Sexuelle Übergriffe auf Festivals Safe Space-Konzepte im Realitätscheck

Beleidigungen, Belästigungen und im schlimmsten Fall Vergewaltigungen. Dagegen werden auf Festivals verschiedene Konzepte ausprobiert - Codeworte, Frauen-Areas aber auch der komplette Ausschluss von Männern. Bringt's das wirklich?

Von: Linda Becker

Stand: 11.07.2018 | Archiv

Mit der Code-Frage "Wo geht's nach Panama?" können Menschen, die sich auf Festivals belästigt fühlen, unkompliziert nach Hilfe fragen. Auf dem Glastonbury Festival in England gibt es seit einigen Jahren eine Women-Only-Area. Und in Schweden wurde wegen mehreren verübten Vergewaltigungen 2017 das Bråvalla Festival eingestellt - dafür wird jetzt darüber nachgedacht, ein Festival ganz ohne Männer zu veranstalten. Vieles, was Leuten dabei hilft, nicht zu Opfern sexueller Belästigung zu werden, ist absolut legitim und zunächst mal ein guter Gedanke. Aber schützen solche Konzepte in der Realität wirklich vor Belästigungen?

Hinter "Panama", der Frauen-Area und dem männerfreien Festival steht die Idee der "Safe Spaces". Ein Safe Space ist zunächst mal ein Raum, der frei von Diskriminierungen sein soll. Eine Umgebung, in der sich vor allem marginalisierte Gruppen unbeschwert bewegen können, ohne beleidigt oder körperlich belästigt zu werden. Erst mal eine gute Idee, denn sie kann die Grundlage für einen ganz grundsätzlichen Gedanken schaffen: Es muss möglich sein, dass sich Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer Religion frei und unbelästigt bewegen können. Die Frage ist aber: Können Safe Spaces, die ganze Personengruppen ausschließen, noch behaupten, ein inklusiver Raum zu sein?

Idee 1:  Panama - dein persönlicher Safe Space

"Wo geht’s nach Panama?" - mit diesem Satz können Festivalbesucher auf deutschen Festivals wie dem "Hurricane" unkompliziert nach Hilfe fragen. Das Konzept stammt vom Festivalveranstalter FKP Scorpio.

"Mit 'Panama' kann sich jeder Gast sozusagen einen eigenen Safe Space schaffen: Wer unseren Mitarbeitern die Code-Frage stellt, wird schnell und ohne weitere Fragen aus der Situation entfernt und an einen sicheren Ort gebracht. Dann entscheiden wir gemeinsam mit dem jeweiligen Besucher, wie wir am besten helfen können."

FKP Scorpio

Von Safe Spaces, aus denen bestimmte Personengruppen komplett ausgeschlossen werden, halten die Veranstalter weniger.

"Unserer Ansicht nach lösen Safe Spaces das gesamtgesellschaftliche Grundproblem nicht. Das übergeordnete Ziel muss doch sein, dass jeder Gast unabhängig von Geschlecht oder Herkunft unbehelligt feiern kann. Für sinnvoller halten wir es, das Thema regelmäßig und offen vor unseren Gästen anzusprechen. So haben wir beim Hurricane oder Southside Festival beobachtet, dass sich durchaus eine Kultur des Helfens herausbildet."

FKP Scorpio

Der Realitätscheck:

Eins ist klar: Um Belästigungen zu verhindern, sind Hilfsangebote wichtig. Ob man nun nach "Panama" fragt oder sich mit der klaren Bitte um Hilfe an jemanden wenden kann, ist zunächst egal. Geschultes Personal an der Clubtür, Plakataktionen, Codewörter: Es gibt verschiedene Ansätze, um das Problem auf Großveranstaltungen anzugehen. Am wichtigsten bleibt, die Sensibilität dafür zu schaffen, dass sich Übergriffe in keinem Fall rechtfertigen lassen und man sich traut, laut um Hilfe zu bitten. Zumindest das können Konzepte wie "Panama" leisten.   

Idee 2: Die Frauen-Area

Seit 2016 gibt es auf dem Glastonbury Festival in England die "Sisterhood". Das ist ein Bereich, in dem sich nur Frauen, Queer- oder Transmenschen und Besucher mit Handicap aufhalten. Die Veranstalter bezeichnen die Sisterhood als "intersectional, queer, trans and disability-inclusive space", ein Safe Space für bestimmte Personengruppen. In der Sisterhood sollen sie sich untereinander austauschen und belästigungsfrei feiern können.

Der Realitätscheck:

In der Sisterhood-Area auf dem Glastonbury sollen Frauen feiern können, ohne sich um sexuelle Belästigung Gedanken machen zu müssen. So weit, so gut. Die Frauen-Area ist aber auch ein Raum, der Menschen ganz klar ausschließt. Nämlich alle Männer. Und es ist auch ein Raum, der suggeriert, dass man nur ohne Männer unbelästigt feiern kann. Es ist natürlich nichts gegen geschlossene Runden zu sagen. Zumindest diskutabel wird es aber dann, wenn geschlossene Runden als Schutz vor einer bestimmten anderen Gruppe dienen.

Eine weitere britische Kampagne heißt übrigens "Safer Spaces at Festivals". Sie unterstützt Festivals als Safe Spaces. Das heißt, ein Festival muss ein Ort sein, der einen Safe Space für alle Beteiligten darstellt. Leitlinien sind "Zero Tolerance to Sexual Assault", "Hands Off Unless Consent" und "Don’t Be a Bystander". Die Message der Kampagne: Übergriffe sind unentschuldbar, schau nicht zu.

Idee 3: Das Festival ohne Männer

Nachdem 2017 auf dem Bråvalla Festival in Schweden zum wiederholten Mal Vergewaltigungen stattfanden, wurde die Veranstaltung für 2018 abgesagt. Die schwedische Komödiantin Emma Knyckare schlug deshalb via Twitter vor, das Festival nicht abzusagen, sondern es stattdessen männerfrei zu machen. Das Festival solle so lange ohne Männer stattfinden, bis sich alle männlichen Besucher benehmen könnten. Dieser Vorschlag wurde ziemlich kontrovers aufgenommen, war aber laut Veranstalter denkbar.

Diesen Sommer gibt es tatsächlich ein männerfreies Festival in Schweden, das "Statement Festival" - es wurde von Emma Knyckare organisiert und gecrowdfunded. Das "Statement Festival" findet Ende August in Göteburg statt und ist ausschließlich für "cis women, trans women and those who identify as non-binary".

Der Realitätscheck:

Ein Veranstaltung ohne Männer zu machen, ist natürlich eine legitime Idee. Es gibt ja auch Männer-Stammtische, die Frauen ausschließen, Frauen-Stammtische, die Männer ausschließen oder Nasenbohrer-Stammtische, die Nicht-Nasenbohrer ausschließen. Aber von einem ehemals gemischten Festival alle Männer auszuschließen, ist kontrovers und vor allem diskriminierend.

Sexuelle Übergriffe auf Personen sind ein klares No-Go. Dass sexuelle Belästigungen stattfinden, ist ein schweres gesellschaftliches Problem, das man aber nicht durch Ausschluss lösen kann.