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Erfahrungsbericht Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Schnellimbiss

Keiner weiß wirklich Bescheid, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht. Das Thema ist nach wie vor Tabu und was man auf Google findet, ist ein Witz. Unsere Autorin war deswegen einen Tag lang in einer Abtreibungs-Klinik.

Von: Linda Becker

Stand: 10.03.2017 | Archiv

Schwangerschaftsabbruch | Bild: BR

Ich bin nervös bevor ich zu meinem Termin fahre. Wieso, es geht ja nicht um dich - stellt ein Kollege treffend fest. Nein, es geht tatsächlich nicht um mich, irgendwie habe ich aber das Gefühl, es geht um mehr. Um alle Frauen.

Ich wundere mich, wie befangen ich selbst bin

In Deutschland kann man seine Schwangerschaft abbrechen, wenn seit der letzten Periode nicht mehr als 14 Wochen vergangen sind. Außerdem muss man sich zuvor von pro familia, dem Gesundheitsamt oder einer anderen Stelle beraten lassen. Nach drei Tagen Bedenkzeit kann man dann einen, für den Eingriff zugelassenen, Arzt aufsuchen. Allerdings - das weiß ich von pro familia - gibt es in Bayern nicht genug Anlaufstellen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Und: Immer weniger Ärzte wollen eine Zulassung. Viele Patientinnen müssen für den Eingriff nach München kommen, denn selbst in Ballungszentren wie Regensburg und Augsburg gibt es kein gutes Netz an dafür zugelassenen Ärzten.

Ich will mir nicht anmaßen so zu tun, als wüsste ich, wie es jemandem geht, der wirklich auf dem Weg ist, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Aber ich versuche mich so gut es geht reinzufühlen. Wie ist es wohl, mehrere Stunden zu so einem Termin zu fahren? Oder gar in ein anderes Land reisen zu müssen? Ich habe Herzklopfen und frage mich: Wie es da wohl aussieht? Ist der Arzt sympathisch? Ob der Eingriff weh tut und man viel blutet? Ich erwische mich bei dem Gedanken, hoffentlich niemanden nach dem Weg fragen zu müssen, sonst wissen ja direkt alle, wohin ich will. Krass, wie befangen ich selbst bin.

Kein Geschrei, niemand weint, keine Trauerwolke hängt über den Räumen.

In der Klinik angekommen, wirkt alles sehr vertraut. Wie beim Zahnarzt. Clean, kein Schnickschnack, die Assistentinnen sind freundlich aber zurückhaltend. Der Arzt stellt sich vor, auch freundlich - wie ein Arzt eben. Kein Geschrei, niemand weint, keine Trauerwolke hängt über den Räumen. Natürlich nicht...bin ich eigentlich dämlich? Woher kommt denn bitte dieser blöde Gedanke, ich wäre geradewegs in die Vorhölle eingetreten? Ich weiß einfach nichts davon, ich hatte nie einen Schwangerschaftsabbruch, kenne niemanden, der einen hatte und bei der Recherche stößt man zunächst auf verstörende Internetseiten von sogenannten "Lebensschützern", die mit dem Recht auf Leben für Jeden argumentieren und Frauen auf dem Weg in die Klinik aufhalten. Sonst findet man nicht viel.

Erst nimmt man die Tablette, später wird der Embryo abgesaugt

Als erstes darf ich bei einem Vorgespräch dabei sein. Ich sitze neben dem Arzt und höre zu, wie das Mädchen über die Vorgehensweise des möglichen Abbruchs aufgeklärt wird - eine Kombination aus Tablette und Absaugen. Wenn sich das Mädchen definitiv für den Abbruch entscheidet, nimmt sie die Tablette ein, etwa drei Tage später muss sie dann für den operativen Eingriff zurück in die Klinik kommen. Dort wird ihr dann die Gebärmutter ausgesaugt.

Das Mädchen ist Mitte 20, hatte einen One-Night-Stand und ist gerade in der Ausbildung. Schlechte Voraussetzungen. Weder ihre Eltern noch der potenzielle Vater wissen vom Termin in der Klinik. Wieso nicht? Weil ihre Entscheidung sofort feststand und sie nicht wollte, dass jemand versucht, ihr das auszureden. Sie will selbst entscheiden. Das Vorgespräch ist zu Ende. In fünf Tagen hat sie einen Operationstermin, bis dahin soll sie sich eine Pro-und-Contra Liste aufschreiben - und wenn sie die Pille, die den Abbruch einleitet, dann doch nicht nehmen will, dann muss sie die Tablette wieder mitbringen. Das würde ihn freuen, sagt der Arzt.

Ich frage mich, ob er das sagen muss. Von Rechtswegen. Das Bewerben von Schwangerschaftsabbrüchen ist immer noch strafbar. Oder sagt er das, weil er schon so viele Schwangerschaften verhindert hat und sensibilisieren will, für einen weniger leichtfertigen Umgang mit einem Schwangerschaftsabbruch? Eine von zehn Frauen bringt die Tablette beim zweiten Besuch wieder mit und entscheidet sich für eine Schwangerschaft. Allerdings gibt es auch Frauen, die zwei bis drei Mal im Jahr für einen Abbruch kommen, sagt der Arzt.

