Meinung Warum Cultural Appropriation uns alle angeht

Warum verletzt es People of Color, wenn weiße Menschen sich dunkel schminken oder Dreadlocks tragen? Unser weißer Autor Robin befragt seinen schwarzen Kollegen Malcolm, wieso wir kulturelle Aneignung ernst nehmen sollten.

Author: Robin Köhler, Malcolm Ohanwe

Published at: 6-11-2019 | Archiv

Kulturelle Aneignung | Bild: BR

"Die besagte Debatte ist ja mal komplett unnötig", "Sowas Lächerliches habe ich selten gehört" und "Irgendwann ist auch mal gut". Diese Kommentare finden sich häufig, wenn kulturelle Aneignung von Künstler*innen wie bei Apache 207 oder Shirin David thematisiert werden. Cultural Appropriation heißt, dass sich Menschen der dominanten Gesellschaftsgruppen aus Mode, Slang-Wörtern oder sonstigen kulturellen Elementen einer Minderheitskultur bedienen, weil sie es einfach cool finden oder damit sogar Geld zu verdienen.

Aber wann ist eine Inspiration ein respektvolles Zitat und wann unangebrachte Aneignung? Worauf sollte man achten und wieso sollten sich besonders weiße Menschen darüber Gedanken machen? Wir lassen unseren weißen Autoren Robin mit seinem schwarzen Kollegen Malcolm über Privilegien und Ignoranz sprechen.

Robin: Viele Kunstschaffende zitieren andere Künstler*innen. Warum sehen das People of Color bei der weißen Rapperin Shirin David besonders kritisch und sprechen von kultureller Aneignung?

Malcolm: Man muss den Kontext betrachten. Shirin David bekommt zusätzliche Aufmerksamkeit dafür, dass sie sich die Haut dunkler gefärbt hat für ein Musikvideo und Haarflecht-Frisuren trägt. Fast jedes Mal, wenn sie plagiiert oder sich inspirieren lässt, bezieht sie sich auf schwarze Frauen. Ihre gesamte Ästhetik, ihr Style, ihre Arbeit basiert auf den Blaupausen von schwarzen Frauen. Sie zeigt sich aber anderweitig nicht solidarisch und setzt sich in keiner Form für die Menschen ein, von denen sie finanziell profitiert. Es entsteht der Eindruck, sie schmückt sich einfach damit. Und vor allem ist sie als weiß wahrgenommene Person auch zugänglicher für die Mehrheitsgesellschaft.

Kannst du das erklären? Inwiefern hilft mir meine weiße Hautfarbe, zum Beispiel in der Musikbranche?

Weil du weiß bist, können sich in Deutschland automatisch mehr Leute mit dir identifizieren. Dadurch bekommst du automatisch mehr Plattformen. Und wenn du jetzt Musik machst, die Schwarze kreiert haben und immer noch kreieren, dann könnte das dazu beitragen, dass schwarze Leute weniger Raum haben und vielleicht einen Gig nicht bekommen.

Das ist kein neues Konzept. Wenn du auf iTunes "Jazz" eingibst, siehst du mehrheitlich weiße Gesichter. Ein Genre, das aus schwarzem Schmerz als Endprodukt der Sklaverei entstand. Oder Elvis Presley, ein weißer Musiker, der nichts weiter tat als Schwarze zu kopieren. Presley gilt weitläufig als King of Rock & Roll und die schwarzen Pioniere der Musik, wie Little Richard, an die erinnert sich kaum jemand. Das ist frustrierend für schwarze Menschen.

Aber kann man sowas weißen Menschen vorwerfen?

Du musst für dich selber wissen, ob und aus welchen Gründen du dich als weiße Person bei Kulturen bedienst, mit denen du nicht aufgewachsen bist. Aber wenn du es tust, musst du auch aushalten, wenn Betroffene sich verletzt fühlen und dich kritisch betrachten.

Viele Schwarze sind es einfach satt, immer und immer wieder aus der Not neue kulturelle Trends zu setzen, innovativ zu sein und dann wird es gestohlen und sie werden in ihren eigenen Kunstformen überflüssig und müssen wieder etwas Neues erschaffen.

Warum verletzt es manche Schwarze und People of Color, wenn Weiße sich dunkel schminken oder eine Haarflecht-Frisur tragen?

