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Social Media und Scripted Reality Warum Facebook schlimmer ist als Frauentausch

Alle paar Wochen passiert‘s auf Facebook: Ein Screenshot einer witzigen Konversation wandert durch unsere Timeline. Aber sind die wirklich echt? Oder entsteht da eine neue Scripted-Reality-Form? Wir haben eine Expertin gefragt.

Von: Lisa Altmeier

Stand: 11.07.2016 | Archiv

Wird Social Media jetzt auch Scripted Reality? | Bild: BR

Mir ist aufgefallen, dass die Menschen auf Facebook immer lustiger werden. Sie überbieten sich geradezu an witzigen Dialogen. Einer der Höhepunkte der letzten Wochen war dieses Posting, in dem eine nicht sonderlich pfiffig wirkende Carmen sich mit zwei ebenfalls nicht gerade aufgeweckten jungen Herren über "Transformers 4", Rechtschreibung und amerikanische Schauspieler streitet:

Der Screenshot stammt von der Seite eines bis dahin unbekannten Kinobetreibers und beim Lesen kann man sich eigentlich nur denken: "Wie dämlich können Menschen eigentlich sein?" Das dachten sich wohl auch etwa 30 meiner Facebook-Freunde und teilten das Posting. Ebenso etliche Blogs und der STERN, dieser unter der Überschrift "Irres Gespräch: Das ist die vielleicht dümmste Facebook-Konversation aller Zeiten."

Aber come on - irgendwas an diesem Dialog ist doch komisch…? Das Ganze ist zu dämlich, um wahr zu sein, zu lustig, um spontan zu sein. Zwei Dinge lassen meinen Fake-Radar besonders laut läuten:

1. Der Screenshot enthält keinerlei Hinweise dazu, wo auf Facebook dieses angebliche Gespräch denn stattgefunden haben soll. Auf der Facebookseite des Kinobetreibers selbst findet man das Original jedenfalls nicht.

2. Dem Kinobetreiber-Posting zufolge wurde der Screenshot gemacht, als die Konversation "etwa eine Stunde" alt war. Allerdings ist im Screenshot kein einziger Kommentar von anderen Personen und auch kein einziges Like von jemand anderem zu sehen. Würde die "vielleicht dümmste Facebook-Konversation aller Zeiten" wirklich so lange unkommentiert bleiben? I doubt it! Zumal der Post gleich nachdem das Kino den Screenshot geteilt hatte, augenblicklich kreuz und quer durch das Internet gehypt wurde.

Scripted-Reality-Alarm!

Mich erinnert das an etwas ganz anderes. Etwas, für das meine Freunde sich normalerweise für viel zu schlau halten: Scripted Reality! Diese pseudolustigen Dialoge, diese Rezeptionsperspektive "Hahaha-wir-lachen-über-dumme-Menschen" und überhaupt dieses Ach-so-Spontan-Naive, das aus jeder Ritze dieses Dialogs quillt. Das alles kenne ich doch von "Frauentausch", "Mitten im Leben" und anderen Qualitätsformaten im deutschen Fernsehen.

Ich will wissen, was die Kinobetreiber zu meiner Theorie  sagen und schreibe ihnen eine Nachricht. Ich möchte von ihnen wissen, wo sie den Dialog gefunden haben. Keine Antwort. Währenddessen bemerkte ich, dass ich den Sreenshot auch gar nicht mehr aufrufen kann, offensichtlich wurde er gelöscht. Auch auf die Frage dazu erhalte ich keine Antwort. Ich entdecke aber im Netz eine ältere Spur zum selben Screenshot.

Ich zeige den Dialog einer Expertin für Scripted Reality. Julia Flüs hat ihre Masterarbeit in Kommunikationswissenschaften zu dem Thema geschrieben. Sie kennt den Dialog schon: "Meiner Meinung nach ist das Scripted Reality und zwar eher einer der besser gescripteten Dialoge, weil man sich erst mal denkt: Mann wie blöd sind die denn? Erst auf den zweiten Blick kann man auf die Idee kommen, dass da etwas nicht stimmt."

Im Fernsehen glauben wir nichts mehr, im Netz aber schon

Chat von gestern Nacht | Bild: Screenshot: Chat von gestern Nacht

Aus "SMS von gestern Nacht" ist mittlerweile "Chat von gestern Nacht" geworden. Lustiger ist's deswegen auch nicht wirklich.

Julia Flüs sagt, im Fernsehen sei der Effekt, dass man erst mal alles glaubt, inzwischen verloren gegangen. Und auch wenn wir heute denken, dass ja wohl kein Mensch wirklich glaubt, dass die schlecht gespielten Nachmittagsdokus echt sind: In der Anfangsphase der Scripted-Reality-Formate sind die meisten Menschen darauf hereingefallen. Eine der ersten gescripteten Dokus war "Die Abschlussklasse", angeblich eine Münchner Abiturklasse, in der alle permanent Sex hatten, Drogen nahmen und sich dabei auch noch gegenseitig heimlich mit Kameras filmten. Das Ganze lief auf ProSieben und am Anfang wussten viele Menschen nicht, ob Spike, David, Thereza und die anderen viel zu gut aussehenden Schüler echte Personen oder einfach nur Schauspieler waren. Diese Phase der Verwirrung ist bei TV-Formaten lange vorbei, vielleicht auch, weil die Laiendarsteller mit der Zeit immer schlechter wurden.

Im Netz aber geht das Zeitalter der Scripted Reality gerade erst richtig los. Angefangen hat es bei Seiten wie "SMS von gestern Nacht" und gescripteten Youtube-Formaten, weiter geht es mit Formaten wie dem "Kundendienst" auf Facebook und inzwischen kann man sich nicht einmal mehr darauf verlassen, dass die von den eigenen Freunden geteilten Dialoge echt sind. Dabei halten meine Freunde sich doch immer für so netzgebildet und clever, RTL gucken sie angeblich auch nie und erst recht fallen sie niemals nie auf gefakte Dokuserien rein. Wie kommt es dann, dass sie trotzdem so eifrig vermutlich gefakte Dialoge verbreiten? Julia Flüs sagt: "Bessergebildete gucken genauso Scripted Reality wie andere Menschen auch. Die Hauptmotivation ist, dass Leute sich einfach mal entspannen und berieseln lassen wollen. Beim Konsum muss man nicht nachdenken und das ist für viele Menschen angenehm, unabhängig von ihrem Bildungsgrad."

Einfach zu naiv

Ok. Das heißt: Wir alle finden es geil, berieselt zu werden und einfach mal laut loszugröhlen. Wir fühlen uns ein Stück schlauer, wenn wir uns mit den vermeintlich Dümmeren vergleichen. Oder wir erkennen unsere eigene Verpeiltheit in den Dialogen der anderen wieder. Die naive Person ist also in Wahrheit nicht Carmen aus dem Transformers-Dialog, sondern wir selbst. Unsere Generation denkt oft, sie sei zu schlau fürs Fernsehen. Dabei sind wir einfach nur zu leichtgläubig fürs Internet.


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