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Eine unterschätzte Gefahr! Keratitis durch Kontaktlinsen

Eine Hornhautentzündung oder Keratitis kann gefährlich werden und sogar zur Erblindung führen. Aber viele unterschätzen die Risiken. Besonders gefährdet sind Kontaktlinsenträger, sie erkranken achtzigmal häufiger als andere.

Von: Bernd Thomas

Stand: 20.06.2023

Julia Bauer, 22 Jahre jung, trägt seit über zehn Jahren Kontaktlinsen. Dass sie heute normal sehen kann, ist fast ein Wunder. 2019 drohte ihr rechtes Auge aufgrund einer Hornhautentzündung zu erblinden, ausgelöst durch das Tragen von Kontaktlinsen.

"Mir war absolut nicht bewusst, wie gefährlich das ist, also auch wie gefährlich so eine Infektion sein kann."

Julia Bauer

Eine komplizierte Not-Hornhauttransplantation rettete ihr Auge. Immer wieder werden solche Transplantationen in der Augenklinik der Universität München durchgeführt.

"Eine sogenannte mikrobielle Keratitis ist ein infektiöses Geschehen, wobei es zu einem Übergreifen von Erregern, sprich Bakterien, Pilzen oder sogenannten Einzellern, also Akanthamöben, auf das Hornhautgewebe und dadurch zu einer Infektion kommt. Damit ist wirklich nicht zu spaßen. Zwar ist nicht jedes rote Auge eine Keratitis. Aber es gibt immer wieder katastrophale Verläufe, die leider nicht nur in eine Hornhauttransplantation, sondern auch tatsächlich im totalen Verlust der Sehkraft enden."

PD Dr. Dr. med. Nikolaus Luft, Facharzt für Augenheilkunde, Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Keratitis: erhöhtes Risiko durch Kontaktlinsen

Eine Keratitis ist zwar selten, aber Kontaktlinsenträger erkranken achtzigmal häufiger daran als andere. Ein nicht zu unterschätzendes Risiko: Denn die Hornhaut oder Kornea trägt entscheidend zur Brechung des Lichts und zum Sehen bei. Sie besteht aus fünf Schichten, hat keine Blutgefäße, aber viele Nerven. Die oberste, das Epithel ist mit Tränenflüssigkeit benetzt und schützt vor Bakterien und Fremdkörpern. Eine dünne Membran trennt es vom Stroma, der dicksten Schicht mit hohem Wassergehalt. Unter einer weiteren Membran liegt das dünne, widerstandsfähige Endothel. Seine Zellen pumpen Wasser aus der Hornhaut und erhalten so die Durchsichtigkeit.

Wichtig: Hygiene und Tragedauer

Kathy Dörr nutzt seit rund dreißig Jahren täglich Kontaktlinsen. Ihr sind die Risiken einer Keratitis bewusst.

"Hygiene steht für mich an oberster Stelle, beim Einsetzen, Herausnehmen und Tragen von Kontaktlinsen. Denn ich habe Angst vor Augenentzündungen, dass Bakterien ins Auge kommen und ich die Kontaktlinsen dann gar nicht mehr tragen kann."

Kathy Dörr

Regelmäßig lässt sie ihre Augen und auch den Sitzt ihrer Linsen untersuchen. Durch mangelnde Hygiene oder auch zu lange Tragedauer steigt das Risiko für eine Hornhautentzündung schnell weiter an.

"Je länger man Kontaktlinsen trägt über den Tag ohne Pause, desto höher steigt das Risiko speziell bei weichen Kontaktlinsen. Und es steigt nochmal an, wenn die Kontaktlinsen über Nacht getragen werden, man mit den Kontaktlinsen schläft."

Dr. med. Berthold Eckhardt, Facharzt für Augenheilkunde, Augen-MVZ Landshut

Keratitis: bei diesen Symptomen zum Augenarzt

"Eine Keratitis geht immer einher mit Schmerzen am Auge, starker Lichtempfindlichkeit, erhöhtem Tränenfluss und verschleiertem, schlechtem Sehen. Bei diesen Symptomen sollten Sie sofort zum Augenarzt gehen. Leichte Formen lassen sich dann mit befeuchtenden, zum Teil antibiotischen Augentropfen in ein paar Tagen therapieren. Schwerwiegende Formen brauchen zum Teil Therapien über Wochen und Monate. Und manchmal bleibt leider ein Defekt übrig, der das Sehen der Patienten beeinträchtigen kann."

Dr. med. Berthold Eckhardt, Facharzt für Augenheilkunde, Augen-MVZ Landshut

Viren, Pilze, Amöben und Bakterien: Welche Erreger sind besonders gefährlich?

Bei Menschen ohne Kontaktlinsen geghören auch Viren zu den Verursachern einer Hornhautentzündung. Rund neun von zehn Hornhautentzündungen bei Kontaktlinsenträgern werden dagegen durch Bakterien ausgelöst. Beginnt die Behandlung frühzeitig, sind sie gut zu behandeln. Aber nicht immer ist das so einfach.

