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Die Schüsse von Sarajewo Glossar

Stand: 01.08.2014 | Archiv

PersonWerdegang
Franz Ferdinand
(1863-1914)
Der Neffe des Kaisers Franz Joseph (1830-1916) macht Karriere in der österreichisch-ungarischen Armee. Nach dem Selbstmord des Kronprinzen Rudolph (1889) und dem Tod seines Vaters, des Erzherzogs Karl Ludwig (1833-1896), steigt Franz Ferdinand zum Thronfolger der Donaumonarchie auf. Im Jahr 1900 heiratet er gegen den Willen des Kaisers die Gräfin Sophie Chotek (1868-1914). Weil die Ehe als nicht standesgemäß gilt, bleibt Sophie vom Hofprotokoll ausgeschlossen. Das Verhältnis Franz Ferdinands zum Kaiser und seinen Beratern ist angespannt. Seine Verschläge zur Modernisierung der Habsburgermonarchie stoßen auf wenig Gegenliebe. Von den Regierungsgeschäften wird er ferngehalten und erst 1913 zum Generalinspekteur der Streitkräfte ernannt. Mit einer Gruppe junger Reformer ("Belvederekreis") entwirft Franz Ferdinand Pläne zum Umbau des Vielvölkerstaates in eine Dreifachmonarchie unter Einbindung der Slawen. Damit zieht er sich den Hass radikaler Panslawisten zu. Am 28. Juni 1914 fällt er zusammen mit seiner Frau einem von Serben organisierten Attentat zum Opfer.
Gavrilo Princip
(1894-1918)
Princip stammt aus einer armen serbischen Familie, die im Nordwesten Bosniens lebt. Er macht durch gute Leistungen in der Schule auf sich aufmerksam und darf das Gymnasium besuchen. Früh interessiert er sich für serbisch-nationale Literatur und träumt vom Befreiungskampf der Balkanvölker gegen Osmanen und Österreicher. Bosnien, das 1908 von Österreich-Ungarn annektiert wurde, soll in seinen Augen nicht zur Donaumonarchie, sondern zum serbischen Staat gehören. Getrieben von nationalistischer Begeisterung reist Princip 1912 nach Belgrad. Bei Ausbruch des Balkankrieges meldet er sich freiwillig zur serbischen Armee, doch der schwächliche Junge wird als untauglich ausgemustert. Enttäuscht wendet er sich der Untergrundorganisation "Junges Bosnien" zu. Zusammen mit anderen Schülern und Studenten schmiedet er Attentatspläne und bereitet - wohl logistisch unterstützt vom serbischen Geheimdienst - den Anschlag auf Erzherzog Franz Ferdinand vor, der Ende Juni 1914 zum Manöverbesuch nach Bosnien kommt. Princip ist ein Bewunderer des legendären serbischen Adeligen Milos Obilic, der am 28. Juni 1389 angeblich den Osmanensultan Murad I. tötete. Der Habsburger Franz Ferdinand ist für Princip die Reinkarnation des Unterdrückers Murad, sich selbst betrachtet er als neuen Obilic. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Am 28. Juni 1914 erschießt Gavrilo Princip in Sarajewo das österreichische Thronfolgerpaar und löst eine Krise aus, die in den Ersten Weltkrieg mündet. Nach dem Attentat wird Princip verhaftet und vor Gericht gestellt. Weil er mit 19 Jahren noch nicht voll strafmündig ist, wird er nicht zum Tode, sondern zu 20 Jahren Kerkerhaft verurteilt. Im April 1918 stirbt er in der Festung Theresienstadt.
BegriffErklärung
BosnienIm späten 14. Jahrhundert ist das Königreich Bosnien ein südslawischer Staat, der mehr und mehr von den auf europäischen Boden vordringenden Osmanen bedrängt wird. In 1460er Jahren gerät Bosnien unter osmanische Herrschaft. 1875 erheben sich die Bosnier gegen die Besatzer. 1878 übernimmt Österreich-Ungarn die Kontrolle über die Region. Im Jahr 1908 annektiert das Habsburgerreich Bosnien - Serbien, von Russland unterstützt protestiert dagegen, kann sich aber nicht durchsetzen. Auch innerhalb der Bevölkerung Bosniens regt sich Widerstand.
Entente cordialeWeil sich die Beziehungen zum Deutschen Reich verschlechtern, sucht Großbritannien 1904 die Annäherung an Frankreich. Beide Staaten grenzen ihre Interessensphären in Nordafrika ab. Ein formelles Bündnis wird nicht geschlossen, aber die Entente cordiale (= herzliches Einvernehmen) soll der Beginn eines dauerhaften Zusammenwirkens sein.
