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Patrick Doyle Filmkomponist zwischen Shakespeare und Disney

Musikalisch lässt er sich in keine Schublade pressen, seine Bandbreite als Filmkomponist umfasst beinahe sämtliche Genres: Patrick Doyle, gebürtiger Schotte und diesjähriger Look & Listen-Preisträger.

Stand: 11.07.2014

Patrick Doyle und Martin Wagner | Bild: BR/Natasha Heuse

Hollywood so nah: eine Begegnung mit Patrick Doyle

Mit dem diesjährigen Look & Listen-Preisträger Patrick Doyle weht ein Hauch Hollywood durchs BR-Studio. Im äußerst kurzweiligen und auch bewegenden Talk mit BR-Hörfunkdirektor Martin Wagner schildert der weltberühmte Filmkomponist aus Schottland nicht nur seine Begegnungen mit Hollywood-Stars, sondern spricht ebenso unterhaltsam über seine Arbeit, die Bedeutung von Preisen und über seine Familie. Und manchmal spielt er sogar einige Szenen nach: bestes Entertainment. Möchte er etwas musikalisch veranschaulichen, setzt er sich kurzerhand ans Klavier und schlägt ein paar Takte an. Auch über seine schwere Leukämie-Erkrankung vor zwei Jahren äußert sich Patrick Doyle freimütig. Offen darüber zu sprechen, ist seine Art, mit der Krankheit umzugehen.   

Die Bedeutung von Ehrungen

Auszeichnungen findet der frisch gekürte Look- & Listen-Preisträger immer sehr angenehm, auch wenn er eher mit britischem Understatement davon erzählt. Für seine Dankesrede am Abend zuvor hatte er sogar einige Sätze in Deutsch einstudiert. Eine besondere Ehre sei es für ihn, wenn er dadurch ein großartiges Land wie Deutschland besuchen könne, dessen musikalische Tradition so weit zurückreiche. Sein Besuch in München ist eine Premiere für ihn, mit Besichtigung des Englischen Gartens und dem Genuss des ausgezeichneten deutschen Weins. München sei absolut überwältigend. Seinen ersten Preis erhält Patrick Doyle 1995 für „Little Princess“. Auszeichnungen seien ein tolles Nebenprodukt seiner Arbeit, erklärt er. "Du musst dein Bestes geben, und wenn die Gesellschaft das anerkennt, ist das ein unglaublicher Zuckerguss, aber das allein ist noch keine Daseinsberechtigung als Komponist."

Für seine erste Oscar-Nominierung, 1996 für „Sinn und Sinnlichkeit“, habe er sein Herz und seine Seele, einfach alles hineingesteckt und auch an all die großartigen Komponisten vor ihm gedacht. Die Feier selbst sei witzig gewesen, meint er rückblickend, er habe Menschen fotografiert, die gerade ihn fotografiert hätten, „das war so bizarr.“ Er habe neben Ian McKellen („Herr der Ringe“) gesessen und stets exakt vorausgesagt, wer gewinnen würde. Dass er selbst dabei leer ausgehen würde, auch das habe er gewusst. Enttäuscht war er ganz und gar nicht darüber. „Patrick, wieso lachst du? Du hast verloren“, hätten die anderen Komponisten ihn gefragt. „Verloren? Ich bin 1. Klasse in die USA geflogen, wohne in einer Suite im Bel-Air-Hotel, werde in einer Limousine gefahren, und da soll ich unglücklich sein?“ Für ihn sei es überraschend gewesen, zu den fünf Nominierten zu gehören.

Stolz und trotzdem bescheiden blickt Patrick Doyle auf sein bisheriges großes Werk zurück. Seine Schaffenskraft ist ungebrochen. So kann er von einem Projekt zum nächsten übergehen, ohne müde zu werden. „Ich bin sehr glücklich“, betont er und zitiert George Gershwins Vater. „Ihr Sohn George ist sehr glücklich“, sagte jemand zu ihm, und der Vater erwiderte: „Je härter er arbeitet, desto glücklicher wird er.“ Dennoch hat Doyle eine feste Regel: nie mehr als zwei Filmmusiken pro Jahr und zwei Monate Urlaub.

Ein ganz normaler Arbeitstag

Patrick Doyle steht um halb acht auf – noch vor dem Hausmeister – arbeitet bis ein Uhr mittags und fängt dann an, alle anderen zu stören, denn sein Tageswerk ist ja beendet. „Ich war schon immer besessen und finde harte Arbeit völlig natürlich.“ Bevor er nach München kam, musste er noch ein Projekt für Kenneth Branagh beenden und arbeitete deshalb bis zehn Uhr abends.  

