Fridays for Future vs. Tourismusbranche Wie eine Bergachterbahn das Allgäu spaltet

Lucia von Fridays for Future Kempten kämpft gegen den Klimawandel – und gegen den "Grünten-Glider" durch den Bergwald. Anja will die Bergachterbahn hingegen unbedingt bauen. Das Tourismusprojekt spaltet die Allgäuer Jugend.

Von: Tobias Krone

Stand: 01.08.2019 | Archiv

Allgäu gespalten | Bild: BR

Bis jetzt ist der "Grünten-Glider" nur ein Plan in einer Schublade. Doch Lucia Böck und ihre Ortsgruppe Fridays for Future Kempten sind alarmiert. Eine Art "Flying Fox", eine Bergachterbahn, auf dem Allgäuer Hausberg – das will sie unbedingt verhindern.

"Wieder wird ein Berg zu einem Freizeitpark gemacht. Anstatt dass man einfach sagt: Ein Berg ist ein Berg, das ist Natur – und er gehört der Natur. Wir können doch nicht immer noch sagen: Einzelne Leute wollen Profit, also opfern wir einen ganzen Berg dafür."

Lucia Böck, Fridays for Future Kempten

"Ein Schlag ins Gesicht für den Klimaschutz"

Noch ist es sehr ruhig auf dem Nordhang des Grünten. Der Sessellift steht still, die Wiesen blühen bunt. Der Grünten ist ein Traditionsskigebiet. Gewesen. Denn seit zwei Jahren ist es pleite. Wenn Lucia Böck im Wanderdress über die Hänge stapft, folgen ihr die Kühe am Weidezaun. Vielleicht ja aus Sympathie. Denn die 19-Jährige, die aus dem benachbarten Immenstadt stammt, will, dass es so bleibt wie es ist. Sie sagt: Klimawandel hat auch was mit unserer direkten Umgebung zu tun: "Wenn wir an jedem Ort solche Sachen verhindern, die einfach ein Schlag ins Gesicht sind für den Klimaschutz, dann können wir einen großen Beitrag leisten – wir müssen auf allen Ebenen ansetzen."

Fridays for Future: Nein zum Rummel auf dem Grünten

Viele Naturschützer*innen im Allgäu – und auch einige der Bergbäuer*innen sind gegen das Projekt der Familie Hagenauer aus Rettenberg, am Fuß des Grünten. Die hat nämlich das Skigebiet gekauft – und will die alten Lifte durch eine moderne Gondelbahn auf den Grünten und einen Sechser-Sessellift ersetzen. Der Knackpunkt: Die Bahn soll auch im Sommer laufen. Auf der Bergstation sollen ein Streichelzoo und der neue "Grünten-Glider" die Besucher anlocken – eine Art Hänge-Sommerrodelbahn, auf der man mit bis zu 60 Kilometer pro Stunde durch den Bergwald flitzen kann. Die Stahlschiene würde an den Bäumen befestigt werden. Lucia fürchtet, dass dafür Bergwald gerodet werden müsste. Außerdem würde der Glider die Tiere im Wald verschrecken.

Investorenfamilie: Das Projekt schadet dem Wald nicht

Anja Hagenauer ist 22, zusammen mit ihrer Familie will sie den Glider bauen, den sie "Walderlebnisbahn" nennt. Sie ist überzeugt: Das Projekt schadet dem Wald nicht.

"Das Schöne an der Walderlebnisbahn ist ja eigentlich, dass wir die Bäume unbedingt brauchen, das heißt, wir werden da nicht wirklich eingreifen. Das ist ja das Tolle an der Bahn. Die Bäume werden dazu auch nicht verletzt, wir umschließen die Bäume lediglich."

Anja Hagenauer, Glider-Projekt

Für die Tiere sei die Bahn kein Problem – im Gegenteil. Sie sagt, die Tiere würden sich daran gewöhnen und ihren Lebensraum dementsprechend anpassen. "Oder sie wüssten sogar, okay: Hier kommt kein Raubvogel her oder sonstiges. Das gibt es auch, das beobachten wir viel an unserer Anlage an der Alpsee Bergwelt."

Hoteliers wollen attraktive Urlaubsziele – für den Klimaschutz

Die Hagenauers betreiben jetzt schon eine Freizeitanlage zehn Kilometer weiter. Auf einer Sommerrodelbahn kann man dort jetzt schon schnell den Berghang runterheizen. Für ihr Projekt, neue Lifte plus Glider auf dem Grünten, hat die Familie die Lokalpolitik fest hinter sich, vor allem, weil sich die Hotelbesitzer dadurch mehr Gäste erhoffen. Auch der Landrat von der CSU, Anton Klotz, findet das Projekt gut, denn gerade in Zeiten des Klimawandels bräuchten die Touristen attraktive Ziele in ihrer Nähe. Je mehr ihnen im Allgäu geboten wird, desto weniger fahren sie weiter mit dem Auto nach Südtirol oder nach Österreich, wo jetzt schon viele Bergdörfer wie Freizeitparks aussehen.

Hüttenwirt: Urlauber suchen Ruhe und Natur

Die Logik der Naturschützer geht anders. Sie finden: Gerade weil sich die Natur den Berg jetzt wieder zurückholt, kommen so viele. Auch Norbert Zeberle, der Hüttenwirt auf der Grünten-Hütte unterhalb des Gipfels, ist – zwei Jahre nach der Pleite des Skigebiets – mit dem Geschäft zufrieden. Statt Pistenskifahrer*innen kämen jetzt im Winter Skitourengeher*innen oder Leute auf Schneeschuhen hier hoch – und im Sommer Wanderer, die die Ruhe suchen.

"Das Publikum hat sich komplett geändert. Andere Zielgruppen – das heißt: Jeder, der zu uns will, muss sich bewegen. Wir haben nur noch zufriedene Leute, die kommen mit einem Lächeln rein und die Leute bleiben länger sitzen, sie unterhalten sich miteinander. Im Skibetrieb ist es schnelllebiger – da kommt ein Gast, der 40 Euro für die Tageskarte zahlt, der will das Geld natürlich reinfahren. Er hat ungefähr eine Viertelstunde, 20 Minuten für Essen und Trinken und geht wieder. Diese Hektik gibt’s nicht mehr."

Norbert Zeberle, Hüttenwirt

Und jetzt?

Anja Hagenauer sagt, ihre Familie sei weiterhin gesprächsbereit gegenüber den Gegnern des Projekts. Gesprächsbereit sei sie auch, sagt Fridays-Aktivistin Lucia Böck. Aber sie und ihre Gruppe wollen keinen Kompromiss eingehen, der nicht umweltfreundlich ist. Sie hat mit Naturschützern die Bürgerinitiative #rettetdengruenten gestartet – und schon über 50.000 Unterschriften für eine Petition gegen das Projekt gesammelt. Auch die Befürworter in der Gegend haben eine Bürgerinitiative gegründet: "Zukunft Grünten – Wir für den Berg". Sie wollen für die neue Gondel und den Grünten-Glider kämpfen. Noch hat Anjas Familie die Baupläne beim Landratsamt Oberallgäu nicht zur Genehmigung eingereicht – bis zur Entscheidung für oder gegen den Freizeitpark am Berg wird es also noch mindestens ein halbes Jahr dauern.

Sendung: PULS am Nachmittag vom 16. Juli 2019 - ab 15 Uhr.