Bayern 2 - Zündfunk

Autorin Hami Nguyen über Rassismus "Ich sehe, dass die Migrationsdebatte wieder sehr stark in diese Richtung geht"

Fleißig, hörig, ruhig: über Menschen aus Asien gibt es viele Stereotypen. Diesen anit-asiatischen Rassismus entschlüsselt Autorin Hami Nguyen und zeigt, wie die Popkultur und die Corona-Pandemie dieses Bild verändern - mit Auswirkungen auf aktuelle Migrationsdebatten.

Von: Bärbel Wossagk

Stand: 14.11.2023

Man sieht die Autorin Hami Nguyen vor einer Wand.  | Bild: Hami Nguyen

Rassismus gegen Menschen, die auf der Straße als "asiatisch aussehend" gelesen werden, in der Corona-Pandemie haben sich diese Vorfälle gehäuft, auch weil in Deutschen Medien der SARS-Virus teils als sogenannter "China Virus" betitelt wurde. So sammelten sich unter dem Hashtag #iamnotavirus Betroffene, die nicht durch ihr Aussehen ausgegrenzt werden wollen. Die Deutsch-Vietnamesin Hami Nguyen erzählt in ihrem Buch "Das Ende der Unsichtbarkeit" von diesen Erfahrungen anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte. Warum es auch in der Popkultur viel aufzuarbeiten gibt, erzählt sie im Zündfunk-Interview.

Zündfunk: Was erzählt ihre Mutter von ihrer ersten Zeit hier Deutschland in den 1990er Jahren, als es häufig rechtsextreme Ausschreitungen in Deutschland gab?

Hami Nguyen: Ich weiß, dass in dieser Zeit niemand gerne in einem Flüchtlingsheim leben wollte. Weil alle Angst hatten, dass nachts ein Molotowcocktail durchs Fenster fliegt. Das ist jetzt nicht überspitzt formuliert, denn die Angst war wirklich sehr real. Und wie wir ja auch wissen, zu Recht. Meine Mutter hatte eigentlich immer Existenzängste. Sei es die Angst vor Gewalt, aber auch die Angst vor der Abschiebung, weil wir Asyl beantragt hatten und dieses Gesuch immer wieder ausgesetzt wurde. Wir haben deswegen jahrelang mit einer Duldung gelebt.

Sie erzählen in ihrem Buch von diesen Duldungen, von diesen entwürdigenden Gängen zur Ausländerbehörde. Als Jugendliche haben sie vielleicht noch nicht die strukturell-rassistische Dimension wahrgenommen. Wie sehen Sie das heute?

Ich sehe, dass die Migrationsbebatte wieder sehr stark in diese Richtung geht. Abschiebung ist als Thema so präsent wie schon lange nicht mehr. Man muss sich vorstellen: Man lebt in einem Land, in dem man sich ein zu Hause aufbauen möchte. Aber man kann es nicht. Denn mit einer Duldung kann man jederzeit abgeschoben werden. Jetzt wird sogar eventuell beschlossen, dass ohne jegliche Vorankündigung abgeschoben werden darf. Diese Angst ist so unbegreiflich, wenn man es nicht selbst erlebt hat und auch, dass das Leben eigentlich stillsteht. Ohne Aufenthaltsgenehmigung, also mit einer Duldung, dürfen Menschen nicht arbeiten gehen.

Nun gelten asiatisch gelesene Menschen als eine „Vorzeige-Minderheit“. Also die werden, um jetzt mal das Klischee gleich zu bedienen, als fleißig, höflich, still wahrgenommen. Sie machen der Dominanzgesellschaft hier keine Angst, sie werden auch nicht laut. Sie bezeichnen diese Art Rassismus als positiven Rassismus. Warum ist er trotzdem so verletzend?

