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Bayern genießen Es war einmal – Bayern genießen im November

Nein, keine Angst: Wir schwelgen heute nicht in Nostalgie. Früher war nicht alles schöner und besser. Aber fürs Geschichten und Geschichte erzählen gibt’s keine bessere Zeit als lange neblige Novembertage.

Stand: 02.11.2021 | Archiv

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Es war einmal"

Oberbayern: Hell und dunkel, gut und böse. Märchenausstellung in Dachau. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Der Mühlhiasl. Ein Prophet im Bayerischen Wald. Von Uli Scherr
Oberpfalz: Schönwerths Bayerische Märchen aus der Oberpfalz. Von Thomas Muggenthaler
Oberfranken: Die Alte Posthalterei im oberfränkischen Aufseß. Von Susanne Roßbach
Mittelfranken: Viel mehr als Bratwurst: Alte Nürnberger Gerichte. Von Tobias Föhrenbach
Unterfranken: Eine märchenhafte Landschaft: Der Spessart. Von Christiane Scherm
Schwaben: Die Wildnis - überschätzte heile Naturwelt? Von Doris Bimmer

Oberbayerische Märchenausstellung Dachau

Lernen. Das kann man allein im stillen Kämmerlein tun, die Kinder haben das in den vergangenen Monaten zur Genüge praktiziert. Viel besser aber geht’s natürlich in Gemeinschaft: Das unter in Unterricht oder Unterhaltung kann auch die Bedeutung zwischen haben. Zwischen Lehrenden und Lernenden wird Wissen vermittelt. Da ist einer, der erzählt was, die andern sind ganz Ohr, sie folgen den Gedanken des Lehrers, wie man einer Ackerfurche folgt. Ackerfurche heißt auf lateinisch lira, womit wir wieder beim Lehren und Lernen sind. Gelernt ist natürlich schon immer worden, da waren Schulen längst nicht erfunden. Und jahrtausendelang haben die Unterrichtsstunden angefangen mit Es war einmal. Märchen und Sagen sind die älteste Literaturform, die wir haben. Zunächst rein mündliche Literatur. Bis sie im 18. Jahrhundert gesammelt, bearbeitet und in Büchern festgehalten wurde. Während Sagen häufig auf regionale Besonderheiten und lokale Ereignisse Bezug nehmen, also quasi eine Art Heimatkunde vermitteln, sind Märchen ein Spiegel der menschlichen Seele und des Geistes. Heute würde man sagen sie spiegeln die condicio humana, also die Grundlagen der menschlichen Existenz, die menschliche Natur: Alt und Jung, Glück und Unglück, Arm und Reich, Gut und Böse und so weiter. Aus solchen Gegensätzen, aus Thesen und Antithesen, lernt man eben. Das oberbayerische Bezirksmuseum Dachau thematisiert in seiner diesjährigen Ausstellung derzeit einen weiteren derartigen Gegensatz: "Hell und Dunkel in Märchen und Sagen". Die Ausstellung im Dachauer Schloss ist noch bis 23. Januar 2022 zu sehen.

Märchenhafter Spessart

Schloss in Lohr

Es war einmal - auf italienisch heißt das c’era una volta. Dieses volta kann vielerlei bedeuten: Drehung, Wendung, Ziel, Richtung - Volte eben - aber eben auch Zeit, Zeitpunkt. Schließlich hat es die Zeit so an sich, dass sie sich im Kreis dreht, an der ständig voltierenden Erde hängt, am Jahreslauf. Und da sind wir auch schon bei der Bedeutung von Mal in einmal: Das Mal hängt zusammen mit dem Mal; und das heißt auch Zielpunkt, Markierung, die vielleicht irgendwohin gemalt ist, wie in Denkmal oder Muttermal. Mal hängt aber auch mit dem Mehl zusammen, das man in kreisförmigen Bewegungen mahlt und das nur zufällig mit h geschrieben wird. So ist es auch beim Mahl, dem Essen, das nicht umsonst verdeutlicht wird zur Mahlzeit, dem Zeitpunkt, zu dem alle zusammenkommen, um gemeinsam zu essen. Einmal, zweimal, dreimal, viele Male hintereinander essen wir zu bestimmten Zeiten, arbeiten wir, schlafen wir: Daraus besteht das Leben, unsere Zeit. Die Zeit dreht sich im Kreis: Für ein- und allemal. Der Märchenanfang Es war einmal ist nichts anderes als die programmatische Aussage: Was jetzt kommt, ist allgemeingültig, zu jeder Zeit. Die längste Zeit seiner Geschichte hat der Mensch diese ewiggültigen Wahrheiten gelernt und dadrüber nicht groß nachgedacht. Erst als die uralten Wahrheiten durch die Aufklärung erschüttert wurden, sich durch die Französische Revolution auf den Kopf gestellt sahen, wurden sich die Menschen des drohenden Verlustes bewusst. Und sie begannen zu suchen, zu sammeln und aufzuzeichnen. Die Brüder Grimm aus Hanau am Westrand des Spessarts haben als erste angefangen die Geschichten ihrer Heimat aufzuschreiben. So ist der Spessart, der verwunschene nördliche Grenzwald zwischen Bayern und Hessen, zur deutschen Märchenlandschaft schlechthin geworden.

