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Das Thema Von der Niederlage ins Exil

Stand: 25.04.2012 | Archiv

Vorerst jedoch ist die Niederlage Judas vollkommen. Die Babylonier haben nicht nur den Tempel und die Mauern Jerusalems eingerissen. Sie haben auch die religiösen Gewissheiten bis in die Grundfesten erschüttert.

Mose - Überleben im Exil

Im Denken der Zeit ist der Sieg des babylonischen Heeres letztlich ein Sieg der babylonischen Götter, die sich als stärker, mächtiger erwiesen hatten. Das Debakel des babylonischen Exils reißt daher eine Reihe folgenschwere Fragen auf:

  • Ist der Sieg Babylons ein Beweis der Ohnmacht Jahwes?
  • Wie ist die Katastrophe theologisch zu erklären?
  • Gibt es Hoffnung und woher kann sie kommen im Angesicht des Untergangs?

Das Vergangene deutet die Gegenwart

Hat Jahwe versagt und sein Versprechen gebrochen? Die Priester der Verbannung finden eine andere Erklärung: Das Exil ist die Strafe für den Ungehorsam Israels, das fremden Göttern huldigte und die Gesetze missachtete. Jahwe hat seinen Zorn ausgegossen und das abtrünnige Volk gezüchtigt, damit es seine Schuld und die Allmacht seines Gottes erkenne.

Zum Medium dieser rettenden Geschichtsdeutung wird die abermals stark ausgeweitete und aus der Exilperspektive neu konzipierte Exoduserzählung. Schriftgelehrte Priester bauen Mose und die Wüstenwanderung zum Erklärungsmodell für das Geschehen der Gegenwart aus.

Das Exil als Züchtigung

Eine Tafel mit den Zehn Geboten

Bezugspunkte für die geschichtliche Analogie finden sich zuhauf: Obwohl sich Gott als mächtiger Befreier seines Volkes zeigt, die Feinde Israels vernichtet und seine schützende Hand nicht abzieht, murrt das Volk in der Wüste unentwegt. Als Mose den Gottesberg besteigt und das Gesetz auf zwei steinernen Tafeln entgegen nimmt, frevelt das Volk ab und betet ein Götzenbild an. Das verheißene Land schon in Sicht, verhöhnen sie die Rettungstat Jahwes und sehnen sich zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens. Zur Strafe verlängert Gott den Aufenthalt in der Wüste. Vierzig Jahre muss das murrende und ungehorsame Volk ausharren, bis die Schuld abgetragen ist. Dann aber erfüllt sich die Verheißung, Gott erweist sich treu und führt sein Volk wie versprochen nach Kanaan.

Die zweite Chance

Für den literarischen Mose bedeutet diese Auslegung einen großen Karrieresprung. Mit einer großen Abschiedsrede, die ihm die priesterlichen Schreiber des 7. Jahrhunderts in den Mund legen, steigt er zum Lehrer seines Volkes und zum Stifter einer ebenso mahnenden wie tröstlichen Geschichtsdeutung auf. Noch am Tag seines Todes legt Mose das am Gottesberg empfangene Gesetz ein zweites Mal aus. Dieses zweite Gesetzgebung im 5. Buch Mose (Deuteronomium von griech. deutoros = zweites und nomos = Gesetz) geht weit über den Dekalog im Exodusbuch hinaus und ist durch die besondere Situation der Diaspora geprägt.


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