Bayern 2 - Zum Sonntag


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Digitaler Populismus Dem Zweifel Raum geben

Gerade in Zeiten des Kriegs und der populistischen Nutzung von sozialen Plattformen sollten wir dem Zweifel mehr Raum geben. Dabei kann uns Apostel Thomas ein Vorbild sein, meint Kardinal Reinhard Marx.

Von: Kardinal Reinhard Marx

Stand: 05.04.2024

Kardinal Reinhard Marx | Bild: BR

In der Nachrichtenflut unserer Gegenwart fällt es manchmal schwer, richtige und falsche Nachrichten zu unterscheiden. Manche populäre Schlagzeile wird schon heute von KI erzeugt, was nicht immer sofort erkennbar ist. Es ist insgesamt noch wichtiger geworden, sich nicht nur auf eine Quelle zu verlassen. Das gilt erst recht für Schlagzeilen, die manipulativ sind und einem bestimmten Interesse dienen sollen, etwa in einem Krieg. Der Zweifel müsste in unserer Gegenwart eigentlich Hochkonjunktur haben.

Sensibilität für Fragen der Wahrheit

Dagegen erstaunt manchmal doch die Leichtgläubigkeit, mit der vermeintlichen Quellen vertraut wird, die eher die eigene Sicht der Dinge verstärken und die eigenen „Echokammern“ bedienen. Eine populistische Nutzung vor allem der sozialen Plattformen bestärkt diese Tendenz. Das ist insgesamt eine gefährliche Entwicklung für unser Zusammenleben und für die Demokratie. Und es ist enorm wichtig, dass die Sensibilität für diese Fragen der Wahrheit und Wahrhaftigkeit bei Medienschaffenden und Mediennutzenden weiter steigen.

Wissen und Glaube brauchen den Zweifel

Leichtgläubigkeit auf der einen Seite und pauschaler Zweifel auf der anderen Seite verzerren die Wirklichkeit. Sie gründen nicht in einem positiven Menschenbild und zeugen auch nicht von Vertrauen in menschliche Beziehungen. Dabei brauchen Wissen, Glaube und auch Vertrauen den Zweifel. Zum wissenschaftlichen Arbeiten etwa gehört es dazu, Annahmen begründet in Zweifel zu ziehen, um Dinge weiter zu erforschen. Und der Zweifel ist auch in Beziehungen, die auf Vertrauen gründen und im Glauben nicht fremd. Ich würde sogar sagen, dass es keinen Glauben gibt ohne Zweifel.

Ein sprichwörtliches Beispiel dafür ist „der ungläubige Thomas“. Über ihn wird ja nicht grundlos am Sonntag nach Ostern berichtet: Thomas war mit Jesus unterwegs, er war einer seiner Freunde, gehörte zu den Aposteln. Thomas kannte Jesus und sein Reden also aus eigener Erfahrung. Und nach Jesu Tod soll er auf einmal Dinge glauben, die andere ihm sagen, ohne selbst erfahren zu können, wie es wirklich ist. Thomas wischt seine Zweifel nicht einfach zur Seite. Das Bild, als er seinen Finger in die Wunde Jesu legt, um verstehen, vertrauen und glauben zu können, ist weit bekannt.

Den Finger in die wunden Punkte legen

So unmittelbar können wir unsere Zweifel nicht stillen, weder im Glauben noch in der Überprüfung von Nachrichten. Aber in diesem Apostel Thomas können sich viele Menschen wieder erkennen, gerade weil er nicht leichtgläubig war, aber auch nicht im Zweifel stecken geblieben ist. Obwohl Jesus sagt, dass diejenigen selig sind, die glauben und nicht sehen, so verurteilt er aber Thomas und den Zweifel nicht. Und gerade deshalb kann dieser „ungläubige Thomas“ heutzutage so etwas wie ein „Sympathieträger des Zweifels“ sein. Und damit eben auch ein Wegweiser in Zeiten unübersichtlicher Nachrichtenlagen. Geben wir also dem Zweifel Raum, legen wir den Finger in die wunden Punkte, damit wir verstehen, vertrauen und glauben können. Denn Glauben und Vertrauen haben nichts mit Leichtgläubigkeit zu tun.


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