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Exotische Bretagne Mit Flaubert und Du Camp auf Reisen

Zwei Schriftstellerlegenden Frankreichs auf Grand Tour: Bevor Gustave Flaubert und Maxime Du Camp 1849 den Orient erkundeten, entdeckten die zwei Mittzwanziger zuerst die Exotik ihres Heimatlandes. Mit jugendlichem Trotz die "places to be" meidend, zeichnet das Duo auf ihrer Reise per Eisenbahn, Kutsche und pedes ein faszinierendes Porträt von Land und Leuten in der Touraine, der Bretagne und der Normandie - getreu ihrem Motto: "Auf geht’s! Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt"! Lesung mit Franz Pätzold und Thomas Lettow.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 29.11.2021 | Archiv

Steinige Heidelandschaft am Menez Hom, einem 330 Meter hohen Berg auf der Halbinsel Crozon in der Bretagne | Bild: picture-alliance/dpa

"Am 1. Mai 1847, morgens um halb neun, haben die beiden Monaden, deren Verbindung dazu dienen wird, die folgenden Bögen zu schwärzen, Paris mit dem Ziel verlassen, zwischen Farnkraut und Ginster oder auf den weiten Sandstränden am Meeressaum unbeschwert Atem zu schöpfen. Sie hatten keinen anderen Ehrgeiz, als nach einem von Wattewolken geflockten, klaren Himmel zu suchen oder auf der Rückseite einer weißen Klippe (...)eines jener armen kleinen Dörfer zu entdecken, wie sie noch zu finden sind, mit Holzhäusern, Wein, der die Wände hochrankt, Wäsche, die auf der Hecke trocknet, und Kühen an der Tränke."

(Gustave Flaubert, Über Felder und Strände)

Ein Jahr nach dem Tod seines Vaters und seiner geliebten Schwester entschließt sich der von Nervenanfällen heimgesuchte Gustav Flaubert (1821-1880) gemeinsam mit seinem Freund Maxime Du Camp, ebenfalls Schriftsteller sowie Journalist und Fotograf, dem Landhaus der Familie in Croisset den Rücken zu kehren und in die Bretagne aufzubrechen. 1847 steigen die "zwei vernunftbegabten Wesen" in Paris in einen Eisenbahnwagon, um mit dem "eisernen Biest" zunächst Blois an der Loire zu erreichen. Auf Pferdekutschen, auf Schiffen und zu Fuß streifen die zwei Großstadt-Literaten durch einen Landstrich, der auf sie provinziell und exotisch zugleich wirkt. Demokratisch teilen sich die Beiden die Schreibarbeit auf: Flaubert hält seine Reiseeindrücke in den ungeraden Kapiteln fest, sein Freund Du Camp übernimmt die geraden Kapitel.

Tour-Etappen in Bildern

Die Natur: herrlich, der Mensch: absurd

"Das Werk des Menschen ist immer hässlich, oft absurd, während das der Natur immer nur herrlich ist. (...) Wir teilen die Ebenen in tausend Stücke, wir leiten Flüsse um, damit sie unsere Mühlen drehen, wir roden Wälder, um dort Hafer zu säen, und wir zertrümemrn die Felsen, um unsere Straßen damit zu pflastern: immerhin ein Glück, dass der Himmel außerhalb unserer Reichweite ist."

(Maxime Du Camp)

Auf ihren Streifzügen durch Provinzstädte mit historischen Denkmälern aus verschiedensten Epochen sinnieren sie über Nationalhelden, Könige und Mätressen, Rebellen und Banditen, kommentieren historische Ereignisse, die regionale Armut und Zuchthausvorschriften, machen sich über hässliche Gegenden und widerliche Dejeuners lustig. Manchmal wirken beide Schriftsteller wie berauscht von ihrem ungebundenen Umherstreifen, das sie wieder frei atmen lässt.

"Es ist immer eine Freude, zu zweit querfeldein zu wandern und dabei übers Gras zu laufen, über Gräber zu springen, aufs Geratewohl dahinzuspazieren, wie die Füße einen tragen, singend, pfeifend, plaudernd, träumend, ohne ein Ohr, das einen belauscht, ohne das Geräusch von Schritten hinter den eigenen, frei wie in der Wüste!"

(Gustave Flaubert)

Außer zwei Kopien, die sich die beiden Wanderer haben binden lassen, veröffentlichten Du Camp (1822-1894) und Flaubert ihren vierhändig verfassten Bericht mit dem Titel "Über Felder und Strände" in den 1850er Jahren unabhängig voneinander: Du Camp 1852/53 in der "Revue de Paris", Flaubert sechs Jahre später in "L' Artiste". Diese dreimonatige Reise sollte nicht ihre letzte gemeinsanme Expedition gewesen sein: Noch bevor sein Skandalerfolg "Madame Bovary" erschien, begleitete Gustave Flaubert seinen Freund 1849 auf dessen Orientreise entlang des Nil. Erst drei Jahre später betraten sie wieder französischen Boden und schlugen dann getrennte Wege, andere Karrieren ein. Gustave Flauberts Geburtstag jährt sich am 12. Dezember zum 200. Mal.

"Flaubert hat die grundlegende Denkarbeit für fast alle nachfolgenden erzählenden Prosaisten von Rang vorweggenommen."

(Ezra Pound)

Gustav Flaubert und Maxime Du Camp: "Über Felder und Strände"

Thomas Lettow liest Gustav Flauberts Reisebericht aus der Bretagne.


Lesung am 30. November um kurz nach
21.00 Uhr auf Bayern2 (auch als Podcast verfügbar)
Hören Sie Thomas Lettow als Gustave Flaubert sowie Franz Pätzold als Maxime Du Camp.
Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Das Buch "Über Felder und Strände. Eine Reise in die Bretagne", aus dem Französischen übertragen und mit Anmerkungen versehen von Cornelia Hasting, ist im Dörlemann Verlag erschienen.

Weiterer Buchtipp zum 200. Geburtstag von Gustave Flaubert:
»Ich schreibe gerade eine kleine Albernheit«

Ausgewählte Briefe 1832–1880
Zusammengestellt und aus dem Französischen übersetzt
von Cornelia Hasting, soeben im Dörlemann Verlag erschienen

Unsere Lesungen können Sie nachhören im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks, in der Audiothek der ARD und überall, wo es Podcasts gibt.


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