Arbeiten kann Patrick Doyle überall, denn er ist Trubel gewöhnt – schließlich hat er zwölf Brüder und Schwestern. Nur das Gurren der Tauben oder der Krach, den die vielen Sittiche in London machen, stören ihn. Aber eigentlich kann er mit jedem Krach bei der Arbeit fertig werden, nur Musik stört ihn. Oder Gesang. Oder Hugh Grant. Hört er Hugh Grants Indianerstimme, kann er nicht mehr komponieren.

Mit Musik kam Patrick Doyle schon früh in seiner Großfamilie in Berührung. Gesungen wurde dort, solange er denken kann, und alle waren musikalisch. Mit einem Aufnahmegerät habe der Vater immer die Familienpartys aufgenommen und die Tapes dann zur Familie in die USA geschickt. Der Vater sang Tenor, sogar mit 92 ist er noch gut bei Stimme.

Schwere Zeit durch Krankheit

Im Gespräch mit Martin Wagner schildert Patrick Doyle auch seine Leukämie-Erkrankung vor zwei Jahren. Seine Frau habe es schon gewusst, bevor der Arzt die Diagnose stellte. Eine schwere Zeit, in der er seinen Kindern nie erlaubte, ihn krank im Bett liegen zu sehen. Und wie ernst es um ihn stand, wurde den Kindern verschwiegen. Aber sie haben ihm damals Kraft gegeben. Er habe sich im Krankenhaus ihre Energie vorgestellt und dann Pläne geschmiedet: Europa anschauen, überhaupt mehr reisen und wieder gesund werden. Im Krankenhaus schafft er es sogar, Filmmusik zu schreiben. Er kann weder Fernsehen schauen noch Hörbücher benutzen, aber es gelingt ihm, Noten zu schreiben. Anfangs ist er nur in der Lage, eine halbe Minute aufzustehen und Musik zu schreiben – bis er schließlich fünf Minuten am Tag komponieren kann. „Du bist wie Dracula nach der Blutspende und fühlst dich tatkräftig.“ 

Seine Kollegen reagieren mit tiefschwarzem britischen Humor auf Doyles Krankheit. Emma Thompson schickt ihm ein Geschenk: ein Sarg mit einem Skelett, vielen Perücken und einem Foto von Frankenstein. Schwestern und Ärzte sind entsetzt. Alan Rickman kommt vorbei und sagt: „Oh, ich habe gehört, Sie werden sterben. Wie bedauerlich.“ Und es ist unüberhörbar, Patrick Doyle liebt solche Geschichten.

 Am Anfang einer Filmmusik

Was muss er über einen Film wissen, bevor er mit seiner Arbeit beginnt? Patrick Doyle kurz und bündig: „Der Regisseur ruft an, nennt das Thema, und ich fange sofort an zu arbeiten.“ Eine Maxime hat er allerdings: Gilt ein Regisseur als schwierig, sagt er gleich „Nein“. Humor sei ganz wichtig, schließlich solle die Arbeit Spaß machen. Ein Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit: Régis Wargniers Film „Indochine“. Obwohl der Regisseur so ernste Filme drehe, sei er selbst sehr witzig und sophisticated. Ja, und manchmal komme es auch vor, dass ein Regisseur von seinen Ideen nicht so angetan sei. So wie bei „Planet der Affen: Prevolution“. Da habe er schon früh befürchtet, dass der Film, musikalisch gesehen, in die falsche Richtung gehen würde. Sechs Monate habe er daran gearbeitet und ein ungutes Gefühl gehabt. Dann erreichte ihn eine ellenlange E-Mail, die mit den Worten begann: „Lieber Pat, unglücklicherweise....“. Er habe sie sofort gelöscht. Und lieber angerufen. Doch nach längerem Hin und Her, Diskussionen und Überarbeitungen konnten sie sich auf eine Version einigen.  Doyles Fazit: „Du musst dir anhören, was die Leute wollen, musst ihnen aber auch deine eigenen Vorstellungen vermitteln. Es bleibt immer noch deine Phantasie und dein Beitrag.“

Von Patrick Doyle wird noch viel zu hören sein. „Die Geschäftigkeit hört nicht auf. Wenn du älter wirst, ist der Druck fünfmal so hoch, weil die Erwartungen größer sind. Aber ich hoffe, ich bin dann auch fünfmal so gut.“

Gast

Patrick Doyle | Komponist

Moderation

Martin Wagner | Hörfunkdirektor BR


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