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Buchtipp Killen McNeill – "Lore und die letzten Tage"

Der Roman führt uns in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, in die Jahre 1944 und 45. Er erzählt die tragische Geschichte der jungen Lore und wie sie das Ende des Kriegs in Mittelfranken erlebt. Killen McNeills berührende Geschichte basiert auf historischen Fakten.

Von: Dirk Kruse

Stand: 18.12.2023 12:56 Uhr | Archiv

Killen McNeill stammt aus Nordirland, doch seit 50 Jahren ist er in Mittelfranken zuhause. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Englischlehrer an der Hauptschule in Scheinfeld. Und seit 20 Jahren schreibt er auch Romane. Zuerst noch auf Englisch, doch jetzt schon länger auf Deutsch. Er hat erfolgreich Frankenkrimis wie "Der falsche Feldhase" oder "Hassberg" veröffentlicht, aber auch Nicht-Genre-Romane wie "Am Strom" oder "Am Schattenufer".

Sein neuester Roman "Lore und die letzten Tage" beschäftigt sich mit dem Kriegsende in Franken aus der Sicht eines naiven BDM-Mädels.

Es ist der Sommer 1944 mitten im Krieg. Lore aus Nürnberg ist 15 Jahre alt, trägt stolz die Uniform des Bund Deutscher Mädels (BDM) und muss als Ernte- und Haushaltshilfe auf einem Bauernhof im Dorf Seilar bei Iphofen aushelfen. Schnell gewöhnt sich die Städterin ans Leben und Arbeiten auf dem Hof.

"Anfangs hat sie jeden zweiten Tag nach Nürnberg geschrieben, Briefe voller Heimweh, und hat die Briefe von ihrer Mutter und Oma sehnlichst erwartet. Dann als sie sich immer mehr einlebte, sind ihre Briefe seltener und knapper geworden. Sie liebt diesen Ort, das Entrückte. Es ist eine Zwischenwelt, in der sie sich aufgehoben fühlt. Und das Essen ist viel besser als in der Stadt, an Milch und Wurst fehlt es nicht, und jeden Sonntag gibt es einen Braten."

Zitat aus 'Lore und die letzten Tage'

Und Lore ist zum ersten Mal verliebt – in den besonnenen Hitlerjungen Anton. Wieder daheim in Nürnberg wird ihre Welt ein paar Wochen später komplett zerstört. Am 2. Januar 1945, als Lore in der Erlanger Kinderklinik aushilft, wird ihre Heimatstadt bei einem britischen Luftangriff in Schutt und Asche gelegt. Zwei Tage später wühlt sie in den Trümmern ihres Wohnhauses.

"Lore schiebt ihren Oberkörper über das Kellerloch und steckt den Kopf hinein. Sie kann nichts erkennen.
'Mama?', ruft sie. 'Oma?' Ma-ma-ma hallt es zurück.
'Was machst du denn da?', schreit eine männliche Stimme. 'Komm da weg, sofort!'
'Meine Mutter und meine Oma wohnen hier', schreit sie zurück, ohne den Kopf aus dem Loch zu ziehen. …Hier-ier-ier, hallt ihre Stimme aus dem Keller. 'Lieselotte Mangold und Auguste Marloth.' …Lot-tot-tot.
'Wir haben sie gefunden', antwortet der Mann. 'Alle beide. Sie haben es nicht überlebt. Gestern haben wir sie zum Theresienplatz gebracht. Komm jetzt weg. Es ist gefährlich da.'"

Zitat aus 'Lore und die letzten Tage'

In ihrer Not flieht Lore nach Sailar, wo sie von der Bauernfamilie wieder aufgenommen wird. Dort trifft sie auch Anton wieder, der ebenfalls seine Eltern bei einem Luftangriff verloren hat. Doch in Sicherheit sind beide Liebenden nicht. Denn die Front rückt immer näher und fanatische Nationalsozialisten verteidigen den Ort gegen die anrückenden Amerikaner. Jeder, der auch nur eine weiße Fahne heraushängt, wird von der SS erschossen.

Der Nordire Killen McNeill, der 1973 zum Studieren nach Erlangen kam und der Liebe wegen in Franken blieb, war schon immer fasziniert von der Geschichte des Nationalsozialismus. Für seinen Roman "Lore und die letzten Tage" wurde er beim Wandern bei Iphofen inspiriert.

"Bei einer Wanderung bei Dornheim fanden wir sechs Soldatengräber aus den letzten Kriegstagen. Und das waren ganz junge Kerle um die 18 Jahre alt. Die sind bei der sinnlosen Verteidigung von Dornheim umgekommen. Mit der Zeit kam im Gespräch, wie Robert Limpert in Ansbach hingerichtet wurde, oder auch dieser Frauenaufstand in Bad Windsheim. Und so nach und nach sickerten für mich Erkenntnisse über die letzten Tage in Franken durch. Da habe ich gedacht: Das ist wirklich interessant. Darüber will ich mehr wissen. Und dann habe ich darüber recherchiert."

Killen McNeill

Robert Limpert war ein 19-jähriger Student, der in Ansbach mit Flugblättern zu einer kampflosen Übergabe der Stadt aufrief. Er wurde vom Nazi-Oberst Ernst Meyer persönlich am Rathaustor aufgeknüpft. Und das nur drei Stunden bevor die Stadt dann doch kampflos übergeben wurde.

Etliche Dörfer im westlichen Steigerwald wurden durch Tieffliegerangriffe zerstört, weil die SS ihre friedliche Übergabe verhinderte und jeden Zivilisten standrechtlich erschoss, der das tun wollte. Viele solcher Geschichten vom Kriegsende hat Killen McNeill recherchiert. Etwa im Zeitungsarchiv in Neustadt an der Aisch.

"Da taucht man richtig ein. Die Zeitungen aus dem ganzen Dritten Reich sind da vorhanden. Nicht nur die Berichte von der Front, sondern auch was Zuhause passiert war, also auch Preise, Werbung und so. Total interessant. Ich habe auch Bücher darüber gelesen und natürlich Zeitzeugen befragt. Das waren ganz interessante Gespräche. Sie haben freizügig und offen über diese letzten Kriegstage geredet. Das war für mich hochinteressant."

Killen McNeill

Das Dorf Seilar mit seinem SS-Stützpunkt im Schloss und die Geschichte von Lore und Anton sind fiktiv. Doch beruht der ganze Roman auf Tatsachen.

"Für mich am interessantesten war, dass sie alle – die waren ja auch in der Hitlerjugend und im BDM – bis fast zum Schluss an Hitler und den Endsieg glaubten. Das habe ich übernommen für die Figur von Lore. Ihr geht es auch so. Und das ist den jungen Menschen auch gar nicht zu verdenken, denn sie bekamen das von allen Seiten eingehämmert."

Killen McNeill

Info und Bewertung:

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Killen McNeill: Lore und die letzten Tage, Cadolzburg 2023, Ars Vivendi Verlag, 240 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-7472-0524-2

Mit "Lore und die letzten Tage" erzählt Killen McNeill eine tragische und berührende Geschichte über das Kriegsende in Franken. Der Autor macht einfühlsam und faktengenau Geschichte lebendig und lässt uns Nachgeborene mitleiden und mithoffen.

Ein Roman, der auch von erschreckender Aktualität ist, weil er zeigt, was Krieg und Fanatismus anrichten. Und er tut das in einer sensiblen, gleichfalls zupackenden Sprache. Das ist umso höher zu bewerten, weil McNeill diesen Roman auf Deutsch und nicht in seiner Muttersprache Englisch geschrieben hat. Eine absolute Leseempfehlung.


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