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Die Fahnenweihe Hintergrund: Auswahl des Stückes

Warum „Die Fahnenweihe“ von Josef Ruederer für den Zuschauer immer noch interessant ist und gerade heutzutage so manchen krummen Nagel auf den Kopf trifft, schreibt BR-Redakteur Thomas Stammberger.

Stand: 29.08.2013

Opbenair Theater "Fahnenweihe" ein Herr  mit drei weiß gekleideten Engeln | Bild: picture-alliance/dpa

Thomas Stammberger:

"Wir mochten einander nicht" - mit provozierender Aufrichtigkeit beginnt Ludwig Thoma seine "Erinnerungen an Josef Ruederer", einen Nachruf von überwiegend geringschätzender Kritik, der den heutigen Leser vermuten lässt: Da war doch was! Etwas, was nachwirkte - offenbar über den frühen Tod (* 15.10.1861 / † 20.10.1915) des Münchners Josef Ruederer hinaus.

Richtig. Und gut so. Aber entgegen dem gewaltigen Nachhall, den Josef Ruederer mit seinem dramatischen Hauptwerk "Die Fahnenweihe" in der unmittelbaren Nachwelt hinterlassen hatte, geriet das Stück über die letzten einhundert Jahre fast gänzlich in Vergessenheit. Zu Unrecht. Und schon jetzt ein erstes "Bravo!", dass die Luisenburg-Festspiele um ihren rührigen Intendanten Michael Lerchenberg diesen spektakulären Theaterriemen aus der Bühnenkiste holen, entstauben und zurückbringen, wohin er gehört: mitten unter die Leut'!

Als wir von Senderseite Anfang 2012 den lange gepflegten Kontakt zu Ostbayerns größten Freilicht-Festspielen intensivierten und begannen, über die Aufzeichnung eines Stückes auf der beeindruckenden Naturbühne nachzudenken, dauerte es nicht lange, bis wir auf die verschütt gegangene Ruederersche "Fahnenweihe" stießen. Michael Lerchenberg trug sich schon länger mit dem Gedanken, den Volkstheaterbrocken mit unzähligen Figuren und kraftvoll überzeichneten Charakteren aus der Versenkung zu holen und anlässlich der Neugestaltung der Spielstätte 2013 auf den Spielplan zu setzen.

Welche Freude, auch verbunden mit einem Schuss späte Genugtuung für den in Vergessenheit geratenen Ruderer, dass es jetzt, nach vielen Jahrzehnten ohne Inszenierung im professionellen Rahmen, zu einer Wiederaufführung, ja vielleicht sogar Wiederentdeckung kommt ! Denn selbst der kritische, ja beinahe polemische Ludwig Thoma attestierte der "Fahnenweihe" aus dem Jahr 1894 (UA: Berlin 1895) erst einmal eine "gut gefügte, heitere Komödie" zu sein. Warum also geriet das Stück in der Münchner Gesellschaft des angehenden 20. Jahrhunderts derart in Verruf – und über fünfzehn Jahre gar in bayernweite, vernichtende Zensur?

Ganz einfach: Es traf - und trifft! Es trifft so manchen Nagel auf den Kopf und vor allem das (wohl schon zu Ruederers Zeiten weit verbreitete) "bayerische Spezltum" mitten ins Herz. Die Art und Weise, wie einfallsreich, schillernd und erschöpfend der gebürtige Münchner in der Fahnenweihe die bürgerliche Gesellschaft und ihre fadenscheinige Moral "durch den Kakao" zieht und parodiert, sucht ihresgleichen und konkurriert mit krachertem politischen Kabarett ebenso wie mit den schärfsten Sozialstudien der Gegenwart.

Ruederer schießt - raffiniert und mit sich behutsam steigernder Direktheit – am Ende gegen alles und jeden. Hier bekommen selbstsüchtige Regierungsbeamte und heuchlerische Kirchenvertreter ebenso ihr Fett ab, wie die infame Geschäftswelt und das vor allem auf äußere Wirkung bedachte Künstlertum und Establishment.

Letzteres ist vielleicht der Grund, warum Thoma mit Ruederer und seiner Fahnenweihe nie "warm" wurde. Vielleicht war es beim etablierten und vielfach geehrten Heimatdichter Thoma auch diese besondere Art von Ertapptheit, die sich beim Leser noch heute einstellt, wenn man dieser großen Komödie bis ans Ende folgt. Denn während Ruederer ein ganzes Dorf  für seine krummen Touren kollektiv durchs Fegefeuer treibt, singt der Chor und jauchzt die Musi. Und über den sich am Ende bedrohlich öffnenden Höllenschlund breitet sich dann doch… ah ja, der Teppich, unter den sich heute wie zu Josef Ruederers Zeiten so manches kehren lässt, von dem man nicht gedacht hätte, dass es drunter Platz zu finden vermag.

Insofern ist die Fahnenweihe ein amüsanter, stellenweise geradezu aberwitziger Rundumschlag gegen eine Gesellschaft, die Ruederer als Sohn und Millionenerbe eines Bankiers und Aktionärs der Münchner Löwenbrauerei bestens kannte - und der er mit beißender Ironie und ohne Rücksicht auf Konventionen den Spiegel vorhielt. Ein Stück, das  um vieles moderner anmutet, als es der Zuschauer heute vielleicht erwartet. Auf jeden Fall aber ein Stück, über "grüabige Zuständ" (Ruederer), das man gesehen haben sollte.

Dass die Luisenburg-Festspiele bereit waren, die 26 (!) Solisten umfassende Komödie auf den Spielplan zu nehmen und in einer zeitgemäßen, kompakten Bearbeitung auch für den Zuschauer des Bayerischen Fernsehens einzurichten, darf schon im Vorfeld als großes Verdienst gelten. Dass wir bei dieser Gelegenheit auch einer Vielzahl unserer beliebten bayerischen Volksschauspieler wiederbegegnen dürfen, weckt unsere Begeisterung für die gemeinsame Sache umso mehr.


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