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20 Jahre Ötzi Schafhirte oder Schamane

20 Jahre ist es her, dass Ötzi, die wohl berühmteste Gletschermumie der Welt, am 3210 Meter hohen Tisenjoch in den Ötztaler Alpen gefunden.

Stand: 24.09.2011 | Archiv

Sonderausstellung "Ötzi20" | Bild: South Tyrol Museum of Archaeology

Der 5300 Jahre alte Mann aus dem Eis hat in diesem Jahr auch die Ötztaler Alpin-Kultur-Veranstaltung "ArteVent" beschäftigt.

So mancher hat sich dabei überlegt, was er Ötzi fragen würde, wenn er noch am Leben wäre: Zum Beispiel wie er seine Vermarktung empfindet, welcher Religion er angehört hat, ob er in einer matriarchalischen Kultur gelebt hat, welche Lieder er gesungen hat oder was er dort oben am Hauslabjoch wirklich gemacht hat?

Thomas Defner und Hans Haid

Antworten gibt es viele, Spekulationen noch mehr. Der Ötztaler Querdenker und Volkskundler Hans Haid aber ist einer, der die naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fakten unter einen Hut zu bringen versucht und dabei eine spannende interdisziplinäre Interpretation von Ötzi entwickelt. Hans Haid zufolge war Ötzi ein hochrangiger Schafhirte mit schamanischem Charakter, der einer prä-indoeuropäischen Kultur entstammt. Viele Bergnamen im hintersten Ötztal, wie beispielsweise Similaun, Mutsbichel oder Anakogel, lassen sich auf diese Kultur aus Vorderasien zurückführen. Die alten Ötztaler Schaf- und Rinderrassen tragen zudem nachweislich Gene von ursprünglich in Vorderasien beheimateten Tieren in sich.

Um 9000 vor Christus war, so Hans Haid, ein radikaler Gletscherrückgang zu verzeichnen, auch die Ötztaler Alpen wurden eisfrei und große Gebiete zu potenziellem Weideland. Auf der Suche nach neuem Terrain zogen aus dem übervölkerten Zweistromland Menschen mit riesigen Tierherden in die Alpen und brachten ihre Kultur mit. So hat Ötzi nach Ansicht von Hans Haid wohl auch etwas mit der jahrtausendealten Schafkultur zu tun. Der Schaftrieb über die Jöcher zwischen Schnalstal und Ötztal bzw. Passeiertal lässt sich bis in die Zeit um 6000 vor Christus dokumentieren, ist also älter als Ötzi., der vermutlich Schamane und Schafhirte war - und ein wirklich "sagenhafter" Fund. Hans Haid kennt gleich drei alte lokale Sagen vom verschwundenen Mann im hinteren Eis. Auch das damit verbundene Sagenmotiv der "Herrin der Tiere", womit im Ötztal die Saligen Fräulein gemeint sind, stammt aus der prä-indoeuropäischen Kultur. Das Tisenjoch, der Fundort von Ötzi, hat ebenfalls mythologische und topographische Bedeutung. Der Name kommt von den "Disen", prä-indoeuropäischen Schicksalsgöttinnen.

Es wird spekuliert.

Hans Haid geht davon aus, dass Ötzi unten im Tal zu Tode gekommen ist, dort auch mumifiziert und dann oben am Tisenjoch rituell bestattet wurde. Das nimmt auch inzwischen auch eine Forschergruppe der Universität Rom an. Denn sonst lässt sich die komplette und völlig gleichmäßige Mumifizierung von Ötzi nicht plausibel erklären. Rituelle Bergbestattungen aus dieser Epoche kennt man nicht nur aus Südamerika, sondern zum Beispiel auch aus dem Altai-Gebirge – hier ist der "Altai-Ötzi" ein Begriff. Wie dem auch sei – es kommt auf die vergleichende, interdisziplinäre Forschung an, betont Hans Haid. Ganz sicher war der Mann aus dem Eis für damalige Verhältnisse "global" orientiert. Konkret gehört Ötzi der Remedello-Kultur an, die rund 50 Kilometer südlich des Gardasees angesiedelt war. Seine Silex-Klingen stammen aus den Lessinischen Bergen bei Verona, das Material für sein Beil kommt aus dem Salzkammergut.

Die Rekonstruktion.

Sehr aufschlussreich sind auch die Tätowierungen Ötzis, sagt Hans Haid. Mediziner haben schon vor über zehn Jahren nachgewiesen, dass sie genau auf den Akupunktur-Punkten liegen, aber rund 1000 Jahre älter sind als die chinesische Akupunkturkunst. Das spräche durchaus dafür, dass Ötzi auch ein Schamane und die Tätowierung sprich Akupunktur möglicherweise eine vorbeugende Behandlung war. Ebenso ist bekannt, dass Larven des Peitschenwurms, wie sie auch im Darm von Ötzi gefunden wurden, bestimmten Erkrankungen, zum Beispiel Morbus Crohn, vorbeugen können. Es kommt also auf die Perspektive an. Schafhirte oder Schamane, Jäger oder Gejagter – was Ötzi wirklich war, bleibt offen. Eines aber ist er in jedem Fall geworden: ein alpiner Identitäts-Stifter. Denn wenn ab Mitte September die Touristen und Bergurlauber aus dem Ötztal wieder abgezogen sind, kommen an den Wochenenden inzwischen wieder viele Einheimische, um sich auf die Spuren von Ötzi und den alten Sagen zu begeben – für Hans Haid Ausdruck eines "neuen und nicht-chauvinistischen Identitätsbewusstseins" dank Ötzi.

Das war unsere vierteilige Rucksackradio-Serie zum 20jährigen Jubiläum des Ötzi-Fundes. Die Ausstellung "Ötzi 20" im Südtiroler Archäologie-Museum in Bozen ist noch bis Mitte Januar zu sehen. Eine andere kleine, aber feine Ötzi-Ausstellung wird am 7. Oktober in der Tirol Therme in Längenfeld im Ötztal eröffnet. Bis Mitte November sind dort Arbeiten und Objekte zu sehen, die Künstler aus Österreich, Italien, Spanien und Deutschland zum Thema Ötzi angefertigt haben. Damit will die Ausstellung "Ötzi, Frozen Fritz oder wer war der Mann vom Hauslabjoch" der üblichen "Ötzisierung" entgegenwirken und eine andere Perspektive bieten.


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