Fischer-Kontroverse1961 kommt der Historiker Fritz Fischer (1908-1999) zu dem Schluss, dass vor allem der "deutsche Griff nach der Weltmacht" den Ersten Weltkrieg auslöste. Der Elite im Kaiserreich, insbesondere in Preußen, attestiert er einen Kriegswunsch. Das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand ist für Fischer und seine Schüler nur der willkommene Anlass, die Katastrophe vom Zaun zu brechen, um Kriegsziele wie umfangreiche Gebietsgewinne zu erreichen. Fischers konservative Kritiker, allen voran der Historiker Gerhard Ritter (1888-1967), ziehen gegen diese Anklage publizistisch zu Felde. Heute überwiegt die Auffassung, dass die Besonderheit der Bündnissysteme die Führungen der Großmächte in den Krieg "hineinschlittern" ließ.
PanslawismusAb dem frühen 19. Jahrhundert empfinden sich Angehörige der verschiedenen slawischen Sprachen - viele von ihnen leben auf osmanischem Territorium oder im Habsburgerreich - zunehmend als Solidarverband. Nach dem Ersten Panslawistischen Kongress 1848 in Prag wird der Panslawismus (pan; griechisch = alles) zur politischen Bewegung, deren Ziel die Einigung aller Slawen ist. Russland betrachtet sich als Schutzmacht aller Slawen.
SerbienMitte des 14. Jahrhundert herrscht das Serbische Reich über weite Teile der Balkanhalbinsel. In den 1370er Jahren kommt es zu ersten Auseinandersetzungen mit osmanischen Truppen. Am 15. Juni 1389 - nach dem julianischen Kalender am 28. Juni - prallen die Heere des Serbenführers Lazar Hrebeljanovic und des Sultans Murad I. auf dem Amselfeld in der Region Kosovo aufeinander. Die Quellenlage zur Schlacht ist dürftig, fest steht wohl nur, dass weder Lazar noch Murad den Kampf überleben.
Nach serbischer Überlieferung begibt sich ein Adeliger namens Milos Obilic ins Lager Murads und tötet den Tyrannen. In der Schlacht kämpfen die Serben mit größter Tapferkeit, werden aber besiegt. Lazar stirbt als Märtyrer für sein Land, die Zeit der grausamen Türkenherrschaft beginnt. Die Gefechte auf dem Amselfeld stilisieren serbische Dichter zur Schicksalsschlacht, der Attentäter Obilic wird als Freiheitsheld verehrt. Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein wehklagend-sentimentales serbisches Geschichtsverständnis, das im 19./20. Jahrhundert mit einem Radikalnationalismus einhergeht. Anhänger eines Großserbentums fordern die Vereinigung aller serbischen Siedlungsgebiete in einem Staat. Der Amselfeld-Obilic-Mythos ist identitätsstiftend und dient als willkommenes Instrument im Kampf der Serben um nationale Einheit.
Tatsächlich existiert das Serbische Reich, wenngleich geschwächt, nach der Schlacht auf dem Amselfeld weiter. Erst in den 1450er Jahren fällt Serbien gänzlich unter osmanische Kontrolle. Nach zwei großen Aufständen zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhält Serben innerhalb des osmanischen Reiches Autonomie. 1878 wird das Fürstentum Serbien unabhängig, 1882 Königreich. Während der Balkankriege 1912/13, die zur fast vollständigen Verdrängung des Osmanischen Reiches aus Europa führen, kann Serben sein Staatsgebiet nahezu verdoppeln.
Im frühen 20. Jahrhundert ist in Serbien ein panslawistisches Netzwerk aktiv, das Armee und Geheimdienst durchdringt. Die Terrororganisation "Schwarze Hand", deren Schlüsselfigur Dragutin Dimitrijevic (1876-1917), der Chef des Militärgeheimdienstes ist, steuert nationalistische Gruppen im Ausland wie das "Junge Bosnien".
SlawenIm Zuge der Völkerwanderung dringen Slawen aus dem südlichen Osteuropa bis zur Elbe und Saale vor und besiedeln den Balkan. Ab dem 8. Jahrhundert entstehen slawische Staaten. Im 14./15. Jahrhundert fallen die slawischen Gebiete auf dem Balkan dem Expansionsdrang der Osmanen zum Opfer. Erst mit Niedergang des Osmanischen Reiches tun sich im 19. Jahrhundert für die Völker Südosteuropas neue Chancen auf, Nationalstaaten wie Serbien und Bulgarien entstehen. Auch in der Donaumonarchie, in der zahlreiche Slawen - Tschechen, Slowaken, Serben, Kroaten, Slowenen - leben, rumort es. Während Tschechen vehement nationale Rechte fordern, formiert sich eine südslawische Bewegung, der Jugoslawismus, dessen Ziel ist der Zusammenschluss aller Serben, Slowenen und Kroaten in einem Staat ist.

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