12

Mafia in Bayern Wie die Mafia nach Bayern kam

Stand: 14.03.2011 | Archiv

Mafia in Bayern | Bild: picture-alliance/dpa; BR

Die deutsch-italienische Mafia-Geschichte begann in den 1950er-Jahren. Italien war damals ein armes Land, vor allem im Süden herrschten Hunger und hohe Arbeitslosigkeit. Im sogenannten Wirtschaftswunderland Deutschland fehlten dagegen Arbeitskräfte. Schon bald unterzeichneten die beiden Länder einen Vertrag, der italienische Gastarbeiter ins Land holte, unter anderem auch nach Bayern. Mit ihnen kamen aber auch die ersten Mafiosi.

Über die Bundesanstalt für Arbeit, die in Verona und Neapel Emigrationszentren einrichtete, erhielt ab 1956 jeder Gastarbeiter einen einjährigen Arbeitsvertrag und eine Zugfahrkarte. Die Männer aus Sizilien, Kalabrien oder Apulien wurden in der Gastronomie, aber auch in Land- und Bauwirtschaft eingesetzt. In Kempten war eine große Spinnerei, die dringend Arbeitskräfte brauchte.

Anwerbung von Gastarbeitern

Italienische Gastarbeiter auf dem Weg nach Deutschland

Die "Vereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland" vom 20. Dezember 1955 regelte die Arbeitsvermittlung in Italien von der Anforderung deutscher Betriebe über die Auswahl der Bewerber in Italien bis hin zu Anreise, Lohnfragen und Familiennachzug.

Es folgten Anwerbeabkommen mit Griechenland und Spanien (1960), Türkei (1961), Marokko (1963) und Portugal (1964). Die Rezession 1966/67 führte zu einem Rückgang der Gastarbeiter. 1973 kam es mit der Ölkrise zu einem Anwerbestopp.

Mafia gerät ins Visier bayerischer Ermittler

Stärker ins Blickfeld deutscher polizeilicher Ermittlungen rückte die Mafia erstmals in den 1980er-Jahren. Das bayerische Landeskriminalamt (LKA) zerschlug damals in Kempten eine italienische Bande von Drogendealern und Schutzgeld-Erpressern. "Es wurde jahrelang ermittelt", erzählt der Kemptener Staatsanwalt Gunther Schatz. Ab den 1990er-Jahren gab es "eine strukturierte Auseinandersetzung mit Organisierter Kriminalität", teilt Mario Huber, Chef des Dezernats für Organisierte Kriminalität beim LKA, mit.

Hubers Vorgänger Josef Geißdörfer erinnert sich an die sogenannten Maxi-Prozesse Ende der 1980er-Jahre in Italien - mit den 1992 getöteten Untersuchungsrichtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. "Wir nahmen das zum Anlass, um herauszufinden, ob die auch in Bayern sein könnten", so der Ex-Ermittler, der heute im Ruhestand ist.

In jener Zeit wurde vor allem die kalabrische 'Ndrangheta immer mächtiger. Strategie oder Zufall? Sie mied Aufmerksamkeit und baute ihre Macht im Hintergrund auf, während der Fokus der Öffentlichkeit auf der opulent agierenden Cosa Nostra aus Sizilien lag.

Prozesse in Italien fördern Kooperation

Mit den Maxi-Prozessen begann zwischen italienischen und deutschen Ermittlungsbehörden der Austausch von Informationen. Man bildete erste internationale Arbeitsgruppen.

Den Ermittlern war schnell klar: Aufgrund der schärferen Gesetze in Italien wirkte Deutschland wie ein Magnet auf die Mafiosi. Ihre Betätigungsfelder sind laut Behördenangaben bis heute in erster Linie kriminelle Delikte auf mittlerer Ebene, wie Drogen- und Waffenhandel oder Kfz-Verschiebungen. Gerade Bayern sei ein beliebtes Durchgangsland für Drogenkuriere, so Geißdörfer.

Grenznahe Orte wie Kempten, Traunstein oder Konstanz waren für Mafiosi vor allem in Zeiten vor dem Schengener Abkommen interessant. Dort konnten sie die Abfertigung an der Grenze leicht überwachen und unkompliziert beobachten, wann mehr oder weniger kontrolliert wurde.

