Bayern 2 - radioWissen


5

Das Thema Die Geschichte Mose - Ein Werk aus vielen Federn

Stand: 25.04.2012 | Archiv

Am Beginn der Mose-Dekonstruktion, die gegen Ende des 17. Jahrhunderts einsetzt und bis heute anhält, steht eine fundamentale Erkenntnis: Die Bücher des Alten Testaments sind nicht aus einem Guss und kein authentisches Offenbarungsdokument, sondern ein historisch gewachsenes, literarisches Erzeugnis von Menschenhand. Sie entstanden in einem langwierigen, mehrstufigen und äußerst verästelten Kompositionsprozess, der um 1000 vor Christus anfängt und erst rund 600 Jahre später abgeschlossen ist. Die Einzelheiten dieser verwickelten Redaktionsgeschichte sind ungeklärt und mehr denn je Gegenstand heftiger Forschungsdebatten.

Die Bibel - Gotteswerk aus Menschenhand

In einem Punkt allerdings herrscht über alle Lager hinweg Einigkeit: Was uns als geschlossener Block erscheint, ist das Ergebnis eines geschichtlichen Werdegangs, an dem unterschiedliche Autoren aus unterschiedlichen Zeiten mit jeweils sehr spezifischen theologischen und politischen Zielsetzungen mitwirkten.

Herangereift in 600 Jahren

Ein Kernstück des von gelehrten Priestern geschriebenen biblischen Erzählwerks bilden die fünf Bücher des Pentateuch. Der wissenschaftliche Begriff für die traditionell Mose zugeschriebenen Texte ist abgeleitet von den griechischen Wörtern penta (fünf) und teuchos (Buch, Rolle). Die seit dem 3. Jahrhundert vor Christus als Einheit aufgefasste Sammlung beginnt mit dem vorgeschalteten Schöpfungsbericht (Genesis) und erzählt in den folgenden vier Büchern Exodus, Levitikus, Numeri, und Deuteronomium die Geschichte des Mose und seiner heilsgeschichtlichen Sendung. Die frühesten Schriftquellen entstehen vermutlich zur Zeit der Könige David und Salomo, ihre endgültige Form erhalten die Bücher am Ende des 4. Jahrhunderts vor Christus.

Ein literarisches Hochgebirge wäscht

In den etwa 600 Jahren, die zwischen beiden Eckdaten klaffen, schmieden anonyme Schreiber aus mündlich und schriftlich überlieferten Bausteinen, aus verstreuten Einzelschriften, Riten, Gesetzessammlungen und Erzählelementen den Volksführer und Jahwe-Vertrauten Mose als biblische Zentralfigur. Über Jahrhunderte hinweg werden dabei zuvor isolierte oder auch konkurrierende Erzählblöcke ineinander gearbeitet, verschmolzen, harmonisiert, durch Einschübe ergänzt, verändert, umgeformt, interpretiert und neu gewichtet. "Die Mose-Erzählungen des Pentateuch zeigen, dass wir es mit einem literarischen Hochgebirge zu tun haben, in dem eine Fülle unterschiedlicher Themen und Gesetzesmaterialien abgelagert und mit der Mose-Gestalt verbunden worden sind, ja die Mose-Gestalt jetzt gerade die literarische Funktion hat, als Klammer diese Stofffülle zusammenzuhalten", bündelt der Alttestamentler Eckart Otto die Genesis des Gotteshelden.

Orientierungsanker und Identitätsgarant

Das prägende Merkmal dieser allmählichen Mose-Werdung ist der Versuch, durch die retrospektive Konstruktion einer von Gott zum Führer bestimmten Leitfigur aktuell drängende theologische und politische Fragen zu klären. Anders gesagt: Was die Priesterautoren ihren Zeitgenossen als verbindliche Botschaft übermitteln und als Rechtsordnung neu setzen wollen, legen sie der entrückten Autorität des Mose in den Mund. Ein ebenso praktisches wie probates Verfahren: Die Rückbindung an die Heilszeit Israels stattet ihre Konzepte Aussagen mit einer Aura der Unantastbarkeit aus, entzieht sie dem aktuellen Parteiengezänk und schafft durch die Berufung auf Mose eine geheiligte Legitimationsgrundlage. Der Offenbarungsmittler wird dabei, um es überspitzt zu formulieren, Zug um Zug als Orientierungsanker und Identitätsfigur für eine als krisenhaft empfundene Gegenwart erfunden und aufbereitet.

Das Ungefähre als Gestaltungsfläche

Dass Mose als historische Gestalt nicht eindeutig definiert und das historische Geschehen kaum greifbar ist, erweist sich als entscheidender Aktivposten des Ausbauprozesses. Nur so können die Verfasser seine Geschichte bedarfsgerecht umschreiben, ohne sofort mit beglaubigten Tatsachen oder verfestigten Traditionen zu kollidieren.


5