Stress, schon in der Schule, in der Uni, später im Job und brauchen Erholung. Einen Ausgleich, bei dem das Handy nicht alle fünf Minuten klingelt. Wo geht das besser als in den Bergen? Und für alle, denen die Berge wie mir als Kind schon indoktriniert wurden, ist es eine Rückbesinnung auf eine Zeit, in der vieles einfacher und sicherer war. Das alles macht die Berge so attraktiv für uns.

Blöd nur, dass wir mit dem Run auf die Berge – jedes Wochenende auf einen anderen Gipfel steigen, Klettern, Mountainbiken oder Wandern – die Alpen extrem verändern und kaputt machen. Problematisch ist nicht nur, dass wir meistens mit dem Auto in die Bergen fahren, sondern auch, dass immer mehr Leute am liebsten vorgefertigte, buchbare Bergerlebnisse konsumieren, so oft wie möglich. Hauptsache sich um nichts kümmern müssen, Paket X für Hütte Y auf Berg Z buchen und definitiv Spaß geboten bekommen. Aber solche Bergerlebnisse haben mit "Berg erleben" nichts mehr zu tun, sagt Florian Bischof von der Jugend des Deutschen Alpenvereins: "Uns geht’s darum, dass man nicht irgendwas konsumiert, sondern lernt, selber nachzudenken, selber zu planen, selber handlungsfähig zu werden, um dann auf eigenen Beinen durch die Bergwelt zu laufen."

Doch in letzter Zeit werden die Trend-Bergler immer mehr: "Es gibt einige Leute, die denken, wenn sie sich ein Paar Bergschuhe und ein lässiges Gewand kaufen, dann sind sie echte Berggeher", erzählt Vroni Hagn von der Pfeishütte im Karwendel. Klamotten für den Berg und Erlebnisse am Berg kann sich also jeder easy kaufen und konsumieren. Die Natur können wir aber nicht von dem CO2 frei kaufen, das wir jedes Jahr in die Luft blasen, wenn 90 Prozent von uns schön bequem mit dem Auto durchschnittlich jedes Jahr 5000 Kilometer auf der Straße unterwegs sind, um in die Berge kommen. Deswegen müssen wir an unserem Konsum schrauben. Es geht nicht darum, dass wir alle zuhause bleiben müssen. Aber es kann auch nicht sein, dass noch mehr Hotels, Hütten und Lifte gebaut werden, nur weil immer mehr von uns immer öfter in die Berge fahren. Denn dann gibt's irgendwann keine Wildnis mehr. Und genau wegen der gehen wir ja in die Berge, wegen unserer Sehnsucht nach Ruhe und Natur. Wir müssen sorgsamer und bewusster mit dem umgehen, was da jetzt noch ist. Und wir müssen hinterfragen, warum wir jedes zweite Wochenende in die Berge rennen: Geht’s um die Erfahrung in der Natur, den Sport, die Auszeit? Oder eher um ein cooles Bergfoto, frei nach dem Motto: Ein guter Tag am Berg ist, wenn ein gutes Foto für Instagram dabei rauskommt.

"Jedes Wochenende mit möglichst wenig Aufwand immer nur Bergerlebnisse konsumieren, das ist nicht der richtige Weg. Sondern lieber mal sagen: Ok, wir überlegen uns selber eine Tour, erschnaufen uns das, tragen unser Essen selber auf eine Hütte hoch und kochen gemeinsam. Das ist viel nachhaltiger – und dann muss ich auch nicht dreimal im Monat irgendwo hindüsen und meine Fotos posten, weil so ein Erlebnis einfach länger anhält." (Florian Bischof von der Jugend vom DAV im PULS-Interview)

Erlebnisse, die länger anhalten bedeuten sparsamer dosierter, aber dafür bewussterer Bergkonsum, frei von vorgefertigten Events. Und damit werden die Staus, der CO2-Ausstoß, die überlaufenen Hütten und die Konflikte auf Wanderwegen automatisch ein bisschen reduziert – im Gegenzug gibt's ein Plus an Ruhe und Einsamkeit, die wir uns am Berg ja immer wünschen. Also sagt jetzt nicht: Hey, was kann der Einzelne schon ändern? Denn das große Ganze setzt sich nun mal aus dem Handeln jedes einzelnen Berggehers zusammen. Und da niemand von uns Bock auf Verbote oder konsequente Regulierungen hat, geht’s nur so. Indem wir unseren Konsum zurückschrauben und bewusste Berggeher werden. Sonst machen wir das, was wir so sehr lieben mit unserer großen Bergsehnsucht unwiederbringlich kaputt.

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92.554 Fotos mit #mountainlove bei Instagram, coole Holzfällerhemden, Mitgliederansturm beim Alpenverein und Wander-Boom: die Berge sind wieder hip. Woher kommt's, warum ist das nicht nur gut und wie können wir die Berge nachhaltig nutzen? Das hört ihr in unserem PULS Spezial.


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