"Problematisch wird es beim sogenannten Pseudomonas. Das ist ein Problemkeim, der sehr gerne auch einmal Resistenzen gegen Antibiotika entwickelt und leider Gottes mittlerweile über 90 Prozent aller durch Kontaktlinsen verursachten Infektionen hervorruft.
Bevor man eine antibiotische Therapie einleitet, ist es grundsätzlich wichtig, eine Probe zu nehmen, um zu prüfen: Welche Keime sitzen da drinnen? Und welche Antibiotika sind gegen diese Erreger schlagkräftig?"

PD Dr. Dr. med. Nikolaus Luft, Facharzt für Augenheilkunde, Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Doch damit nicht genug. Es gibt noch weitere, unangenehme Erreger:

"Die restlichen zehn Prozent der Erkrankungen bei Kontaktlinsenträgern gehen auf Pilze und sogenannte Akanthamöben zurück. Das sind beides sehr gefährliche Erreger, wo wir sehr oft, im Schnitt bis zu 30 Prozent aller Fälle, eine Notfall-Hornhauttransplantation benötigen. Und trotz dieses schnellen Agierens kann es trotzdem leider in vielen Fällen zu einer permanenten Sehverschlechterung kommen. Also diese Keime sind zwar seltener, aber umso gefährlicher."

PD Dr. Dr. med. Nikolaus Luft, Facharzt für Augenheilkunde, Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Weiche oder harte Linsen: Welche sind sicherer?

Kathy Dörr trägt weiche Kontaktlinsen, auch wenn sie weiß, dass harte, formstabile Kontaktlinsen für die Gesundheit der Augen eigentlich die bessere Wahl sind. Sie trägt so gennannte Monatslinsen, Kontaktlinsen, die jeden Monat erneuert werden. Gerade dabei kommt es besonders auf Hygiene an.

"Die harten Kontaktlinsen, sagt man, sind besser für das Auge. Ich habe sie ausprobiert, aber leider nicht vertragen. Deswegen nutze ich weiche Kontaktlinsen."

Kathy Dörr

"Die meisten Kontaktlinsenträger wissen gar nicht, welchem Risiko sie sich eigentlich täglich hier aussetzen. Wir hören es ja oft von Patienten, dass sie die Kontaktlinsen quasi over-the-counter einfach ausgehändigt bekommen von den Optikern, ohne ein Wort der Aufklärung, was Kontaktlinsen, was Hygiene betrifft, was Kontaktlinsentragedauern zum Beispiel angeht. Wir empfehlen unseren Patienten, wenn sie wirklich Kontaktlinsen tragen möchten, die sicherste Variante zu wählen. Und das sind sogenannte formstabile, harte Kontaktlinsen. Die sind deshalb sicherer, weil sie nicht direkt Kontakt mit der Augenoberfläche haben, sondern auf einem Polster von Tränenfilm schwimmen und sozusagen hier kein Aufrauen der Hornhaut verursachen können oder anderes Gewebe am Auge berühren. Das sind die Risikofaktoren für das Überspringen eines Erregers auf die Hornhaut."

PD Dr. Dr. med. Nikolaus Luft, Facharzt für Augenheilkunde, Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Keratitis verbeugen: Kontaktlinsen richtig benutzen

Kathy Dörr achtet penibel auf Hygiene beim Pflegen der Linsen und deren Einsatz im Alltag. Sie schminkt sich nur, nachdem sie die Linsen bereits eingesetzt hat, beim Abschminken macht sie es umgekehrt. Außerdem achtet sie auf die richtige Reihenfolge beim Reinigen und Aufbewahren der Linsen, die Tragedauer insgesamt und: Sie gönnt ihren Augen auch einmal Pausen. Am Computer nutzt sie eher die Brille.

"Ich schaue, dass ich die Kontaktlinsen nicht länger als maximal 12 Stunden trage und nie über Nacht. Am Computer blinzelt man weniger und das ist manchmal unangenehm, weil die Augen dann austrocknen. Und deshalb trage ich sie dann manchmal auch gar nicht. Dann habe ich immer das Gefühl, die Augen freuen sich!"

Kathy Dörr

 Passende Linsen: Worauf kommt es an? 

Julia Bauer trägt harte Kontaktlinsen, nach ihrer Hornhauttransplantation für sie ein Muss. Halbjährlich geht sie zur Kontrolle. Ihre besonders großen Sklerallinsen bieten optimalen Schutz. Das Besondere: Zwischen Kontaktlinse und Augenoberfläche ist ein kleiner Tränensee. Die Linse schwimmt auf der Hornhaut, bedeckt sie komplett und hat aber keinen direkten Kontakt, sondern hält durch Adhäsion.  

Augenoptikerin Natascha Pfeuffer empfiehlt, bei Anpassung und Kontrolle der Linsen unbedingt zum Experten zu gehen.  