Als das Paar das Ultraschallbild sieht, werden sie unsicher

Zweites Gespräch. Das Mädchen ist mit ihrem Freund gekommen, beide Ende 20. Bestes Alter - zumindest fruchtbarkeitstechnisch. Sie sind erst kurz zusammen. Ich habe das Gefühl, sie wollen das Ganze einfach bloß abhaken, als wollten sie ein altes Auto verscherbeln. Puh, einen Termin finden... ja, also am besten früh, und dann bitte auch nicht so lange, sagt die Frau. Und man muss dann echt abgeholt werden? Ja, wenn' s denn sein muss, dann müsse er halt echt nen Umweg fahren, sagt der Typ. What the fuck, denke ich.

Als das Ultraschallbild gemacht wird und man etwas kleines Erbsenartiges auf dem Monitor erkennt, gucken sich beide kurz an. Weniger busy, weniger abgeklärt und er hat sogar kurz feuchte Augen. Beide scheinen kein Kind zusammen zu wollen, aber kurz schießt ihnen die Möglichkeit durch den Kopf, wie es wäre wenn.

Blut und Gewebe sammelt sich in einem Behälter.

Nun werde ich sehen, wie ein Abbruch abläuft. Ich bin nervös. Das Mädchen ist 16, die Freundin wartet draußen. Sie liegt auf einer Art gynäkologischem Stuhl, die Narkoseärztin spricht mit ihr, kurz darauf schläft sie ein. Dann werden ihre Beine festgeschnallt, darauf wird mit einem langen Stab die Gebärmutter ausgesaugt. Blut und Gewebe sammelt sich in einem Behälter.

Man erkennt nichts, es sieht aus wie ein Haufen Schleim. Keine Beine, keine Arme, nichts Gruseliges. Das Mädchen kommt in einen Aufwachraum und darf nach der Kontrolluntersuchung nach Hause.

Früher gab es nur eine lokale Betäubung und die Frau habe viel mehr mitbekommen, sagt der Arzt. Das sei für die Ärzte natürlich anstrengender gewesen, weil sie ihr dann gut zureden hätten müssen. Wenn man alles ungefiltert mitbekommt, kann das belastender sein. Allerdings beeinträchtigt ein Abbruch nicht die Fruchtbarkeit der Frau – sie kann wieder schwanger werden. Sogar ziemlich nahtlos.

Auch ungeborenes Leben ist schützenswert sagen die "Lebensschützer"

Als ich die Klinik am Nachmittag verlasse, treffe ich die "Lebensschützer". Sie sagen nichts, haben nur ihre Plakate aufgestellt und trinken Tee. Auf den Plakaten steht: So sieht euer Kind sechs Monate vor der Geburt aus. Darauf ist ein voll ausgebildeter Fötus zu sehen. Die "Lebenschützer" argumentieren mit dem Recht auf Leben – auch ungeborenes Leben ist für sie schützenswert. Das geht natürlich konform mit dem Grundgesetz, ist aber bei ihnen eher religiös motiviert.

Am Bahnsteig sehe ich das 16-jährige Mädchen wieder, das vor einigen Stunden noch im OP lag und von ihrer Freundin abgeholt wurde. Im Vorgespräch hatte sie gesagt, dass sie ihren Eltern wegen der 3-tägigen Krankschreibung (die jeder ohne Angabe des tatsächlichen Krankheitsgrundes nach dem Eingriff bekommt) vorlüge, sie habe Grippe und müsse deshalb zu Hause "abhängen". Jetzt steht sie mit ihrer Freundin da, tippt auf dem Handy und spricht über kommendes Wochenende. Das finde ich seltsam… und denke, dass es wahrscheinlich besser ist, wenn 16-jährige keine Kinder bekommen. Weil: zu unreif. Noch besser wäre es wohl, wenn sie erst gar nicht schwanger würden.

Wenn Frauen kein Kind möchten, dann sollte das Grund genug sein, kein Kind austragen zu müssen.

Nach dem Tag in der Klinik bin ich überrascht, wie wenig grausam alles war. Mein Eindruck, dass es sehr wichtig und richtig ist, dass Frauen eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen können, hat sich verstärkt. Und mein Eindruck, dass Schwangerschaftsabbrüche extrem stigmatisiert sind – auch unter Ärzten – ebenfalls. Die Narkoseärztin sagt mir, dass niemand ihrer Kollegen diesen Job machen will. Schwangerschaftsabbrüche werden immer noch als ethisch fragwürdig betrachtet, niemand weiß so richtig Bescheid, wie das Ganze eigentlich abläuft und was man sich darüber zusammengoogeln kann, ist nicht ausreichend. Kein Wunder also, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch immer noch ein absolutes Tabu ist.

Klar, die Würde des Menschen ist unantastbar. Daran will ich niemals rütteln. Allerdings sollte auch die Entscheidung über den eigenen Körper unantastbar sein – das geht Hand in Hand mit Würde. Wenn Frauen – aus den verschiedensten Gründen – kein Kind möchten, dann sollte das Grund genug sein, kein Kind austragen zu müssen.

Allerdings habe ich auch das mitgenommen: Schwangerschaftsabbrüche sind keine Besuche beim Schnellimbiss. Jungen Menschen muss beigebracht werden, dass Sex eben auch Verantwortung mit sich bringt. Dass Mädchen schwanger werden können und Jungs sie schwanger machen können und dass dann beide mit dem Resultat leben müssen. Die Verantwortung haben beide, beide müssen mit der Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft klar kommen. Das ist für Männer oft genauso schwer. Sie sitzen aber am kürzeren Hebel. "Gleichberechtigung hat ihre Grenzen." – diesen Satz merke ich mir, er stammt von der Mitarbeiterin einer Schwangerenberatungsstelle und ich finde ihn in diesem Fall sehr treffend.