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Das Thema Ende des Osmanischen Reiches

Stand: 14.01.2014 | Archiv

Istanbul: Die Festung Rumeli Hisar an der Meerenge Bosporus | Bild: picture-alliance/dpa

Im späten 13. Jh. trat im nordwestlichen Anatolien der Sohn eines turkmenischen Stammesfürsten die Herrschaft über ein kleines Fürstentum an. Osman I., der Begründer der gleichnamigen Dynastie war ein islamischer Glaubenskämpfer, dem sich in der Hoffnung auf reichen Beutegewinn immer mehr turkmenische Nomaden anschlossen. Er fiel mit seinen Kriegern immer wieder ins byzantinische Grenzgebiet ein und vergrößerte so beständig sein Territorium und seinen Reichtum. Auch seine Nachfahren setzten die Expansionspolitik im Kampf gegen die "Ungläubigen" fort, so dass das religiöse Oberhaupt der Muslime, der Khalif in Kairo sich gezwungen sah, den osmanischen Herrschern den Titel "Sultan" (Schutzherr des Islam) zu verleihen.

Abgesehen von einem kurzen Intermezzo zu Beginn des 15. Jh. (Niederlage gegen den Mongolenherrscher Tamerlan und daraus resultierende kurzzeitige Aufteilung des Reiches) gelang es den folgenden osmanischen Herrschern, das Reich zu festigen.

Hierbei spielte auch der forcierte Ausbau des Militärwesens eine große Rolle, die Janitscharen gewannen zunehmend an Bedeutung. Diese Eliteeinheit sicherte sich ihren Nachwuchs durch die sogenannte "Knabenlese": die unterworfenen Balkanländer wurden dazu verpflichtet, den Osmanen regelmäßig einen Teil ihrer besonders gut gewachsenen und begabten Knaben als Tribut zu überlassen. Diese meist christlichen Kinder wurden islamisch umerzogen und gut ausgebildet, um ihr Leben dem militärischen Dienst zu weihen, oder, je nach Fähigkeit, in ein höheres Staatsamt zu gelangen.

Als Blütezeit des Osmanischen Reiches wird die Zeit von Mehmet II., "Fatih" (der Eroberer) (1451-1481) bis Süleyman I. dem Prächtigen (1520-1566) angesehen. Mehmet II. eroberte 1453 Konstantinopel, die Hauptstadt des ehemals so mächtigen Gegners Byzanz und machte sie unter dem Namen Istanbul zur osmanischen Metropole und zur neuen Hauptstadt. Das Reich erstreckte sich zu dieser Zeit über drei Kontinente: vom persischen Golf bis nach Ungarn und vom Nil bis zur Ukraine.

Aufbau des Osmanischen Reiches

An der Spitze des zentralistisch organisierten Staates stand als absoluter Herrscher der Sultan, der während der Blütezeit auch noch als aktiver Feldherr agierte. Für die täglichen Regierungsgeschäfte war der Großwesir zuständig (dessen Machtfülle von seinem persönlichen Ehrgeiz und vom jeweiligen Sultan abhing). Dieser wiederum musste seine Entscheidungen mit dem Großherrlichen Diwan (dem Staatsrat) abstimmen, der sich aus den Spitzen des Militärs und der Verwaltung zusammensetzte.

Ursachen für den Niedergang

Bereits zu Beginn des 17. Jh. gab es im Osmanischen Reich selbst Beobachter, die ihr Jahrhundert mit den glorreichen Zeiten des 15. und 16. Jh. verglichen und daher vom Niedergang des Reiches sprachen. Tatsächlich geriet das ausgeklügelte und wohlgeordnete System des osmanischen Staates ins Wanken, und zwar aus vielfältigen, sich gegenseitig potenzierenden Gründen: einerseits verlagerten sich die Haupthandelswege der Welt vom 16. zum 17. Jh. vom Mittelmeer zum Atlantik (Stichwort: Neue Welt), wodurch die Einnahmen aus Zoll und Steuern sehr stark zurückgingen. Andererseits stieß das Reich sowohl im Osten als auch im Westen an die Grenze seiner Expansionsmöglichkeiten. Da aber im Rahmen des Timar-Systems mittlerweile nicht nur die Sipahis (Reitersoldaten), sondern auch viele Verwaltungsangestellte durch Bodenbesitz entlohnt wurden, mussten die Pfründe immer mehr verkleinert werden, was die Inhaber dazu brachte, von den Bauern höhere Abgaben zu verlangen. Das wiederum führte zur Verelendung der bäuerlichen Bevölkerung und zur Landflucht, wodurch wieder weniger Steuern eingenommen wurden.

