Bayern 2 - radioWissen


2

Katherine Mansfield Impressionen des Augenblicks

Als Katherine Mansfield im Alter von 34 Jahren starb, hinterließ sie 73 Erzählungen und Kurzgeschichten. Außerdem finden sich in ihrem Werk ein Tagebuch, Erzählfragmente und Gedichte. Auch viele Briefe und Kritiken zeugen von ihrem inneren Drang zum Schreiben. Mit ihrer gänzlich neuen Art des Schreibens, die zum Teil mit James Joyce verglichen werden kann, wird sie zu Recht als herausragende Vertreterin der klassischen Moderne angesehen.

Stand: 13.06.2016 | Archiv

Autorin Katherine Mansfield | Bild: Süddeutsche Zeitung Photo

Oft findet sich in Katherine Mansfields Erzählungen nur wenig Handlung, so dass die Geschichten eher zu Charakterstudien oder zu sprachlichen Wiedergaben von Impressionen geraten. Mit sparsam eingesetzten Worten, aber mit äußerster Genauigkeit, machen ihre Erzählungen den Blick für echte Charaktere frei. Diese kommen durch die Technik der "erlebten Rede" nahezu unmittelbar zu Wort und präsentieren so ihre Gedanken, Gefühle und Überlegungen. Durch das Verschmelzen von Erzählerstimme und Figurenrede wird die Distanz des Erzählers zum Erzählten verringert. Literaturwissenschaftler Jörg Drews illustriert dieses Phänomen anhand Mansfields Erzählung "Der Fremde": "... die Sprache beschreibt nicht in begrifflicher Distanz die Vorgänge, sondern nimmt Ausrufe, plötzliche Gefühlsbewegungen, unvollendete Gedanken oder überrascht abgebrochene Sätze in sich auf."

"Und plötzlich, zwischen zwei großen plumpen Idioten – 'Aus dem Weg da!' bedeutete er ihnen mit dem Regenschirm – sah er eine erhobene Hand – einen weißen Handschuh, der ein Taschentuch schwenkte. Noch einen Augenblick, und Gott sei Dank, Gott sei Dank! – da war sie. Da war Janey. Da war Mrs. Hammond, ja, ja, ja – an der Reeling stehend und lächelnd und nickend und ihr Taschentuch schwenkend."

Auszug aus Katherine Mansfields Erzählung 'Der Fremde'

Das Gartenfest – Mitgefühl und Eitelkeit

Ihr entlarvender Blick auf Menschen wird deutlich, wenn wir einen kurzen Blick auf ihre Kurzgeschichte "Das Gartenfest" werfen: Eine mehr als wohlsituierte Familie bereitet ein Gartenfest vor. Als die Geschäftigkeit auf dem Höhepunkt ist, trifft die Mitteilung ein, dass ein armer Mann, der in der Umgebung wohnt, verunglückt ist und nun zuhause bei Frau und sechs Kindern im Sterben liegt. Laura, eine Tochter der wohlhabenden Familie, zeigt sich von der Nachricht so betroffen, dass sie an eine Absage des Festes denkt. Ihre Geschwister verspotten sie für diese Gefühlsregungen. Nachdem sie ein Kompliment für ihren neuen Hut bekommt, vergisst auch sie zunächst das Schicksal ihres Nachbarn und dessen Familie.

Ein Hut am Totenbett
Nach dem Fest aber sucht sie sie dann auf, um ihnen Reste des Festessens zu bringen. Am Bett des Toten kann sie aber, von Mitgefühl überwältigt, nur die Worte hervorbringen: "Entschuldigen sie, dass ich den Hut aufbehalten habe." Mit feinsinniger Ironie wird in dieser Erzählung das Zusammentreffen von Mitgefühl und Eitelkeit, die Härte des Lebens im Nebeneinander von Fest und Tod und die absurde Unfähigkeit zur Kommunikation angesichts dieser Erkenntnis thematisiert. Charakter und Reife sind also das eigentliche Thema dieser und der meisten anderen Kurzgeschichten Mansfields. Diese weisen oft biografische Bezüge auf. Deshalb ist ein Blick auf das Leben von Kathleen Beauchamp, wie Katherine Mansfield eigentlich mit ihrem Geburtsnamen hieß, von einigem Interesse.

Das Leben der Kathleen Beauchamp – unerfüllte Erwartungen

Kathleen als Kind: pummelig und phantasiebegabt
Als Tochter des Bankers Harold Beauchamps, der einer der reichsten Männer Neuseelands war, und seiner Frau Annie wurde sie am 14. Oktober 1888 in Wellington geboren. Den Erwartungen speziell ihrer Mutter, ein hübsches und vorzeigbares Mädchen zu sein, konnte sie allerdings während ihrer Kindheit und Jugend nicht entsprechen. Sie war eher pummelig und entsprach nicht den gesellschaftlichen Schönheitsvorstellungen. In der Schule missfielen ihre phantasievollen Äußerungen, die sie bei den Lehrern in den Ruf brachten, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Ihr Talent zum Schreiben fand jedoch schon früh Bewunderung: Sie gewann im Alter von acht Jahren einen Preis in einem Aufsatzwettbewerb. In der Schülerzeitung der "Wellington Girls' High School" konnte sie 1898 und 1899 erste Geschichten veröffentlichen. Um das angesehene Londoner Queen's College zu besuchen, verließ sie 1903 für drei Jahre Neuseeland und studierte dort mit knapp 15 Jahren Musik und Literatur.
Anschließend musste sie zu ihrem Verdruss wieder in Neuseeland leben. Während dieser Zeit ereignet sich auch, was später der Hintergrund für die oben erwähnte Kurzgeschichte "Das Gartenfest" werden sollte. Eine von ihrer Mutter 1907 ausgerichtete Gartenparty wurde von einem Todesfall überschattet.

