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Alles auf Anfang? Hintergrund

Stand: 25.07.2016 | Archiv

Münchens Glanz erlischt

München, die Residenzstadt der bayerischen Kurfürsten und Könige mit ihren historischen Prachtbauten, erlebt während der Regierungszeit des Prinzregenten Luitpold (1866-1912) eine kulturelle Blüte. Um die Jahrhundertwende wird der Ruf von der Schönheit Münchens in der "guten alten Zeit" begründet, dem weder der Erste Weltkrieg, noch die Revolutionswirren 1918/19 etwas anhaben können. In München startet Adolf Hitler seine politische Karriere, 1935 erhält die Stadt den Ehrentitel "Hauptstadt der Bewegung".

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Wiege der NSDAP ein beliebtes Ziel alliierter Bomber. Nach dem Zusammenbruch der deutschen Luftverteidigung Anfang 1944 kann München nahezu ungehindert angeflogen werden. Bei 73 Angriffen werden unzählige Luftminen, Brand- und Sprengbomben abgeworfen. Etwa 6.000 Menschen sterben, 82.000 Wohnungen werden zerstört, nur zwei Prozent der Gebäude bleiben unversehrt. 1945 gibt es in München keine Bahnanlagen mehr, Versorgungseinrichtungen fehlen, hunderttausende Menschen sind obdachlos.

Das Aufräumen beginnt

Am 1. Mai 1945 wird München offiziell an die Amerikaner übergeben, drei Tage später übernimmt Karl Scharnagl, den die Nationalsozialisten 1933 abgesetzt hatten, erneut das Amt des Oberbürgermeisters. "Die Not der Stunde", verkündet das spätere Gründungsmitglied der CSU, "fordert den Einsatz des letzten Mannes, der letzten Frau". Anfängliche Überlegungen, München aufzugeben und an den Ufern des Starnberger Sees neu zu errichten, werden verworfen.

Trümmerbeseitigung lautet das Gebot der Stunde, etwa fünf Millionen Kubikmeter Schutt türmen sich in der Stadt. Erste Wege werden freigeräumt, ein provisorischer Schienenverkehr kommt in Gang. Die "Bockerlbahn", ein bereits während des Krieges konzipierter Schmalspurzug, leistet wichtige Dienste beim Abtransport von Geröll. Aufrufe zum freiwilligen Räumen gehen an Vereine, Behörden und sogar an Schulen. Zunächst kommen jedoch deutsche Kriegsgefangene und ehemalige NSDAP-Mitglieder zum Einsatz, die nur Lebensmittelmarken erhalten, wenn sie Aufräumarbeit leisten. Ab 1948 übernehmen Baufirmen den Abtransport des Schutts.

Trotzdem möchte der neue Oberbürgermeister Thomas Wimmer (SPD) die Münchner aufrütteln und unterstützt 1949 die Aktion "Rama dama". Etwa 7.000 Freiwillige (von 700.000 Einwohnern) greifen am 29. Oktober zum Spaten. Ihre Leistung - Beseitigung von etwa 15.000 Kubikmetern Schutt - ist überschaubar, doch aus psychohygienischer Sicht ist "Rama dama" hilfreich für die Stadt.

Stadtplanung im Nachkriegsmünchen - Vorrang für die Tradition

Nach Kriegsende entbrennen hitzige Diskussionen über den Wiederaufbau zerstörter Orte. Modernisierer fordern die Spuren einer "fragwürdigen" Geschichte zu beseitigen, funktionale Neubauten zu errichten und die Städte "autogerecht" zu gestalten. "Um innere Trümmer beiseite zu räumen, braucht man neue Gehäuse", sagt Otto Bartning, ein Architekt aus dem Dunstkreis des Weimarer Bauhauses, und erntet viel Zustimmung.

In München empfiehlt Stadtbaurat Karl Meitinger noch im August 1945 den traditionell-schonenden Wiederaufbau. Radikalarchitektur ist für ihn Geschichtsvergessenheit, schließlich haben sich Städte über Jahrhunderte entwickelt. Das alte München-Bild soll wieder erkennbar werden. Meitingers Augenmerk liegt vor allem auf der Innenstadt. "Wir müssen unter allen Umständen trachten, die Erscheinungsform und das Bild der Altstadt zu retten", heißt es in seiner Schrift "Das neue München" (1946), "und müssen alles erhalten, was vom Guten und Wertvollen noch vorhanden ist. Wo im Einzelnen von den baukünstlerisch wichtigen Bauten noch so große Reste stehen, dass das Ganze rekonstruiert werden kann, soll das alte Bild wieder entstehen; wo nichts mehr vorhanden ist, soll nach modernen Gesichtspunkten, aber im Sinn der Altstadt, neu und frei gestaltet werden." Mit anderen Worten: München muss seinen Charakter behalten, darf sich aber Neuem nicht verschließen.

Meitinger beendet seine Studie mit dem Appell: "Der Wiederaufbau muss unter allen Umständen von uns, der lebenden Generation, in Angriff genommen werden, in der noch die Erinnerung an das alte München lebendig ist, sonst wird das Besondere der Stadt für alle Zeiten dahin sein. Wir müssen versuchen, möglichst viel vom Geiste und dem Gefüge in die neue Zeit hinüberzuretten".

Die Rückkehr des vertrauten Bildes

Oberbürgermeister Karl Scharnagl und sein Nachfolger Thomas Wimmer freunden sich mit den Ideen Meitingers an. Als Währungsreform und Marshallplan in Westdeutschland Wirkung zeigen und der Bundesrepublik der Übergang zum "selbst tragenden Wachstum" gelingt, gibt es auch in München kein Halten mehr: Binnen weniger Jahre - bis zum 800. Stadtgeburtstag 1958 - gelingt der Aufstieg aus Ruinen. Angesichts der hektischen Bauaktivitäten frotzelt der Schriftsteller und Journalist Siegfried Sommer, der für die Abendzeitung viele Jahre als "Blasius, der Spaziergänger" schreibt, München sei nun die "Hauptstadt der Erdbewegungen".

Innerhalb des Altstadtringes dominiert das traditionelle München: Monumentalbauten werden rekonstruiert und zu den Straßenseiten hin errichtet man die Häuser erkennbar münchnerisch (Fassadenarchitektur). Selbst der Großinvestor Siemens muss klein beigeben: Dem Konzern wird der Bau eines Hochhauses in der Innenstadt verweigert. Erst außerhalb des Altstadtrings darf sich die Großstadt entfalten und auch der Autoverkehr wird beim Bau von Ringstraßen berücksichtigt.


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