Schönwerths Märchen

Erika Eichenseer

Von Märchen kann man nie genug kriegen. Und tatsächlich hängt das Wort Märchen, im Süden Deutschlands hat es früher Märlein geheißen, mit unserem Wort mehr zusammen. Nicht bloß die Kinder sind begierig nach immer mehr alten Mären, wie man früher die Kunde, die Nachricht genannt hat. Uns ist in alten maeren, gar wunders vil geseit… so beginnt das Nibelungenlied, eine Geschichte, die man sich bei uns in Bayern erzählt hat, und die schließlich in Passau erstmals aufgeschrieben worden ist. Maere, die Nachricht, Kunde, hängt auch zusammen mit dem Nachtmahr, dem englischen nightmare, dem alptraumhaften Gespenst. Und damit sind wir schon bei der eigentlichen Bedeutung: Mären, Nachrichten, Kunde haben wir von vergangenen Geschehnissen, die nirgendwo mehr existieren außer in unserem Kopf. Das haben die mit den Träumen gemeinsam. Märchen sind Traumwelten, so wie die ganze Welt nur ein Traum ist. Unsere moderne Unterscheidung zwischen Fakten, Fakten, Fakten und bloß erfundenen Geschichten hat die längste Zeit der Menschheitsgeschichte nicht gegolten. Wahr ist, was gut ist, gut erzählt ist, was leerreich ist, nützlich. Träume bedeuten etwas, sie sind uns zu unserem besten geschickt worden, eingegeben wie Ein-Fälle, Ideen, Eingebungen. Und das gilt auch für Sagen und Märchen, die uns die Welt begreifen lassen. Weil sie so überraschend wahr und wirklich sind, deswegen will man immer mehr Märchen. Und deswegen gibt es sie überall auf der Welt. Und sie ähneln sich auch überall, weil eben auch die Wahrheit überall die gleiche ist. Das ist auch Franz Xaver von Schönwerth aufgefallen, dem erst vor wenigen Jahren wiederentdeckten Sammler alter bayerischer Märchen. Hier hören Sie Schönwerth-Märchen erzählt von Erika Eichenseer.

Die Alte Posthalterei in Aufseß

Die Alte Posthalterei im oberfränkischen Aufseß

Märchen sind nicht wahr aber wahrhaftig. Doch sie haben es schwer in unseren Zeiten, in denen nichts Anderes gelten soll als nackte faktische Wahrheit. Um den Besitz von Wahrheit ist ein globaler Streit entbrannt. Aber wer will noch unterscheiden zwischen News, Fake News, Alternativen Fakten oder Lügen? Und das weiß doch jeder, dass die Versuchung groß ist, sich tief im Innern seine eigenen Wahrheiten irgendwie hinzubiegen. Trotzdem gibt es unzählige, die behaupten, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen. Wobei selbst die Wahrhaftigsten unter ihnen gern übersehen, dass man wirkliche Wahrheit nie erreicht, nie sieht, nie darstellen kann. Alles, was gelingt sind, Annäherungen an die Wahrheit. Und ein und dasselbe kann immer auch gleichzeitig ganz was Anderes sein. So wie ein Haus vielen Zwecken dienen kann. Wobei sich das Es war einmal, das Es ist und das Es wird sein immer gegenseitig beeinflussen. Zum Beispiel in der Alten Posthalterei im oberfränkischen Aufseß.

Alte Nürnberger Gerichte

Kochbücher aus dem Stadtarchiv Nürnberg

Die Wurzel wa(h)r wie in Wahrheit steckt auch in der Vergangenheitsform von sein: Er sie es war. Es war einmal - und ist gewesen. Ja wir alle sind Wesen, die ihre ganz eigenen Wahrheiten besitzen - einfach deswegen, weil sie sind, wie sie sind. Ebenso aber wie Wahrhaftigkeit und Wahrheit hat es das wirklich Gewesene schwer heutzutag, wo man mit der Vergangenheit abschließen will. Was vorbei ist ist vorbei und Gewesenem nachzutrauern hilft niemand. Dabei wärs nicht bloß unter Nützlichkeits-, sondern auch unter Genussaspekten sehr sinnvoll immer mal wieder das in den Blick zu nehmen, was einmal gewesen ist. Zum Beispiel, wenns ums Essen geht, zum Beispiel in Franken. Da waren wir nämlich schon einmal viel weiter als beim Bratwurstbraten. Hier der Link zu der Original-Rezeptsammlung des "Vollständigen Nürnbergischen Kochbuchs".

Zum Schluss

Mehr und Märchen haben wirklich die gleiche Wurzel. Immer noch mehr könnten wir Ihnen erzählen unter dem Motto Es war einmal. Aber irgendwann muss es auch heißen: Und wenn Sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Soll heißen: Nichts ist wirklich vorbei, auch wenn das Leben weitergeht, so wie sich die Welt und die Zeit weiter dreht. Es war einmal, keinmal, allemal.


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