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merkur.de BR und ARD: Wie Intendantin Katja Wildermuth sich die Zukunft vorstellt

Vorwürfe der Vetternwirtschaft und der Verschwendung, reihenweise geschasste oder beurlaubte Managerinnen und Manager, von der Politik angestoßene Debatten um die Gehälter der Intendanten und die Höhe des Beitrags – momentan sorgt die ARD weniger durch innovative Programme als durch Grundsatzdiskussionen um ihre Struktur für Schlagzeilen. Über die Situation des Bayerischen Rundfunks (BR) sprachen wir mit Intendantin Katja Wildermuth (57).

Stand: 18.10.2022

Dr. Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks | Bild: BR / Markus Konvalin

Angesichts der jüngsten Skandale beim Rundfunk Berlin-Brandenburg fragt man sich, wozu es Aufsichtsgremien gibt, wenn die doch ganz offensichtlich ihre Aufgabe nicht oder nur ungenügend wahrnehmen.

Katja Wildermuth: Hier darf man nicht alles über einen Kamm scheren. Die Gremien sind zum Teil sehr unterschiedlich aufgestellt. Im Bayerischen Rundfunkgesetz steht beispielsweise, welch hohe Qualifikation Verwaltungsräte des BR mitbringen müssen. Und auch das enge bilaterale Verhältnis zwischen Intendanz und Verwaltungsratsvorsitz wie früher beim RBB gibt es bei uns nicht.

Ist beim BR also alles in Ordnung, muss nichts neu justiert werden nach den Ereignissen beim RBB?

Wildermuth: Ich bin sicher, dass Rundfunk- und Verwaltungsrat selbst entscheiden wollen, ob sie sich in ihrer Arbeitsweise anders aufstellen. Aber mein Eindruck ist, dass die Verfasstheit der Aufsichtsgremien beim BR etwas ist, woran sich andere orientieren können.

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat kürzlich einen Deckel für Intendantengehälter gefordert. Sie sollen nicht höher sein als das Gehalt des Bundeskanzlers. Wie fühlt es sich für Sie an, sich jetzt vielleicht erklären zu müssen, dass Sie verdienen, was Sie verdienen?

Wildermuth: Ich lege mein Gehalt nicht selbst fest, das macht der Verwaltungsrat, und wenn die Verwaltungsräte zu dem Schluss kommen, den Intendantinnen oder Intendanten andere Verträge anzubieten, dann werden sie das tun. Natürlich gibt es die Frage, was Arbeit wert ist, schon immer. Welche Bezahlung ist angemessen? Für einen Pfleger, einen Topmanager, eine Politikerin? Ich fürchte, da wird unsere Gesellschaft nie zu einem Konsens kommen.

Auch beim Rundfunkbeitrag heißt es aus der Politik, er gehöre ein für alle Mal eingefroren oder sogar gekürzt...

Wildermuth: Für die Ermittlung der Beitragshöhe gibt es ein klares, gesetzlich festgelegtes Verfahren. Sie wird von einer unabhängigen Kommission von Fachleuten, der KEF, empfohlen. Die Politik schreibt in die Rundfunkgesetze, was wir leisten sollen. Wir kalkulieren, wie viel Geld wir brauchen, um genau das auch leisten zu können. Die unabhängige KEF prüft daraufhin die Kalkulation und macht der Politik einen Vorschlag zur Beitragshöhe. Es gibt in Europa kein besseres System, weil es anders als beispielsweise ein steuerfinanziertes System genau das garantiert, was die Gründungsväter von ARD und später ZDF wollten, und was auch in meinen Augen die unverzichtbare Basis unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland ist – politische und ökonomische Unabhängigkeit. Wir alle tun gut daran, dies zu respektieren.

Nicht nur Politikerinnen und Politiker, auch viele Bürgerinnen und Bürger äußern – teils lautstark – die Meinung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu teuer sei, manche halten ihn für verzichtbar.

Wildermuth: Nicht alles, was lautstark geäußert wird, ist Mehrheitsmeinung. Das erleben wir in direkten Gesprächen mit den Nutzern unserer Angebote Tag für Tag. Da erfahren wir große Wertschätzung. Aber klar, die Medienwelt hat sich verändert, es gibt viele andere Anbieter. Die Menschen erleben bei Netflix, Sky & Co., dass sie für das, was sie sehen wollen, bezahlen müssen, und für das, was sie nicht sehen wollen, eben nicht. Was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk davon unterscheidet, ist seine Bedeutung als demokratische Grundversorgung. Denn eine funktionierende Demokratie braucht ökonomisch und politisch unabhängigen Qualitätsjournalismus, das zeigen dutzende wissenschaftlicher Untersuchungen. Es ist etwas anderes, ob jemandem eine bestimmte Serie wichtig ist oder eine bestimmte Sportart. Hier geht es darum, dass wir mit unserem Gesamtangebot für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen, für die gemeinsame Faktenbasis, auf der man diskutiert, jenseits von Filterblasen. Wir sehen in anderen Ländern, wohin es führt, wenn öffentlich-rechtliche Systeme angegriffen oder marginalisiert werden – in den USA, in Ungarn, Polen, der Türkei. Aktuell auch an den Diskussionen in Großbritannien und in Frankreich.

Ihr SWR-Intendantenkollege Kai Gniffke hat kürzlich eingeräumt, dass das Meinungsspektrum bei den "Tagesthemen"-Kommentaren in der Vergangenheit wohl zu schmal gewesen sei. Stimmen Sie ihm zu? Es gibt ja den Vorwurf des "Belehrungs-" oder "Umerziehungsjournalismus"?

