Bayern 2 - Zeit für Bayern


11

Bayerische Biotope I Ein Niederbayer in Berlin - eine Spurensuche

Berlin, Alexanderplatz. Dort, wo früher die größte Selbstbedienungskantine der DDR stand - von den Berlinern liebevoll "Fresswürfel"genannt - steht heute der größte weiß-blaue Biertempel Europas. Anlass zur Frage: Wie viel Bayern steckt in Berlin?

Von: Christoph Krix; Online-Fassung: Ulrike Ecker

Stand: 25.10.2015 | Archiv

Über 8.000 Bayern lassen sich jedes Jahr in der deutschen Hauptstadt nieder und viele wollen gar nicht mehr heim. Gründe dafür gibt es viele: der Job, das Studium und die Liebe. Manche wollen einfach nur mal weg aus dem satten Bayern.

Verein der Bayern in Berlin

Der älteste Bayern-Verein sitzt in Berlin, gegründet wurde er 1876 von einem Exil-Bayern. Mit seinen Hüttenabenden, Trachtenfesten, Dirndlschauen und einem Oktoberfest, ist der Verein sozusagen ein Stück echtes Bayern in Berlin.

Doch trotz aller hauptstädtischen Weltläufigkeit pflegen die "Südstaatler" mitten in Preußen gern weiterhin ihre bayerische Lebensart, sei es beim Schafkopf am Stammtisch, im ältesten Bayern-Verein der Welt, in einem der zahlreichen Nachahmer-Oktoberfeste oder in Europas größtem bayerischem Wirtshaus, dem Hofbräu am Alex.

"Am 'Alex' steht ein Hofbräuhaus, oans, zwoa, ..."

Mit seinen 1.600 Plätzen bietet der Hofbräu, der sich nicht so nennen darf wie sein Münchner Pendant, Exil-Bayern, Touristen aus aller Welt und angestammten Berlinern bayerisches Ambiente mit allem, was im landläufigen Sinn dazugehört: Blasmusik, Schuhplattln, Schweinshaxn und Weißwurst, gelegentlich auch Eisbein und Currywurst.

Den Bayer an und für sich sieht der Berliner eher mit Skepsis, gemischt mit einer Prise Herablassung und - ob seiner barocken Lebensart - einer Portion Neid. Prallen königlich-bayerische Ruhe, manchmal auch Grant genannt, und Berliner Schnoddrigkeit aufeinander, wird das mentale Nord-Süd-Gefälle manchmal offensichtlich.

"Jut, ja! Wir Berliner sind ja ziemlich tolerant. Hier dürfen auch Bayern wohnen und andere Menschen aus dem Süden. .... Ick seh sie eigentlich als lustiges Volk, zwar eigensinnig, feierfreudig aber trotzdem, find ick se sympatisch, das ist so ein Völkchen für sich! Aber sie wollen es ja auch so. Ja, klar und die Sprache, wir verstehen bei den Bayern nicht alles. Umgekehrt ist's genauso ..."

(Umfrage unter Berlinern)

Wie viel Klischee darf's denn sein?

Ausgerechnet ein Bayer, der Münchner Hermann Parzinger, wurde nach Berlin auf den preußischen Kulturthron als Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz berufen, eine der bedeutendsten Kultureinrichtungen weltwelt. Als Judoka-Kämpfer und Träger des schwarzen Gürtels sieht er die gegenseitigen Klischeezuweisungen eher fernöstlich gelassen:

"Dieser Quatsch, wir sind Bayern, ihr seid Preußen und Sachsen und Saarländer ... das ist Folklore. Wir sitzen in einem Boot und eigentlich ist das viel größer; das heißt nämlich Europa. Das ist die eigentliche Herausforderung, die wir stemmen müssen."

(Prof. Dr. h.c. Hermann Parzinger)

Der gebürtige Münchner findet die Metropole Berlin spannend, weltoffen und tolerant, sogar gemütlich im Vergleich zu London oder New York. Wehmütig wird er allenfalls, wenn er an einen schönen Abend im Biergarten unter Kastanien, mit Alpenblick und einem kühlen Bier denkt ... aber bitte nicht in diesen kleinen Gläschen! Da geht es ihm nicht anders als der Vroni aus Planegg.

Vroni Huber in ihrem "Ois is Tracht"- Laden in Berlin.

"Die schenken hier wirklich ein Bier im halben Liter-Krügel aus. Bis du wieder an deinem Platz bist, ist das schon wieder leer. Da kommt überhaupt kein Gespräch zustande, weil immer irgendjemand sein depperts Bier kaufen muss."

(Vroni Huber).

Vroni Huber kam der Liebe wegen nach Berlin - und ist geblieben. Nicht zuletzt dem Hype um alles Bairische und den vielen Berliner Oktoberfesten hat die Trachtenschneiderin ihre Existenz zu verdanken.

Ostsee vs. Chiemsee

Dabei sind viele Exil-Bayern gerade deshalb nach Berlin gezogen, um der übertriebenen Bayerntümelei zu entfliehen: zu gestylt, zu eng, zu klein, zu konservativ. Wie zum Beispiel Werner Stanglmeier. Er kommt daher, wo Bayern am schönsten ist: aus Huglfing im oberbayerischen Pfaffenwinkel. In Berlin lebt er schon seit 1970 und fühlt sich dort "saumäßig wohl". Und statt dem bayerischen Meer hat er jetzt ein echtes Meer fast vor der Haustür: die Ostsee, die nur zwei Stunden entfernt ist.

"Berlin war einfach das Zentrum der Welt. Berlin, das war 'ne richtige Entscheidung .... Damals, das war die Studentenbewegung, dann das Umschwenken der Stundentenbewegung ins Maositische, kommunistische Orangisationen, wo ich natürlich auch dabei war, dann die Grünen, da war ich Gründungsmitglied. Heute sehe ich, dass sich Teile Berlins in Richtung München entwickeln - so Schicki-Micki, reich, wohlhabend; Kinder im Ganzkörperkondom, das heißt also mit drei Jahren haben die Armschützer, Knieschützer, Helm auf und die ganze Familie kreist um die Kinder."

(Werner Stanglmaier, Biologie- und Deutschlehrer)

An der Spree und an der Isar zu Hause: Autor Christoph Krix

Christoph Krix studierte Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaften an der LMU München, später Philosophie an der FU Berlin. Es folgten Engagements an verschiedenen Theatern sowie zahlreiche TV-Auftritte in "Tatort", "Soko", "Löwengrube". Heute arbeitet er als Hörfunk-Autor und Synchron-Sprecher sowie als Schauspieler und Regisseur. Christoph Krix lebt in Berlin und München.


11