Neues Tool-Album "Fear Inoculum" Hey Drangsal, was ist so toll an Tool?

Heute erscheint das neue Album der Progressive-Metal-Band Tool. Musik für Nerds, die lieber komplexe Taktarten analysieren als headzubangen. Trotzdem ist der Hype um die Band so groß wie nie. Warum? Wir haben beim bekennenden Tool-Fan Drangsal nachgefragt.

Von: Matthias Scherer

Stand: 29.08.2019 | Archiv

Pressebild der Band Tool 2019 | Bild: Travis Shinn

Wenn es eins gibt, was Tool schon immer egal war, dann ist das wohl: Zugänglichkeit. Auf bislang vier Alben verfolgte die Band aus Los Angeles kompromisslos ihre Vision von düsterem Progressive-Metal: Songs mit weit über zehn Minuten Laufzeit, vertrackte Rhythmen und Harmonien, kryptische Texte, verballerte Artworks. Musik für die Nische der Nische, könnte man meinen. Heute erscheint nach dreizehnjähriger Wartezeit mit "Fear Inoculum" das neue Album von Sänger Maynard James Keenan, Gitarrist Adam Jones, Schlagzeuger Danny Carey und Bassist Justin Chancellor. Und der Hype um die Band ist gefühlt so groß wie nie: ausverkaufte Hallen, Chart-Rekorde, sogar Justin Bieber outet sich als Tool-Head. Woran liegt das? Wir haben bei einem bekennenden Tool-Fan nachgefragt. Nein, nicht Justin Bieber. Aber mindestens genauso hübsch und fast so erfolgreich: Max Gruber aka Drangsal.

PULS: Drangsal, als Tool ihre Hochphase hatten – so Mitte der Neunziger bis Mitte der Nuller Jahre – da warst du noch recht jung. Wie hast du die Band für dich entdeckt?

Drangsal: Durch MTV damals. Es gab da dieses Format: "Nightvideos". Da liefen dann auch mal die cooleren und abstruseren Videos. Und da kam immer "Schism" – wenn man einen Tool-Song kennt, dann wahrscheinlich den. Mit dieser ganz berühmten Bassline. Ich fand den Song damals immer cool, mir war das aber zu der Zeit, wo ich das noch nicht so richtig einordnen konnte und wo ich ja tatsächlich noch ein Kind war, fast ein bisschen zu merkwürdig. Ich fand auch die Musikvideos immer sehr verstörend. Als ich dann mit 13 angefangen habe, Bass zu spielen, habe ich dann versucht, mir die Bassline von "Schism" draufzuschaffen, das ist so eine der Go-To-Crazy-Basslines, wenn man was Beeindruckendes spielen möchte.

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Tool - Schism (Official Music Video) | Bild: OfficialTOOL (via YouTube)

Tool - Schism (Official Music Video)

So richtig losgegangen ist es dann aber etwas später mit Puscifer, das ist eines der Nebenprojekte des Tool-Sängers Maynard James Keenan. Das fand ich total gut, aber ich hab mir so gedacht: "Eigentlich finden ja alle Tool viel besser. Was geht denn da ab bei Tool?" Ja, und dann gings halt völlig los.

Dann bist du im Tool-Loch versunken.

Ja, und ich komm nicht mehr raus. Hilfe!

Was bedeuten denn Tool für dich persönlich?

Am Ende des Tages ist das einfach Musik, die mich inspiriert, die mich antreibt. Nicht nur kreativ – ich höre Tool zum Beispiel auch sehr gerne beim Laufen. Generell finde ich Musik gut, die etwas in einem auslöst – und Tool rufen in mir eben eine große Bandbreite an Emotionen hervor.

Zum Beispiel?

Angst. Wut. Trauer. Freude. Glückseligkeit. Überkandidelt-Sein. Motivation. Und einfach Freude an der Musik. Beeindruckt sein, wie toll das alles gespielt und produziert ist.

Mal abgesehen von deinen persönlichen Emotionen – glaubst du Tool sind heutzutage noch relevant?

Tool haben im Juni hier ein Konzert in Berlin gespielt, in der Mercedes Benz Arena, das erste Berlin-Konzert seit zwölf Jahren – das war halt schlagartig ausverkauft. 17.000 Leute mal eben so in die Mercedes Benz Arena zu kriegen, nachdem man 13 Jahre keine Platte rausgebracht hat, das schafft jetzt auch nicht jeder, sag ich mal. Die erste Single vom neuen Album, der Titelsong "Fear Inoculum", hat mittlerweile auch über zehn Millionen Plays auf Youtube und hat’s auch in die Billboard-Charts geschafft. Wobei er mit zehn Minuten Laufzeit der längste Song ever in den Billboard-Charts ist.