Wildermuth: Ich kann mit Behauptungen wie „Umerziehung“ – allein bei diesem Begriff sträuben sich meine Historikerin-haare – nichts anfangen, weil sie schlicht nicht stimmen. Die Herausforderung – und das gilt nicht nur für uns, sondern etwa auch für politische Parteien – besteht darin, die Meinungsvielfalt in einer Gesellschaft, die sich immer mehr ausdifferenziert, adäquat abzubilden. Es gibt ja schon lange nicht mehr den puren Dualismus zwischen rechts und links, schwarz und rot – sondern ganz viele Nuancen dazwischen. Das heißt nicht, dass man jeder abwegigen Einzelmeinung eine breite Plattform bieten muss. Aber wir müssen natürlich schon dafür sorgen, dass sich der Meinungspluralismus auch im Programm spiegelt. Journalistische Entscheidungen werden aber weiterhin nach journalistischen Kriterien getroffen und nicht nach Proporz.

Lassen Sie uns noch einmal über Geld reden. Was wollen Sie tun, um den Beitrag auch nach 2024 möglichst stabil zu halten?

Wildermuth: Wir wollen den Wandel, den wir schon angeschoben haben, noch konsequenter vorantreiben. Und zwar auf zwei Ebenen – beim Bayerischen Rundfunk und innerhalb der ARD. Bei uns hier lautet für mich die Überschrift: „Weniger ist mehr“. Wir haben beispielsweise beschlossen, keine separate Mediathek mehr zu betreiben und 30 weitere Angebote einzustellen, um andere Programme zu stärken – etwa Podcasts oder BR24. Diesen Priorisierungsprozess wollen wir konsequent weiterführen. „Weniger ist mehr“ heißt aber auch, konsequent schlank zu produzieren, also die neuen technischen Möglichkeiten der sogenannten Smart Production klug zu nutzen. Ich habe mit meinen Direktorinnen und Direktoren seit dem Frühjahr Entscheidungen getroffen, die dem BR künftig Einsparungen von ungefähr 25 Millionen Euro im Produktionsbereich bringen.

Die Sie nun auch Ihren Intendantenkolleginnen und -kollegen nahelegen wollen?

Wildermuth: Auf ARD-Ebene müssen wir meiner Meinung nach entschlossene Schritte in Richtung Kompetenzzentren gehen. Es muss nicht mehr jeder alles machen. Wir brauchen keine Regionalität in Verwaltung und IT. Das Ziel muss zum Beispiel eine Reisekostenstelle für alle sein. Und das gilt genauso für Programminhalte mit überregionaler Bedeutung – etwa Verbraucher- und Gesundheitsthemen, Literaturkritik, Royals. Man muss schauen, welcher Sender welche Stärken hat und als jeweiliges Kompetenzzentrum andere beliefern kann. Wir brauchen hier viel mehr Zusammenarbeit.

Zu dieser Zusammenarbeit müssen die anderen aber bereit sein. Wenn aber ein Sender unbedingt seine eigenen Zuständigkeiten behalten will?

Wildermuth: Ich weiß, dass ich im Senderverbund viele Unterstützer habe, und bin mir sicher, dass wir, wenn wir über Kompetenzzentren nachdenken, mit Blick auf Fokussierung und Synergien einen großen Schritt weiterkommen können.

Was wäre dann konkret beim BR angesiedelt?

Wildermuth: Ich will jetzt nicht anfangen, Territorien abzustecken, bevor wir das nicht in der ARD diskutiert haben. Aber der BR ist traditionell stark im Bereich Bildung und Wissenschaft sowie im Bereich Klassik, wir haben außerdem die Koordination der Dokus innerhalb der ARD sowie eine Stärke bei hochwertiger Fiktion. Da können wir ganz sicher eine Menge einbringen.

Im jüngsten Bericht des Obersten Rechnungshofs hieß es, 2024 seien die Reserven des Bayerischen Rundfunks aufgebraucht. Steht der Sender vor der Pleite?

Wildermuth: Nein. Im Interesse der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit dürfen wir jenseits der notwendigen Liquidität keine Reserven aufbauen. Dies ist keine unternehmerische Entscheidung, das ist eine Vorgabe der KEF, um den Rundfunkbeitrag möglichst stabil zu halten. Die Wirtschaftsprüfer haben uns für die vergangenen Jahre eine ausgeglichene Beitragsperiode testiert.

Im Prüfbericht klingt das anders. Da ist auch von einer "bilanziellen Überschuldung" die Rede.

Wildermuth: Wenn Sie die Rückstellungen für die Altersversorgung meinen – hier hat der ORH eine rein rechnerische Größe angesprochen. Wenn der BR alle Gelder, die er in den nächsten 30 Jahren zur Finanzierung der Altersversorgung braucht, heute auf einen Schlag auf den Tisch legen müsste, würden tatsächlich 28 Prozent zur Gesamtsumme fehlen. Aber das ist ja nicht die Praxis. Im Übrigen sind diese Ansprüche Altlasten, sie gehen auf Verträge vor 1993 zurück. Das wird in fünf Jahren sukzessive weniger werden. Und - um Ihnen die Dimension klarzumachen - die Altersversorgung macht sieben Prozent unserer Gesamtausgaben aus.

Das bedeutet aber, dass Sie ohne Rücklagen auf eine Beitragserhöhung so oder so angewiesen sind.

Wildermuth: Eine Diskussion darüber, welche Beitragshöhe die KEF für die nächste Periode ab 2025 empfehlen wird, steht aktuell nicht an. Wie Sie wissen, erleben wir gerade hohe Inflationsraten und einen erhitzten Medienmarkt. Trotzdem wird der BR bei der Bedarfsanmeldung selbstverständlich den obersten Maximen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit folgen.

Interview: Rudolf Ogiermann


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