Bayern 2

     

radioTexte am Sonntag Maria Borrély: Mistral

Sonntag, 10.12.2023
12:30 bis 13:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Wiederentdeckung aus der Provence: Amelie Thomas Neuübersetzung der bildgewaltigen Geschichte einer mutigen jungen Frau in knorriger Landschaft. Gespräch mit Amelie Thoma, Lesung und Podcast

"Ihr Herz ist ein blühendes Feld, das nach Hoffnung duftet."

Ein Bauernhof in der Provence, allen Winden preisgegeben: Hier lebt die junge Marie. Der Vater träumt davon, die Heide umzupflügen. Marie träumt von Olivier. Doch als sie sein Geheimnis herausfindet, gerät alles in Wanken. Die Wiederentdeckung einer Autorin, die André Gide faszinierte und eines Romans von 1930, der von Klimawandel, Natur und Liebe erzählt.

Wiederentdeckung eines literarischen Kleinods

Übersetzerin Amelie Thoma überträgt feministische Ikonen wie Simone de Beauvoir oder Leïla Slimani ins Deutsche. Ihren Sommerurlaub verbringt sie oft in Puimoisson mit ihrer Familie. Dabei entdeckte sie vor wenigen Jahren Borrélys Roman - "Sous le vent" im Original - der in einer Vitrine einer Dorfkneipe ausgestellt wurde. Neugierig begann Amelie Thoma zu lesen und war gebannt:

„Ich machte mich auf eine ländlich-pittoreske Erzählung gefasst, doch die Sprache des kurzen Romans war beeindruckend: zugleich bäuerlich und poetisch, archaisch und modern. Ein echtes literarisches Kleinod!“ (Amelie Thoma, Nachwort zum Roman „Mistral“)

Nature Writing, Klimawandel, Feminismus

In der Literatur hat das Wetter oft prophetische Kraft, spiegelt Seelenleben. Das ist auch in „Mistral“ der Fall, dem Roman, in dem der Wind die Titelfigur ist; dieser schneidende, raspelnde Mistral, dem die knorrigen Bäume, die Ernte, die Höfe ähnlich schutzlos preisgegeben sind wie die unglücklich verliebte Heldin Marie ihrem Gefühlschaos - „archaisch und modern“ zugleich, wie Amelie Thoma in ihrem klugen Nachwort schreibt. Maries Schicksal scheint an die von Winden und Bauern zerfurchte Erde gebunden, antiken Tragödien ähnlich.

"Man hat die Erde kaputt gemacht, das Klima verändert. Es regnet immer weniger. (…) Die Erde ist alt geworden. Unter ihrer gelben Haut treten die Felsen, die ihre Knochen sind, hervor. Der Wind stürzt sich auf sie wie ein Totschläger. Er kratzt, heult mörderisch."
Maria Borrély, "Mistral"

Maria Borrély hat fast ihr ganzes Leben in einer Landschaft verbracht, die kulturverwaist und zugleich charaktervoll ist. Die existentielle Bedeutung von Wetter und Klima, der Natur für uns Menschen ist auf den nur hundert Seiten stets präsent und natürlich auch heute noch brisant als frühes Nature Writing.

Das radioTexte-Team freut sich mit Amelie Thoma und dem Kanon Verlag, "Mistral" nun auch als Hörbuch-Podcast anbieten zu können.
Start: 10. Dezember in der ARD Audiothek
Im Radio: Dienstags und donnerstags, 21.05 Uhr auf Bayern2
Vollständige Lesung mit Katja Bürkle
Ton und Technik: Daniela Röder und Tim Höfer
Regie: Irene Schuck
Moderation und Redaktion: Kirsten Böttcher
Produktion: Bayerischer Rundfunk 2023
Das Buch ist im Kanon Verlag erschienen, aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Amelie Thoma.

Maria Borrély (1890-1963), geboren in Marseille, lebte ein Leben zwischen Aufbruch und Rückzug. Mit ganzem Herzen arbeitete sie seit ihrem 19. Lebensjahr als Lehrerin, versuchte, reformpädagogische Ansätze in den Dorfschulen durchzusetzen. "Mistral", der erste von insgesamt vier Romanen, die innerhalb weniger Jahre entstanden, wurde 1930 auf Empfehlung von André Gide bei Gallimard veröffentlicht. Maria Borrélys literarisches Talent entfaltete sich in der Künstler-Gruppe um Jean Giono ("Der Husar auf dem Dach"), die in den 30ern in der Haute-Provence eine kurze intensive Blüte erfuhr.