"Es ist wichtig, dass ich immer hochwertige Kontaktlinsen verwende und dass die vor allem genau passen. Wichtig ist, neben dem Arzt dann auch einen Spezialisten zu haben, der immer mal wieder auf die Augen draufschaut. Und auch die Hygiene, also auch die Pflege der Kontaktlinsen ist enorm wichtig. Nicht nur, welche Produkte ich verwende, sondern auch,  wie ich die Kontaktlinsen reinige, das ist eigentlich das A und O. Und dann kann ich ein Risiko für eine Keratitis deutlich reduzieren oder auch gar nicht erst entstehen lassen."

Natascha Pfeuffer, Augenoptikerin, Besser Sehen, Landshut

Außerdem empfiehlt die Expertin:

"So circa zwei Stunden abends vor dem Ins-Bett-Gehen sollte ich die Kontaktlinsen schon absetzen. Dann vielleicht einmal in der Woche am besten noch einen ganzen Tag einplanen, an dem ich keine Kontaktlinsen trage. Das ist quasi das Wochenende wie für mich bei der Arbeit auch. Und das Allerallerbeste wäre dann noch einmal im Jahr richtig den Augen Urlaub von den Linsen gönnen. Also einmal in der Woche und einmal im Jahr gibt es Urlaub für die Augen und keine Kontaktlinsen."

Natascha Pfeuffer, Augenoptikerin, Besser Sehen, Landshut

Unglückliche Umstände: Notfall Keratitis

Ohne fundierte Aufklärung über mögliche Risiken kann sogar der Wechsel von Tages- zu Monatslinsen schnell gefährlich werden. Julia Bauer nutzte bis zum Abitur Tageslinsen. Danach wollte sie auf Weltreise gehen.   

"Damals habe ich so etwa zwei Monate zuvor umgestellt auf Monatslinsen. Ich wollte im Ausland nicht einen riesigen Rucksack voller Tageslinsen mitnehmen."

Julia Bauer

Eine Entscheidung mit fatalen Folgen. In den Tropen ist es oft schwierig Hygienestandards einzuhalten. Schon kleinste Fehler oder NAchlässigkeiten können gefährliche Auswirkungen haben. Aus Julia Bauers Traumreise wird schnell ein Albtraum. Anfangs sieht das Auge nur etwas gerötet aus, schmerzt aber stark. Sie bekommt Tropfen, die bringen eine leichte Besserung. Doch bei der Weiterreise wird es richtig gefährlich. Die Entzündung greift auf alle Schichten der Hornhaut über.        

"Das heißt, es kann auch ein Loch im Auge entstehen und das Auge tatsächlich auslaufen."

PD Dr. Dr. med. Nikolaus Luft, Facharzt für Augenheilkunde, Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Julia Bauers Zustand wird immer schlechter. Sie entschließt sich, die Reise abzubrechen und zurückzufliegen. In Abu Dhabi darf sie nicht mehr in das Flugzeug nach Hause umsteigen, sondern wird in eine Klinik geschickt. Dort wird sie notoperiert. Die beschädigte Hornhaut wird entfernt, das Auge mit einem Resttransplantat provisorisch verschlossen, das aber nur aus zwei Schichten, Epithel und Stroma besteht. In München wird dann die Entzündung weiterbehandelt und schließlich das fehlende Endothel ergänzt, eine internationale Zusammenarbeit.

"Frau Bauer hat als eine der wenigen Patienten weltweit eine zusammengesetzte Hornhaut aus zwei Kontinenten. Das Erfreuliche ist: Ihre Sehkraft beträgt heute annähernd 100 Prozent, was ein sehr, sehr schönes Endergebnis ist."

PD Dr. Dr. med. Nikolaus Luft, Facharzt für Augenheilkunde, Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Julia Bauer kann ihr Leben ohne Einschränkungen weiterführen. Da die Hornhaut des Auges grundsätzlich ein immunprivilegierter Ort im Körper ist – sie enthält keine Blutgefäße - muss sie für das Transplantat auch keine Medikamente einnehmen, die eine mögliche Abstoßung verhindern. Außerdem hat sie gute Chancen, dass die Keratoplastik sogar mehrere Jahrzehnte überlebt.  

"Es war eine Erfahrung, die hätte nicht sein müssen, aber sie ist passiert. Ich hatte einfach Glück im Unglück."

Julia Bauer

Kontaktlinse versus Laser-OP: Wie hoch sind die Risiken?

Viele Patienten könnten statt Kontaktlinsen zu tragen, alternativ auch eine Laser-OP durchführen lassen, meint PD Dr. Nikolaus Luft.

"Als Alternative zu gewöhnlichen Kontaktlinsen sind heute Laserchirurgie-Optionen sehr sicher verfügbar. Wenn man die Risiken vergleicht, ergibt sich ein deutliches Bild: Zum Beispiel hat jemand, der weiche Kontaktlinsen trägt und der immer wieder mal die Linsen zu lange und vielleicht auch einmal über Nacht trägt, nach vier Monaten schon das gleiche Risiko, als würde bei ihm einmal eine Laserkorrektur durchgeführt. Das heißt, wenn man jetzt jahrelang Kontaktlinsen trägt, ist das Risiko um ein Vielfaches größer als sich einmal einem Lasereingriff zu unterziehen."

PD Dr. Dr. med. Nikolaus Luft, Facharzt für Augenheilkunde, Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München


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