Für Menschen, wie mich zum Beispiel, ist dunkle Hautfarbe und wie man deswegen in der Welt wahrgenommen wird, eine tagtägliche Realität und kein Schmuck, den man tragen und dann wieder ablegen kann. Wenn du als weiße Person Flechtfrisuren trägst, dich dunkler schminkst, irgendwelche Slang-Wörter benutzt oder dir die Lippen aufspritzt – das sind alles Sachen, mit denen schwarze Menschen teilweise ganz schlimme, traumatische Erfahrungen gemacht haben.

Ich hatte zum Beispiel mal Dreadlocks und wurde meine ganze Schulzeit dafür gehänselt. Ich wurde mit Affen verglichen und hieß ganz lange einfach "Palmenkopf". Da wo mein Vater herkam, für Leute meiner Herkunft, war das eine herkömmliche Frisur. Für nicht-schwarze Kinder ein ekliges Vogelnest. Das hinterlässt Spuren.

Grundsätzlich soll sich jede Person so stylen können, wie sie will, aber ich finde es einfach befremdlich, wenn Weiße sich Dreadlocks machen. Schwarze Leute werden dafür diskriminiert, werden zum Beispiel von der Polizei kontrolliert und bekommen Probleme. Und wenn man sich dessen bewusst ist, welchen Schmerz das womöglich bei Schwarzen auslöst, musst du selbst abwägen, ob dir deine Frisur wichtiger ist, als die Gefühle von Rassismus betroffener Menschen. Ich persönlich würde jetzt aber niemandem an die Gurgel springen wegen einer Frisur.

Man könnte auch sagen: Wenn ich mir Dreadlocks mache, zeige ich doch, dass ich deine Kultur cool finde. Ist es nicht toll, wenn Weiße sich für schwarze Kultur interessieren?

Also grundsätzlich ist die Absicht bei solchen Dingen erstmal völlig egal. Es geht hier um die Wirkung oder was du damit auslöst. Wir finden auch kleine Babys süß, aber die könnten es wiederum bescheuert finden, wenn wir ihnen ständig in die Wangen kneifen. Insofern sollte man sich eher überlegen: Was macht mein Verhalten mit den Leuten, deren Kultur ich toll finde und nicht, was beabsichtige ich damit?

Gibt es keine Möglichkeiten, wie ich als weiße Person schwarze Kultur feiern kann, ohne gleich kulturelle Aneignung zu betreiben?

Ich finde es bezeichnend, wie schwierig es für viele weiße Menschen ist, manche Grenzen zu akzeptieren. Es gibt natürlich kein Verbot für weiße Personen, sich irgendwas von schwarzen Kulturen anzueignen. Das Perfide ist, dass sehr viele Weiße ohnehin in den Himmel gelobt werden, wenn sie Dinge machen, die ihrer Kultur fremd sind und die auch nur mittelmäßig umsetzen. Ein gutes Beispiel ist meiner Meinung nach Adele. Eine mittelmäßige weiße Soul-Sängerin, die alle Rekorde bricht und sich auch Beyoncés Grammy geschnappt hat…

Grundsätzlich aber: Wenn die Leute merken, du meinst es ernst, es ist kein Schmuck für dich und du beschäftigst dich für eine lange Zeit damit, sind Kulturen oder Gesellschaftsgruppen die vom Kolonialismus betroffen sind, oftmals sehr offen und dankbar für das Interesse. 

Heißt? Was soll ich zum Beispiel als weißer Künstler machen?

Ein interessantes Beispiel ist zum Beispiel Gentleman. Eine weiße Person, die aus Deutschland ist und jamaikanische Musik macht. Er hat nie Dreadlocks getragen, hat sich nie braun angemalt. Für ihn ist das keine Phase, das ist sein Leben und trotzdem ist für jeden ersichtlich, dass er weiß ist und ein Bewunderer. Der macht das nicht nur für ein Album. Gentleman zeigt Respekt und bietet vielen jamaikanischen Künstler*innen eine Bühne. Er setzt sich für schwarze Menschen und gegen Rassismus ein. Die Leute haben ihn als Teil der Szene akzeptiert. Und so gibt es viele weiße Musiker*innen, die in schwarzen Musikgenres als unproblematisch gelten.