Die allgemeine Finanznot hatte dann zur Folge, dass sich Ämterkauf, Vetternwirtschaft und Korruption auf allen Ebenen der Bürokratie immer stärker ausbreiteten.

Wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise strömten immer mehr Türken ins Militär, das Prinzip der Knabenlese wurde nach und nach aufgegeben, wodurch aber auch keine Elite mehr herangezüchtet wurde. Disziplinmangel machte sich breit bei den Janitscharen, schwächte Schlagkraft und Innovationsfähigkeit des Militärs und führte schließlich zu zahlreichen militärischen Misserfolgen wie zum Beispiel der legendären Niederlage der Osmanen vor Wien 1683.

Einflüsse von außen

Die Niederlage gegen die Habsburger war nicht nur ein epochales Ereignis, sie zog auch eine Vielzahl weiterer Kriege an der europäischen Front nach sich, die das ganze 18. Jahrhundert andauerten und fast alle mit territorialen Einbußen der Osmanen endeten. Die langen und verlustreichen Kriege beschleunigten wiederum die Verfallserscheinungen im Inneren, zaghaft unternommene Reformversuche fanden zu dieser Zeit noch keinen Anklang.

Anfang des 19. Jh. war das Osmanische Reich immer noch riesig, weit von Istanbul entfernt liegende Gebiete wurden allerdings nicht durch eine starke Truppenpräsenz kontrolliert, sondern man begnügte sich mit jährlichen Steuerzahlungen der Regionalfürsten und Stammesführer. Diese Politik hatte sich im multi-ethnischen Imperium über Jahrhunderte bewährt, geriet nun aber aus verschiedenen Gründen aus dem Gleichgewicht. Der immer stärker werdende Nationalismus der unterworfenen Länder vor allem auf dem Balkan, führte zu mannigfaltigen Unabhängigkeitsbestrebungen, die von den westeuropäischen Mächten unterstützt wurden, da diese sich davon Vorteile erhofften. Zudem war das Osmanische Reich für die europäischen Großmächte im 19. Jh. kein ernsthafter Gegner mehr, denn sie hatten erkannt, dass sie den Osmanen auf politischer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene weitaus überlegen waren. So kam es, dass das Osmanische Reich immer mehr zum Spielball zwischen den europäischen Großmächten wurde, man diskutierte die "Orientalische Frage", die vereinfacht lautete: Ist es für Europa besser, wenn das Osmanische Reich fortbesteht, oder wenn es gänzlich zerfällt?

Im Krimkrieg, der 1856 von Zar Nikolaus dem Ersten (er wird als Schöpfer der Formulierung "kranker Mann am Bosporus" angesehen) provoziert wurde, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen dem Zarenreich und einer französisch-britisch-osmanischen Allianz. Diese fanden durch den "Frieden von Paris" ihr Ende, und als Kompromiss wurde das Osmanische Reich anerkannt, das heißt, man einigte sich darauf, dass keine der europäischen Großmächte die Kontrolle über das Reich bekam.

Jede dieser Mächte hatte nämlich ein Interesse an den Gebieten der Osmanen. Russland wollte zum Beispiel einen freien Zugang zum Mittelmeer, da Russlands beste Häfen im Schwarzen Meer lagen und nur über die Meerenge des Bosporus und der Dardanellen erreicht werden konnten. Großbritannien wollte über die Kontrolle der Kerngebiete des osmanischen Staates seine strategischen Wege nach Indien sichern.

Allein Deutschland hatte aus der Sicht der Osmanen kein direktes Interesse an der Krisenregion Balkan, wo das Reich am schnellsten bröckelte. Dadurch erklärt sich auch die zunehmende Affinität zu Deutschland, die allerdings bereits Tradition war, hatte sich doch schon Mehmet II. (1808-1839) den deutschen Feldmarschall von Moltke als Militärexperten nach Istanbul geholt. Auch wenn sich die Deutschen nach einem weiteren Krieg Russlands gegen das Osmanische Reich als unabhängige Vermittler darstellten (Bismarck sprach von sich selbst als "ehrlicher Makler" beim Berliner Kongress 1878), so war ihr Verhalten doch nicht so selbstlos wie es schien: heute weiß man, dass die deutsche Rüstungsindustrie der größte Gewinner dieser Zusammenarbeit war, so empfahlen doch die kaiserlichen Offiziere, die der Sultan Abdülhamid ab 1882 als Militärberater ins Land holte, selbstverständlich Kanonen von Krupp und anderen deutschen Rüstungsfirmen.