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TOOL - Fear Inoculum (Audio) | Bild: TOOLVEVO (via YouTube)

TOOL - Fear Inoculum (Audio)

Nachdem Tool vor kurzem erst alle ihre alten Alben digital verfügbar gemacht haben, sind die in sämtlichen Streaming-Charts gelandet. Die laden ein Album von 1994 auf Spotify und die Leute drehen durch. Das spricht doch für die Relevanz! Aber vielleicht klinge ich jetzt auch wie so ein eingeschnappter Superfan, der wieder versucht, die Band vor allen zu verteidigen.

Du darfst gern damit weitermachen, weil: Nicht jeder findet so recht den Zugang zu Tool. Das ist oft wahnsinnig verkopft und anstrengend. So düster und unmelodiös...

Quatsch. Also, über die Musik von Tool zu sagen, sie hätte keine Melodien, das macht überhaupt keinen Sinn, weil sie hat ja sehr viele Melodien. Das kannst du vielleicht von irgendwelchen Noise- oder Grindcore-Bands behaupten, wo dann wirklich nur rumgeschrammelt und geschrien wird. Aber nicht bei Tool. Wobei ich verstehen kann, dass das für manche Ohren vielleicht nicht so angenehm ist wie andere Musik, und das nennt man dann am Ende des Tages, ich glaube, Geschmack? Geschmack ist wie Meinungen, Meinungen sind wie Arschlöcher, und ich bin eins. Oder so ähnlich. Ne, ich versteh dich schon. Es hat einfach nicht jeder Bock, sich 15-minütige Songs anzuhören, wo sich alle drei Sekunden die Taktart und die Tonart ändern und alles sehr verschwurbelt und mathematisch kompliziert daher kommt. Ich glaube, wenn man das so viel hört wie ich, dann merkt man das gar nicht mehr. Aber es ist natürlich schwieriger zu konsumieren, als die neueste Zwei-Minuten-Dreißig-Ufo361-Single. Man muss sich da hinsetzen und bewusst zuhören. Wenn man da keinen Bock drauf hat, oder das nicht dein Fall ist, dann finde ich das auch in Ordnung. Muss ich nicht sagen: "Aaah, wie kannst du das scheiße finden, das ist doch genial!"

Du hast ja dieses Jahr auf Rock am Ring und Rock im Park gespielt – Tool auch. Der Sänger Maynard James Keenan wirkt ja aus der Ferne wie ein ziemlich weirder Typ. Wie ist der so drauf?

Ich weiß es leider nicht, ich hab ihn nicht kennengelernt. Ich kann dir bloß sagen, dass er in den Caterings der Backstage-Bereiche großer Festivals, die wir beide bespielen durften, mit Security rumläuft. Und ich verstehe das auch. So eine Band, die so viel durchgemacht hat, um die es so einen Hype gibt, so einen Personenkult, die sehen den Backstage als etwas Heiliges an, als den kleinen letzten Rest Privatsphäre, der ihnen auf Tour noch bleibt. Und jetzt ist der ja auch schon Mitte Fünfzig, da hast du ja auch eine andere Lebensrealität – und keine Lust, dich am Tag zwanzigmal anquatschen zu lassen, wieviel irgendjemandem das bedeutet, was du gemacht hast. Weil das auch irgendwann mal anstrengend wird. Ich finde nicht, dass Maynard Keenan ein weirder Typ ist. Das, was er sagt, wirkt auf mich sehr verständlich. Ich finde es auch bewundernswert, dass der so produktiv ist, dass der ein Buch schreibt, dass der Wein macht, dass der Jiu Jutsu lernt und lehrt, 'ne Yogaschule aufmacht, drei Restaurants hat. Und nicht zu vergessen auch drei Bands! Weird finde ich das nicht, ich finde das bewundernswert, wie fokussiert man sein kann.

"Fear Innoculum", das neue Album wurde ja schon geleakt. Hast du's schon gehört?

Äääh, nein. Ich lade natürlich keine Musik illegal runter! Gesetzt den Fall, ich würde sowas tun und ich hätte es schon gehört, dann wäre ich beeindruckt! Bin ich mir sicher! Ich habe auf jeden Fall die CD vorbestellt und bin sehr gespannt. Die CD-Hülle der Deluxe-Edition hat ja einen 4-Zoll-HD-Screen innen drin, wo dann Visuals zu der Musik laufen. Die fucking CD-Hülle hat einen Ladestecker, einen Bildschirm, einen 2-Watt-Lautsprecher und ein 39-seitiges Booklet, also ich glaube, da werde ich ein paar Tage dran zu kauen haben. Tool können sich solche Spielereien halt auch leisten, aber darüber hinaus bin ich froh, dass die sich in diesem hohen Alter und nach solchen Erfolgen noch solche Mühe machen. Da merkt man einfach, die sind dedicated und haben Spaß an ihrer craft.

Drangsal, vielen Dank für das Interview!

Hey, ich bin doch gerne euer Tool-Experte! Ihr könnt mich immer anrufen!

Sendung: Plattenbau am 27.08.2019 - ab 19.00 Uhr.