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Daniel Mellem Die Erfindung des Countdowns

Er tüftelt für Hitler am V2-Raketenprojekt, gilt lange als utopischer Spinner und entwickelt schließlich Mondraketen in den USA. Sein halbes Leben hat Hermann Oberth in Feucht verbracht. Ein Roman greift sein bewegtes Leben auf.

Von: Dirk Kruse

Stand: 23.10.2020 | Archiv

"In den letzten Monaten dachte Hermann beim Spazieren am liebsten über Jules Verne nach. Die Mutter hatte ihm Vernes Roman 'Reise um den Mond' geschenkt. Erst hatte die Geschichte wie ein Märchen geklungen, aber kaum hatte Hermann ein paar Seiten gelesen, hatte er nicht mehr davon lassen können. Was für großartige Ideen dieser Verne hatte! Er erzählte in seiner Geschichte, wie man zum Mond kommen konnte. Eine riesige Kanone aus Gusseisen, 274 Meter lang, konnte Menschen in einer Hohlkugel aus Aluminium dorthin schießen. Verne wusste auch, wie schnell man sein musste, um der Erde zu entkommen: über elftausend Meter in der Sekunde!"

Auszug aus dem Roman 'Die Erfindung des Countdowns'

Wissenschaft hält Oberth für einen utopischen Spinner

Daniel Mellem: Die Erfindung des Countdowns

Jules Vernes Idee von einer Reise zum Mond begeistert Hermann Oberth. Doch bald rechnet der mathematisch begabte Bub aus, dass die Passagiere nur als Matsch im Weltall ankommen würden, weil bei dem Schuss aus der Riesenkanone das Zwanzigtausendfache der Erdanziehung auf sie wirken würde. So entwickelt Hermann die Idee einer Rakete, die sein Lebensprojekt wird. Er studiert in Göttingen und Heidelberg Physik, rechnet, entwirft und erfindet und schreibt seine Doktorarbeit darüber. Doch die Wissenschaft hält Oberth für einen utopischen Spinner, erklärt Autor Daniel Mellem.

"Also er hat geglaubt, er hätte da die theoretische Grundlage für etwas geschaffen, das man auch bald in die Praxis umsetzen könnte. Er ist dann aber an den Universitäten auf Widerstände gestoßen. Dieses Forschungsfeld, in dem er sich bewegt hat, das gab es noch nicht. Er ist dann zu unterschiedlichen Professoren gelaufen und hat seine Idee immer wieder vorgestellt. Teilweise haben die sich über ihn auch lustig gemacht. Und er hat dann auch eine Doktorarbeit geschrieben, die dann abgelehnt wurde. Zum einen, weil es dieses Forschungsfeld nicht gab, zum anderen aber auch, weil es so utopisch klang, was er da gemacht hat. Er hat gegen viele Widerstände ankämpfen müssen, auch im wissenschaftlichen Betrieb."

Autor Daniel Mellem im Interview

Mitarbeit in Hitlers Raketenschmiede Peenemünde

Oberth schreibt ein aufsehenerregendes Buch über Raketen und berät Fritz Lang bei seinem Film "Frau im Mond". In Berlin wird der junge Wernher von Braun, der später die Mondraketen für die NASA bauen wird, sein Assistent. Immer wieder arbeitet Oberth als Lehrer, um seine Familie durchzubringen und landet schließlich 1941 in Peenemünde, wo Hitlers V2-Raketenprojekt entsteht. Nach dem Krieg entwickelt Oberth erst für die italienische Marine Raketen und forscht dann in den USA am Raketenentwicklungszentrum. In seinen späten Jahren erntet der Utopist endlich den Ruhm, der ihm als junger Wissenschaftler versagt blieb. Doch distanziert er sich nie vom Nationalsozialismus und tritt 1965 sogar in die NPD ein, aus der 1967 freilich wieder austritt.

"Ich für mich habe gemerkt, dass Hermann Oberth eine Figur voller Widersprüche ist. Er ist auf der einen Seite jemand, der von der Zukunft träumt, von der Erfüllung seiner Utopie. Und auf der anderen Seite ist er jemand, der ganz verhaftet ist in seiner nationalsozialistischen Gegenwart. In diesen Widerspruch hineinzugehen war die größte Herausforderung. Er ist mir natürlich als Wissenschaftler nicht fremd und in manchen Dingen erkenne ich mich selbst in ihm wieder. Aber diesen Widerspruch kann man, glaube ich, nicht auflösen. Aber man kann ihn nur zeigen und davon erzählen. Ich glaube, darüber kann man viel lernen. Und das ging mir beim Schreiben auch so, dass ich viel gelernt habe."

Autor Daniel Mellem im Interview

"Dickköpfiger, humorloser und visionärer Wissenschaftler"

Der promovierte Physiker und Schriftsteller Daniel Mellem schildert den Weltraumpionier Hermann Oberth in seinem Roman "Die Erfindung des Countdowns" als dickköpfigen, humorlosen und visionären Wissenschaftler, der fest an seine Utopie der Weltraumfahrt glaubt. Erzählt wird dieses Leben aus der Perspektive des Protagonisten als Countdown in elf Kapiteln. Der chronologische Bogen reicht von der ersten Idee einer Weltraumrakete als Kind bis zur Verwirklichung dieser Utopie beim Start der Mondrakete 1969 in Cape Canaveral, wo Oberth als Ehrengast auf der Zuschauertribüne sitzt.

"Der Roman ist im Großen faktisch und im Kleinen fiktional. Das heißt, die Meilensteine, die die Figur Hermann im Roman entlanggeht, die ist auch der historische Hermann Oberth so oder so ähnlich gegangen. Aber das, was im Einzelnen passiert, also die Wahrnehmung dieser Welt durch die Figur, die vielen kleinen Episoden, die Dialoge, die Begegnungen, das alles bildet zusammen eine fiktionale Wirklichkeit, die nicht identisch ist mit der historischen Wirklichkeit und die die Erzählung überhaupt erst entstehen lässt."

Autor Daniel Mellem im Interview

Info & Bewertung

Wertung: 4 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Daniel Mellem: Die Erfindung des Countdowns, Roman, München 2020, dtv Verlag, 288 Seiten, 23,00 Euro, ISBN 978-3-423-28238-3

Mit "Die Entdeckung des Countdowns" ist Daniel Mellem ein gut lesbares Buch gelungen, das mit feinem Humor und großer Anschaulichkeit das Leben und Wirken des Raumfahrtpioniers aus Franken darstellt und auch die Verwerfungen und Brüche ausleuchtet.

Hier werden Naturwissenschaft und Geschichte anhand eines Erfinders erlebbar gemacht. Ein Roman, der unbedingt verfilmt werden sollte.


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