Auch zivile Wirtschaftsprojekte, wie zum Beispiel die Bagdad-Bahn nutzten den Deutschen. Bei diesem Infrastruktur-Projekt im ganz großen Stil (Istanbul wurde per Schiene mit dem 2250 km entfernten Bagdad verbunden) gaben deutsche Banken Kredite und der Bau wurde vom deutschen Holzmann-Konzern ausgeführt.

Reformen und Revolten

Seit dem Ende des 18. Jh. war die tödliche Krise des Osmanischen Reiches unübersehbar geworden. Sultan Selim III. (1789-1807) und seine Nachfolger unternahmen nun ernsthafte Versuche einer strukturellen Reform der Verwaltung, des Militärwesens und des Bildungssystems. Dem Widerstand der militärischen Elitetruppe, der Janitscharen wurde 1826 mit einem Massaker ein Ende gesetzt, wodurch der Weg zur Modernisierung der Armee frei wurde.

1839 veröffentlichte Sultan Abdülmecit ein Handschreiben, indem es um "Wohlwollende Anordnungen" ging, und läutete damit das Zeitalter der "Tanzimat-Reformen" ein: erstmals garantierte eine Verfassung die Sicherheit des Lebens, der Ehre und des Privateigentums. Eine öffentliche Rechtsprechung wurde eingeführt und die Religionen wurden gleichgestellt. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. erlangten immer mehr Staaten die Unabhängigkeit (z.B. Serbien, Montenegro, Rumänien), allerdings nicht immer auf unblutige Weise: 1888 ließ der Sultan den Aufstand auf Kreta brutal niederschlagen.

Innenpolitisch wurde die Situation immer verworrener. Während die islamischen Theologen und Gemeindevorsteher und auch ein Teil der Beamten ihre Privilegien durch die Reformen bedroht sahen, gingen den anderen, insbesondere westlich orientierten Absolventen der technischen Schulen, die sich unter dem Namen "Junge Osmanen" oder später auch "Jungtürken" zusammenfanden, die Reformen des Sultans nicht weit genug.

Diese, zunächst illegale Bewegung, strebte kulturell die Befreiung der türkischen Sprache von arabischen und persischen Einflüssen, und politisch eine liberale, westlich orientierte Modernisierung des Landes an. Die jungen Offiziere aus dieser Bewegung zwangen 1908 durch eine Militärrevolte Sultan Abdülhamid dazu, die inzwischen lange suspendierte Verfassung wieder in Kraft zu setzen.

Bedingt durch die Staatskrise sah sich Abdülhamid 1909 gezwungen, die Sultanswürde seinem Bruder Mehmet zu übertragen, dieser jedoch konnte sich vor dem Hintergrund erneuter Balkanwirren lediglich als Galionsfigur eines Regimes behaupten, das in Wirklichkeit von drei Männern gesteuert wurde, die den "Jungtürken" angehörten.

Der führende Kopf dieser drei war Ismail Enver, der ebenfalls 1909 als Militärattaché an die osmanische Botschaft nach Berlin ging. Ihm ist es wohl auch zuzurechnen, dass das Osmanische Reich 1914 an der Seite von Deutschland und Österreich-Ungarn in den Ersten Weltkrieg eintrat.

Doch der große Krieg, der die Geburt des neuen türkischen Staates mit sich brachte, begann für die Osmanen im Grunde schon 1912 mit den Auseinandersetzungen auf dem Balkan und endete erst 1922 mit der Befreiung türkischen Bodens von fremden Okkupationsmächten. Am 1. November jenen Jahres setzte das Parlament auf Drängen des Generals und Kriegshelden Mustafa Kemal, der später als Gründervater der neuen Republik den Ehrennamen "Atatürk" erhielt, den letzten Sultan ab. Mit seinem Abgang endete nach über 600 Jahren die Herrschaft der Osmanen.

 


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