Er ist verletzend, weil es immer noch eine Zuschreibung ist aufgrund äußerer Merkmale. Nur, weil ich einen bestimmten Namen trage oder auf eine bestimmte Art und Weise aussehe, bedeutet es nicht, dass ich automatisch bestimmte Talente oder bestimmte Interessen habe. Doch genau das wird suggeriert, dass Menschen, die aussehen wie ich oder die aus Ländern Ost-Asiens kommen, bestimmte Talente oder Eigenschaften haben. Es ist nicht gut, Menschen in Schubladen zu stecken.

Beim anti-asiatischen Rassismus spielt auch die Sexualisierung eine sehr große Rolle. Frauen sind entweder zarte Kirschblüten oder Killer-Drachen-Ladys wie bei Kill Bill. Die Männer hingegen haben gar keine sexuellen Interessen. Wie wirkt sich das aus?

Das wirkt sich massiv auf die Realität der Menschen aus. Also wenn wir von Frauen sprechen, die hypersexualisiert werden, müssen wir zum Beispiel auch an den Anschlag in Atlanta 2021 denken. In Massagestudios wurden asiatische Frauen kaltblütig ermordet, und der Täter gab an, eine Sexsucht zu haben. Und das ist ein unmittelbares Folgen der Übersexualisierung, die man in der Popkultur und in den Medien sieht. Gleichzeitig haben wir diese Männer, deren Sexualität komplett abgesprochen wird. Also zum Beispiel Jackie Chan, der eigentlich ganz oft Superhelden spielt, aber sehr selten als sexuell begehrenswert dargestellt wird. Eine Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass auf einer Dating-Plattform asiatisch gelesene Männer viel seltener gepairt werden.

Mit Corona hat sich die ganze Thematik noch sehr verschärft. Für viele ist es dann erst sichtbar geworden, dass dieser anti-asiatische Rassismus besteht. Da ist es zum Thema geworden. Wie haben Sie das erlebt?

Lucy Liu in ihrer Rolle als O-Ren Ishi im Film Kill Bill. Liu sagt heute, die Rolle bediene westliche Klischees auf asiatische Menschen.

Ich habe das in Form von Mikroaggressionen, von kleinen Dingen im Alltag erlebt. Zum Beispiel hat sich im Zug niemand neben mich gesetzt, egal, wie voll dieser Zug war, aus Angst vor dem sogenannten „China-Virus“. Allein die Benennung des Virus: „China-Virus“ hatte wirklich große Auswirkungen auf Menschen, die asiatisch markiert werden.

Sie haben eine Weile in Kanada gelebt. Dort haben sie andere Erfahrungen gemacht, die Ihren Blick auf diese ganze Frage sehr beeinflusst haben. Wie haben Sie das erlebt?

Meine Erwartungshaltung war, dass es ein westliches Land ist und daher meine Erfahrung ähnlich sein wird wie in Deutschland. Ich war aber überrascht, dass ich immer als Kanadierin gelesen wurde. Ich wurde zum Beispiel nach dem Weg gefragt. Ohne alles schön reden zu wollen: auch in Kanada gibt es Rassismus und es gibt Probleme. Aber nach meinem Empfinden war mein alltägliches Leben viel, viel weniger geprägt von der „Andersmachung“. Ich habe mich viel weniger als „die Fremde“ gefühlt als hier.

Gibt Sachen, die Sie ermutigen, Dinge, die sich zum Besseren verändern?

Ich merke es in der Popkultur. Es gibt nicht mehr nur Hollywood und ein paar wenige Anbieter, die Filme drehen. Koreanische Serien gewinnen vielmehr an Popularität. Wenn dort Menschen gezeigt werden mit asiatischen Wurzeln, die komplexe Figuren spielen, die komplexe Charaktere sind, die nicht nur diese Klischees erfüllen, dann finde ich das einen guten Schritt in die richtige Richtung für mehr Repräsentation. Ich sehe auch, dass viele Menschen sich auch unter dem Hashtag #ichbinkeinVirus trauen, etwas zu sagen und auch für die sprechen, die schweigen. Das macht auf jeden Fall Hoffnung.