Und nochmal zu Shirin David: Wenn sie das alles so geil findet, hätte sie zum Beispiel auch schwarze Rapperinnen in ihrem Album featuren oder sich mit Rassismus beschäftigen können. Dazu gehört dann auch zu markieren, dass man eben nicht schwarz ist. Du musst dich auch nicht schwarz anmalen oder anders stylen. Du kannst dich einfach als Freund*in zeigen und als Bewunder*in dieser Kultur.

Trotzdem bleibt das ein schwieriges Thema: Ich bin weiß und mag schwarze Kultur, will dich aber nicht verletzen. Wo zieht man die Grenze? Was ist okay und was nicht?

Es hilft, wenn du dir einfach über die Entstehung und die Herkunft von den Dingen bewusst bist, mit denen du dich schmückst. Ein absolutes No-Go sind für mich kulturelle Elemente, die mit Gewalt oder Diskriminierung in irgendeiner Form verbunden sind. Ein gutes Beispiel ist der Davidstern, mit dem Jüdinnen und Juden vor deren Ermordung markiert wurden. Du musst dir bewusst sein, was du triggerst, wenn du sowas als Nicht-Jude trägst, dich dann entscheiden und auch die Konsequenzen tragen. Es gibt aber keine glasklare Richtlinie oder konkrete Grenze, das wird dem Sachverhalt nicht gerecht.

Wäre es nicht besser, wenn die Hautfarbe gar kein Thema wäre?

Natürlich ist der Wunsch, dass Herkunft, Hautfarbe und Rassismus nicht existieren und wir alle gleich sind. Aber dazu müssten wir erstmal in eine Situation kommen, in der alle Menschen gleichberechtigt sind und nicht mit unterschiedlichen Stigmata zu kämpfen haben. Weiße Menschen sollten sich mehr dafür einsetzen und nicht entscheiden, wann Hautfarbe eine Rolle spielen darf und wann nicht.

Warum findest du es wichtig, die Hautfarbe bei kultureller Aneignung zu thematisieren?

Es ist wichtig, dass weißen Menschen, wie dir, der Spiegel vorgehalten wird, damit sie lernen, dass sie weiß sind. People of Color wissen ihr ganzes Leben lang, dass sie schwarz bzw. nicht weiß sind. Aber wenn man immer der Standard ist, weiß man nicht, welche Vorteile und auch Ignoranz das mit sich bringt. Weiße müssen lernen, sich ihrer Hautfarbe bewusst zu werden, wenn sie empathischer sein wollen.

Was empfiehlst du mir als weißer Person?

Sehr wichtig ist Zuhören. Wenn du selber nicht dieser gesellschaftlichen Gruppe angehörst, die du kulturell spannend findest, dann höre diesen Leuten zu. Wenn du keinen Menschen in deinem Umfeld findest, dann gibt es auf Youtube und Instagram ganz viel Content. Check mal deine Social Media-Profile und analysiere, wem du folgst. Wenn zehn von zehn Leuten weiß sind, und du wirklich ein besseres Verständnis für race relations willst, dann solltest du vielleicht in deiner Timeline ein bisschen aussortieren. Außerdem gibt es wirklich sehr viele Bücher von Betroffenen, die du lesen kannst.

Dafür sind viele weiße Menschen wahrscheinlich zu bequem, weil es uns eben nicht direkt betrifft.

Ich finde, man muss davon loskommen, dass der Rassist immer gleich ein Nazi ist, der schwarze Menschen gleich verprügeln will. Das ist nur die Endkonsequenz. Das Übel beginnt viel früher. Deswegen muss man auf vermeintliche Kleinigkeiten achten: Aus einer komischen Bezeichnung wird ein Vorurteil, Menschen werden entmenschlicht durch Sprache. Aus dem Vorurteil entsteht eine Hänselei und das steigert sich immer mehr, deswegen müssen wir das Ganze direkt im Keim ersticken.

Und wenn du wirklich meinst, du hättest es voll raus und bist ein super Antirassist, dann hast du ganz bestimmt einen Onkel, eine Tante oder Großmutter, die das N-Wort benutzt oder hin und wieder etwas Rassistisches sagt oder tut. Genau da kann man ansetzen.

PULS am 19.10.2019 ab 15.00 Uhr.