Mafia investiert in Finanzmetropolen

Drogen- oder Waffenhandel, Fälschungs- und Diebstahls-Delikte sind das eine, die weitaus größten Summen setzt die Mafia über eine besonders versteckte Form von Kriminalität um: "Die 'Ndrangheta - generell die italienische Mafia - benutzt Deutschland nicht nur als Rückzugsraum, sondern auch als Aktionsraum für ihre Geschäfte", sagt Mario Huber vom Landeskriminalamt. Einerseits nutzen Italiener, die in ihrem Land von der Polizei gesucht werden, die Rückzugsmöglichkeit bei ihren in Deutschland lebenden Familien. Andererseits setzt das modern agierende Unternehmen Mafia auf das reiche Deutschland.

Stichwort: Mafia & 'Ndrangheta

Die Herkunft des Wortes Mafia ist nicht eindeutig geklärt. Laut Duden hat es seine Ursprünge im Arabischen (ma hias: Angeber, Zerstörer; mu' âfâ: beschützen) und im Italienischen/Sizilianischen (mafiusu, marfusu: arrogant, eingebildet; auch: selbstsicher, mutig).

'Ndrangheta geht wahrscheinlich auf das altgriechische Wort andragathos (mutiger, echter Mann) zurück.

Gerade in finanzstarken Städten wie Frankfurt oder München fallen große Geschäfte nicht weiter auf. Sie bieten lukrative Investitionsfelder - idealer Raum, um illegal erlangte Mafia-Gelder über Unternehmen wieder in den Wirtschaftskreislauf zu bringen und so zu waschen. Die Wiedervereinigung schaffte zudem Investitionsmöglichkeiten in den neuen Bundesländern, wo mit dem Systemwechsel zunächst ein wirtschaftliches Vakuum entstanden war.

Die italienische Mafia: Ehrenmänner, Macht und kaltblütige Morde

Ein ehemaliger Mafia-Killer packt aus

Dennoch gab und gibt es eine ganze Reihe von Fahndungserfolgen: 1998 gelang der deutschen Polizei ein erster großer Schlag gegen die italienische Mafia. Giorgio Basile, ein Gastarbeitersohn aus dem Ruhrgebiet, wurde in Kempten gefasst. Er war 1960 in Corigliano Calabro in Italien geboren worden und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf. Als Profi-Killer der 'Ndrangheta soll er 30 Menschen umgebracht haben. Wochenlang wurde Basile von bayerischen Ermittlern vernommen - bis er auspackte.

Giorgio Basile  | Bild: picture-alliance/dpa

Giorgio Basile

Von ihm stammten wertvolle Informationen aus dem internen Bereich der Mafia, über ihre Struktur, ihr Denken. Er wurde der erste Kronzeuge, ein sogenannter Pentito (ital.: Reuiger), auf deutschem Boden und einer der wichtigsten Kronzeugen gegen die Mafia.

Weniger Personal nach 9/11  

Die Erfolge der bayerischen Polizei in Kempten und der Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 brachten jedoch eine Wende in der Polizei-Strategie. "Damals wurde es ruhiger um die Italiener", so Huber. Zur Abwehr von möglichem islamistischem Terror, der nun als die größere Gefahr galt, wurde Personal von Einheiten zur Mafia-Bekämpfung abgezogen.

Sechs tote Italiener in Duisburg

Doch dann kam Duisburg: Im August 2007 wurden sechs Menschen vor dem italienischen Restaurant "Da Bruno" erschossen. Wie die Ermittlungen ergaben, handelte es sich um eine Auseinandersetzung rivalisierender 'Ndrangheta-Clans aus dem kalabrischen San Luca; mit einem Schlag war die Mafia in ganz Deutschland Thema.

Deutsch-italienische Taskforce

Duisburg "war eine Kehrtwende für uns", betont Huber. Heißt: Das LKA verschärfte seine Mafia-Ermittlungen seitdem wieder. Auf Bundesebene wurde eine deutsch-italienische Taskforce gegründet. Ob diese DITF wirklich nachhaltig erfolgreich arbeiten wird, bleibt abzuwarten. "Wir brauchen Kanonen gegen diese Leute, die längst Teil unserer Wirtschaft sind", so Mario Trabalza, Chefredakteur des italienischen Sprachmagazins "Adesso". "Stattdessen schießen wir mit Wasserpistolen. Das müssen die Politiker begreifen." Oder, wie es Gunther Schatz, Staatsanwalt in Kempten, ausdrückt: "Die Taskforce hat nichts gebracht."


12