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Das Thema Sisi im Fitness- und Jugendwahn

Stand: 19.06.2012 | Archiv

In den 1860er und 70er Jahren verfällt Elisabeth einem Schlankheits- und Fitnesswahn und vernachlässigt mehr und mehr ihre kaiserlichen Pflichten. Bei einer Größe von 1,72 Metern wiegt sie knapp 50 Kilogramm und ist zeitlebens eisern bestrebt, ihre Figur zu erhalten.

Sisi als Sportlerin

Sie lässt sich Fitnessräume mit Turngeräten bauen, wandert und betreibt Fechtsport. Sie gilt als Erfinderin des heute beliebten "Walkens" - stundenlang läuft sie durch die Landschaft. Bei Schiffsreisen lässt sie sich an Deck festbinden, um Wind und Wetter zu genießen.

Eine ihre größten Leidenschaften ist das Reiten. Sie trainiert viel, gibt Unsummen für Spring- und Jagdpferde aus und macht sich europaweit einen Namen als Parforcereiterin. Dieser Sport ist mit dem heutigen Vielseitigkeits- bzw. Militaryreiten vergleichbar; dazu gehören Geländeritte und das Springen über Hecken, Hindernisse und Wassergräben. Als "Königin hinter der Meute" reitet Sisi aufwendige Jagden in England, Frankreich und Irland. Gerüchte über eine Liebesbeziehung zu einem schottischen Offizier und Ausnahmereiter machen die Runde. Die Zirkusreiterin Elise Renz wird eine enge Vertraute der Kaiserin. Anlässlich der Silberhochzeit im Jahr 1879 spottet man in Wiener Adelskreisen: "Anderswo feiert man Menage, am Hof Manege".

"Die schönste Frau Europas"

Schönheit spielt für Elisabeth eine wichtige Rolle, sie betrachtet sich als Kunstwerk und "betet ihre Schönheit an", wie eine Nichte später berichtet. Sie sieht sich als Konkurrentin der Kaiserin Eugénie von Frankreich (1826-1920), der Ehefrau Napoléons III. (1808-73), die im Ruf steht, eine außergewöhnlich attraktive Monarchin zu sein. Sisi tut viel für ihr Äußeres. Sie hungert und schläft auf harten Rosshaarmatratzen. Aus Angst vor einem Doppelkinn verzichtet sie aufs Kopfkissen. Das lange Haar lässt sie stundenlang kämmen und zu einem Haarkranz auftürmen. Allerlei Cremes und Gesichtsmasken kommen zum Einsatz, sie badet in heißem Öl und entspannt ihr Gesicht durch das Auflegen von rohem Fleisch. Sie lächelt ohne die Lippen zu öffnen, weil sie ihre -vermutlich von Karies befallenen Zähne- nicht für ausreichend schön hält.

Früh beginnt ihre Inszenierung zur "schönsten Frau Europas" und geschickt bastelt sie am Bild für die Nachwelt. Sie will das Weiblichkeitsideal ihrer Zeit sein, Bilder entstehen nach ihren präzisen Vorgaben. Und wenn es sein muss, wird von Malern und Fotografen montiert, retuschiert und manipuliert.

Keine Fotos, keine Bilder - die Angst vor dem Alter

Ab dem 32. Lebensjahr lässt sich Elisabeth nicht mehr malen, es werden keine Aufnahmen gemacht. Sie will nicht, dass die Öffentlichkeit vom Alterungsprozess erfährt. Der Kampf gegen den Verfall nimmt bizarre Züge an. Mit Fächer und Schirm verdeckt sie ihr Gesicht. Beim Essen sitzt sie mit dem Rücken zum Fenster - damit niemand ihre Falten sieht. Öffentliche Auftritte werden immer weniger. Und tatsächlich gelingt ihr der große Coup der Selbststilisierung: Denkt man heute an Sisi, denkt man nicht an eine alternde Frau mit ledriger Haut, sondern an eine jugendlich-strahlende Schönheit.

Nach dem Vorbild Elisabeths verhalten sich später die berühmten Schauspielerinnen Greta Garbo (1905-90) und Marlene Dietrich (1901-92), die ebenfalls als Schönheitsidole gelten. Aus Angst vor den Blicken der Mitmenschen lehnt Garbo ab den 50er Jahren Top-Filmangebote ab, Marlene Dietrich gestattet, als sie in die Jahre kommt, nur mehr Tonbandaufnahmen und zieht sich 1979 gänzlich aus der Öffentlichkeit zurück.


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