Übersiedlung nach England und ein Hochzeitsdrama
Im nächsten Jahr aber konnte sie ihren Vater überzeugen, sie wieder nach London ziehen zu lassen. Diesmal war die Übersiedlung endgültig. Hatte sie schon in Neuseeland Kurzgeschichten geschrieben, so widmete sie sich nun gänzlich dem Schreiben. Hier nahm sie bald eine Beziehung zu dem neuseeländischen Cellisten Garnet Trowell auf, in deren Folge sie schwanger wurde. Als Trowells Eltern intervenierten, verlegte sie sich darauf, den schüchternen Musiker George Bowden dazu zu bewegen, sie zu heiraten. Jedoch floh sie aus der noch nicht vollzogenen Ehe am Tag der Hochzeit, um Garnet Trowell zu folgen, der in einem Orchester einer fahrenden Operngesellschaft arbeitete.

Bad Wörishofen und ein schmerzhafter Verlust
Aber ihre Mutter hatte von der Hochzeit Nachricht erhalten, reiste nach England und nötigte sie dazu, mit ihr nach Bad Wörishofen zu reisen, um dort in aller Stille das Kind zu bekommen und es dann zur Adoption freizugeben. Allerdings erlitt sie hier 1909 eine Fehlgeburt, als sie einen schweren Koffer auf einen Schrank heben wollte. Dieses Ereignis trübte ihr Verhältnis zu ihren Eltern noch zusätzlich so nachhaltig, dass sie enterbt wurde.

Das Leben der Katherine Mansfield - Leid, Erfolg und früher Tod

Erste literarische Erfolge und schwere Krisen
Katherine Mansfield, wie sie sich ab 1910 nannte, erhielt 1911 mit ihrer Kurzgeschichtensammlung "In einer deutschen Pension", die auf Erlebnissen während ihres Aufenthalts in Bad Wörishofen basiert, einige literarische Aufmerksamkeit. Doch dieser Erfolg war nicht anhaltend. So litt ihre Beziehung zu ihrem späteren Mann, dem Schriftsteller John Middelton Murray, den sie im gleichen Jahr kennen gelernt hatte, unter beider beruflicher Misserfolge und daraus resultierender Armut.
Ihre ohnehin angegriffene Gesundheit wurde durch den Tod ihres Bruders Leslie, der 1915 im Ersten Weltkrieg fiel, und durch daraus entstandene starke Depressionen weiter gefährdet. In ihrem literarischen Schaffen suchte sie nun Halt in nostalgischen Kindheitserinnerungen. So schreibt sie in ihr Tagebuch: "Die Handlungen meiner früheren Geschichten lassen mich völlig kalt. Jetzt - jetzt möchte ich Erinnerungen an mein eigenes Land schreiben. Ja, ich will über mein Heimatland schreiben, bis mein Vorrat erschöpft ist. Ich will alles sagen, sogar, wie in Haus Nr. 75 der Wäschekorb quietschte ..."

Eskapaden und Krankheiten
Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich aber zusehends. Da ihre Beziehung zu Murray nicht das war, was man gemeinhin als glücklich bezeichnet, widmete sie sich anderen sexuellen Eskapaden. Dabei erkrankte sie an Tripper, der allerdings lange nicht diagnostiziert wurde, da diese Erkrankung den Ärzten für eine Dame als unwahrscheinlich erschien. Als sie 1918 schließlich Murray heiratete, war sie zudem seit längerem an Tuberkulose erkrankt.

Gemeinsame Einsamkeit in der Ehe und ein zu früher Tod
Die Ehe kann aber eher als eine gemeinsame Einsamkeit umschrieben werden, da beide Ehepartner im Privaten nicht viel Verbindendes fanden. Wenn Katherine zum Beispiel unter den Symptomen ihrer Tuberkulose und später auch von zwei zusätzlichen Lungenentzündungen litt, so löste das eher Abwehr denn Unterstützung bei ihrem Ehemann aus. Trotz ihrer schweren Erkrankungen schrieb sie, die mit D. H. Lawrence und Virginia Woolf seit dieser Zeit freundschaftlich verbunden war, die Kurzgeschichten, die ihr bis heute Anerkennung verschaffen. 1920 erschien die hoch gelobte Publikation "Bliss and other Stories" (erstmals 1937 auf Deutsch unter dem Titel "Für 6 Pence Erziehung"). Die schon erwähnte Kurzgeschichte "Das Gartenfest" erschien mit anderen Kurzgeschichten in einer Sammlung 1922. Auch diese Texte bekamen hohe Beachtung. Schließlich aber konnte ihr Körper den schweren Erkrankungen nicht mehr standhalten. Sie starb am 9. Januar 1923 in Fontainebleau, wo sie sich Hilfe von dem Esoteriker Gurdjeff erhofft hatte. Der Nachwelt ist sie als brillante Verfasserin von Kurzgeschichten in Erinnerung geblieben.


2